Technologie

Revolution bei Twitter? Wie Musk, EU und USA um die Meinungsfreiheit ringen

Lesezeit: 4 min
06.12.2022 13:00
In Teil 1 des großen DWN-Berichts über Elon Musks Twitter-„Revolution“ geht es um den Konflikt zwischen EU-Recht und Musks Verständnis von Meinungsfreiheit, aber auch um die alte und neue Moderationspolitik Twitters, den Fall Kanye West und Musks Enthüllung interner Mails zu Twitters Sperrung der skandalösen Hunter-Biden-Story.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Bei Revolutionen geht es selten friedlich zu. Und als revolutionär können die Absichten Elon Musks, der Twitter Ende Oktober offiziell kaufte, durchaus bezeichnet werden. „Was gerade bei Twitter passiert, ist das wichtigste weltpolitische Ereignis seit dem Sturm auf die Bastille“, twitterte so zuletzt der britische Philosoph Nick Land unter Bezugnahme auf den Beginn der französischen Revolution. Und auch Musk selbst beschwörte im Zuge seiner inzwischen beigelegten Auseinandersetzung mit Apple-Chef Tim Cook eine „Revolution gegen die Online-Zensur in Amerika“.

Wie einst die französische Revolution vor allem adeligen und kirchlichen Vertretern des Ancien Régime als todbringende Unheilstifterin galt, gibt es genug Journalisten, Politiker, Institutionen und Konzerne, die in Musks „Revolution“ einen Vorboten des Untergangs der Plattform sehen. Das mag pathetisch klingen, aber so verhärtet ist eben der Diskurs. Die EU droht Musk sogar damit, Twitter zu sperren, sollte die Plattform der Aufforderung nicht nachkommen, geltendes EU-Recht umzusetzen und dagegen verstoßende Beiträge zu löschen.

Elon Musk meint eine andere Meinungsfreiheit als die EU

„In Europa wird der Vogel nach unseren EU-Regeln fliegen“, twitterte EU-Industriekommissar Thierry Breton nach der Twitter-Übernahme Musks unter Verweis auf das EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA), das Social-Media-Dienste zur Löschung illegaler Inhalte verpflichtet. Bei einem Treffen im Mai hatte Musk Breton noch bestätigt, dass sich die Pläne der EU „exakt auf einer Linie“ mit seinem Denken befänden. Freilich spricht die Wirklichkeit eine andere Sprache: Musks Vorstellungen von Meinungsfreiheit stimmen mit jenen der EU nicht unbedingt überein.

Beispielsweise wenn es um den russischen Staatssender „Russia Today“ geht: Zwar verbreite dieser laut Musk „Bullshit“, sollte aber dennoch das Recht dazu haben, dies unbehelligt tun zu können. Die EU hingegen sperrte „Russia Today“ unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Dennoch gibt es auch Anzeichen dafür, dass Musk und die EU allmählich zu eine Kompromiss gelangen. So twitterte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kürzlich nach einem Besuch in den USA, dass Musk sich dazu bekannt habe, gegen terroristische und gewalttätige extremistische Inhalte vorzugehen und Kinder online besser zu schützen, was Musk kurz und bündig auf Französisch bestätigte.

Musk stellt klar, was „okay“ ist und was nicht

Ein eigentlich nicht besonders überraschendes Versprechen, das Macron Musk da „abringen“ konnte, wie der „Spiegel“ titelte. Schließlich verkündete Musk bereits im April, als seine Twitter-Übernahme noch in den Kinderschuhen steckte: „Die Politik einer Social-Media-Plattform ist gut, wenn die jeweils extremsten 10 Prozent auf der linken und rechten Seite gleichermaßen unzufrieden sind.“ Die jüngste Sperrung des politisch irrlichternden US-Rappers Kanye West, der inzwischen „Ye“ genannt werden will, zeigt, dass es sich bei dieser Ansage Musk nicht bloß um eine wohlfeile Floskel handelte.

Schließlich hatte sich der Tesla- und SpaceX-Chef zuvor noch mit Ye ablichten lassen, ihn sogar bei seiner angekündigten US-Präsidentschaftskandidatur unterstützt und bis kurz vor seiner Sperrung noch versucht, auf ihn einzuwirken. Doch dann behauptete „Ye“ im Zuge eines maskierten Auftritts bei dem für Verschwörungstheorien in der Kritik stehenden US-Show-Host Alex Jones, dass Hitler auch gute Seiten gehabt hätte – und postete eine mit einem Davidsstern verschmolzene Swastika. Darauf fand auch die Geduld Elon Musks ein Ende. Zwar postete der Rapper auch ein privates Bild des Unternehmers, um ihn zu verunglimpfen. Aber auf das letztere Bild reagierte Musk mit dem Hinweis, dass dieses „okay“ sei, unter dem ersterem hingegen kommentierte er nur: „Das nicht“.

Biden-Laptop: Twitter-Leaks zeigen interne Zweifel an Artikelsperre

Fast wieder vergessen war die Debatte über die Sperrung Kanye Wests, als der US-Journalist Matt Taibbi kurze Zeit später die „Twitter Files“ in einem längren Twitter-Thread veröffentlichte. Der von Elon Musk zuvor angekündigten Leak interner Twitter-Mails zeigt, wie es im Zuge der Affäre um den mutmaßlich vergessenen Laptop von Joe-Biden-Sohn-Hunter dazu kommen konnte, dass Twitter sich anmaßte die Berichterstattung der „New York Post“ – eine der ältesten US-amerikanischen Zeitungen – über den Vorfall zu verhindern. Dabei griff Twitter, wie die internen Mails zeigen, sogar zu Mitteln, die sonst nur dem Kampf gegen die Verbreitung Kinderpornographie vorbehalten waren. Ein Teilen des Artikels war vorübergehend so nicht einmal in privaten Nachrichten möglich.

