Der Ukraine-Krieg, die Inflation und die Energiekrise machen es aus Sicht des französischen und des deutschen Notenbankchefs wichtiger denn je, die Kapitalmarktunion in Europa zur Finanzierung des grünen und digitalen Wandels zu forcieren. In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die Zeitungen "Les Echos" und "Handelsblatt" demonstrierten François Villeroy de Galhau und Joachim Nagel Einigkeit.
"Wir verfassen diesen gemeinsamen Beitrag in der Überzeugung, dass sich unsere Einheit damit zwar schwieriger gestaltet, aber umso wichtiger ist," schreiben die beiden Notenbankchefs. "Und was für Europa als Ganzes gilt, gilt ganz besonders für die deutsch-französische Freundschaft. Wir dürfen es nicht zulassen, uns spalten zu lassen."
Zuletzt war der deutsch-französische Motor etwas ins Stottern geraten. Für Oktober geplante deutsch-französische Regierungskonsultationen waren überraschend abgesagt worden. Aus Paris hatte es Kritik am bilateralen Verhältnis und mangelnder Abstimmung der Bundesregierung mit dem wichtigsten Verbündeten gegeben. Ende vergangenen Monats waren dann Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem gemeinsamen Gespräch in Paris zusammengekommen. Danach teilte Scholz via Twitter mit, Deutschland und Frankreich stünden eng zusammen und gingen die Herausforderungen gemeinsam an.
Nagel und Villeroy zufolge ist es von entscheidender Bedeutung, dass die 2015 von der EU gestartete Initiative zur Förderung der Kapitalmarktunion vorangetrieben wird. Der Brexit, die Coronavirus-Pandemie und der Krieg Russlands gegen die Ukraine hätten die Anstrengungen in diesem Bereich verzögert.
"Doch stärker denn je müssen wir die Energiewende beschleunigen", schrieben sie. "Dafür benötigen wir finanzielle Ressourcen, die von einer grünen Kapitalmarktunion bereitgestellt werden." Die Vollendung der Kapitalmarktunion sei ein Langstreckenlauf. "Um sie zum Erfolg zu führen, ist es wichtig, jetzt die richtige Route zu wählen."
Die Integration der Kapitalmärkte kann aus Sicht der beiden Notenbank-Chefs zur Finanzstabilität beitragen. Sie sorge für mehr Finanzierungsquellen über Ländergrenzen hinweg und stärke die private Risikoteilung durch Ausbau von Eigenkapitalfinanzierung.
"Im internationalen Vergleich ist die Finanzierung von Unternehmen über Eigenkapital und Schuldverschreibungen nach wie vor unterentwickelt," so Nagel und Villeroy. Für Start-up-Unternehmen stehe in Europa nicht genügend Wagniskapital zur Verfügung. Daher seien diese nach wie vor mit Finanzierungsproblemen konfrontiert. "Durch eine Kapitalmarktunion mit einem harmonisierten, breiter angelegten und vertieften Finanzsystem hätten sie die Möglichkeit, ihre Finanzlage deutlich zu verbessern." (Reuters)