Führte die Entscheidung Twitters, die der Konzern damals unter Verweis auf seine Richtlinien im Hinblick auf den Umgang mit gehackten Daten rechtfertigte, schon damals, mitten im US-Wahlkampf 2020, für hitzige Debatten, so wird jetzt erst das Ausmaß auch der internen Debatten deutlich. So kritisierten einige Twitter-Mitarbeiter kurz nach der Entscheidung der Führung nicht nur, dass unklar wäre, inwiefern die Daten überhaupt als gehackt gelten dürften, sondern auch, dass es selbst dann falsch sei, die Berichterstattung einer Zeitschrift darüber einzuschränken. Mit Rohit Khanna warnte sogar ein demokratischer Abgeordneter Twitter in einer Mail davor, möglicherweise gerade mehr Schaden anzurichten, als es die Veröffentlichung der Laptop-Daten allein getan hätte.

Lesen Sie dazu: Hacker veröffentlichen brisante Daten aus Hunter Bidens iCloud

Auf Twitter weht seit Musks Übernahme ein anderer Wind

Während Musk das Vorgehen Twitters als Eingriff in die US-Wahlen kritisiert hatte, berief sich Ex-Sicherheitschef Yoel Roth unter Eid auf eine Warnung des FBIs vor einem möglichen Hackerangriff im Laufe des Wahlkampfs, in der auch explizit Hunter Biden erwähnt worden sei. Ein zuständiger FBI-Agent widersprach dieser Schilderung jedoch jüngst. Noch ist nicht abschließend geklärt, welche Rolle das FBI in dem Fall spielt. Klar ist jedoch, dass auf Twitter seit Musks Übernahme ein anderer Wind weht. Taibbi erwähnte auch, dass es überwiegend – wenn auch nicht nur – demokratische Politiker waren, die Einfluss auf die Moderationspolitik der Plattform nehmen konnten.

Ob Musk diese scheinbare Verflechtung von Big Tech und US-Politik aufhebt oder nur zugunsten der Republikaner dreht, bleibt abzuwarten. Ebenso wie die Moderationspolitik Musks aussehen wird. Bislang ist das Echo gespalten: Konstatierte die „New York Times“ zuletzt noch, dass seit seiner Übernahme mehr „Hate Speech“ kursiere, lobte Eliza Bleu, eine bekannte Überlebende und Anwältin für Opfer von Menschenhandel, Musk dafür, dass Twitter nun endlich im großen Maßstab gegen die Verbreitung von Kinderpornographie vorgehe, was zuvor lange nicht der Fall gewesen sei.

In Teil 2 des Berichts geht es um die Pläne und Visionen Musks hinsichtlich der Zukunft Twitters.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Spritpreise: Drittteuerstes Tankjahr - 2025 könnte noch teurer werden
24.12.2024

Das Jahr 2024 war eines der teuersten Tankjahre aller Zeiten, kommendes Jahr sieht nicht besser aus: Zum 1. Januar steigt der C02-Preis von...

DWN
Politik
Politik Nach Amoklauf auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg: Sicherheitslücken und Staatsversagen - Ist die innere Sicherheit in Gefahr?
24.12.2024

Nach dem tödlichen Amoklauf in Magdeburg werden wiederholt Defizite bei der Sicherheitslage deutlich. Der Grünen-Politiker von Notz...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeitsmarkt: „Null-Bock-Tage“ im Job? Auszeiten im Arbeitsalltag – ein Arbeitsmodell für Deutschland?
24.12.2024

Der Krankenstand in Deutschland bleibt weiterhin auf einem hohen Niveau. Und das nicht ohne Grund: „Einfach mal durchatmen“ ist für...

DWN
Technologie
Technologie Kirche und Künstliche Intelligenz: KI-Jesus im Beichtstuhl verblüfft Kirchenobere
24.12.2024

Avatar direkt in der Kirche: Eine Schweizer Kirche hat in diesem Jahr mit künstlicher Intelligenz einen sprechenden Jesus kreiert, der in...

DWN
Panorama
Panorama Inklusion im Fußball: Wie Manchester United mit Pflegeprodukten für Männer vorangeht
24.12.2024

Manchester United setzt mit der Einführung von Pflegeprodukten für Männer mit Blasenschwäche ein wichtiges Signal für Inklusion im...

DWN
Politik
Politik Vor der Bundestagswahl und nach dem “D-Day”-Papier: Wie geht es weiter für die FDP? Vier Experten und ihre Einschätzung
24.12.2024

„Alles lässt sich ändern“ lautet das Motto der neuen FDP-Wahlkampagne. Ob und wie Christian Lindner mit seiner Partei Wählerinnen...

DWN
Technologie
Technologie KI im Finanzbereich: Das Potenzial und die Herausforderungen im Überblick
24.12.2024

Künstliche Intelligenz begeistert CFOs weltweit – doch wo liegt das tatsächliche Potenzial? Während 87 Prozent der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Händler setzen auf Apps und Bonusprogramme: So sparen Verbraucher mit digitalen Treueangeboten
23.12.2024

Die großen Handelsketten wie Lidl, Rewe und Penny gehen neue Wege, um Kunden langfristig an sich zu binden. Mit Apps und Treueprogrammen...