Wirtschaft

Russland-Sanktionen bringen Neuordnung im globalen Ölhandel

Infolge der Sanktionen gegen Russland kommen China und Indien zunehmend in den Genuss von Ölrabatten. Und der Nahe Osten leitet sein Rohöl teuer nach Europa um.
Autor
31.12.2022 10:42
Aktualisiert: 31.12.2022 10:42
Lesezeit: 4 min

Russland gewährt den größten Ölabnehmern in Asien starke Preisnachlässe. Auf diese Weise will Russland seinen Marktanteil halten, nachdem Russlands Präsident Putin hat die Ausfuhr von Erdöl und Erdölerzeugnissen an ausländische Abnehmer verboten, die sich an den vom Westen verhängten Preisdeckel halten.

Der Preisdeckel, den die G7-Staaten und Australien gegen russisches Öl verhängt haben, verbietet die Verschiffung, Finanzierung oder Versicherung von russischem Rohöl auf dem Seeweg, es sei denn, das Öl wird zu einem Preis von höchstens 60 Dollar pro Barrel verkauft. Hintergrund der jüngsten Sanktion des Westens ist der Krieg in der Ukraine.

Unterdessen verlagern Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere große Energieexporteure im Nahen Osten ihren Schwerpunkt von ihren traditionellen Märkten in Asien auf den Verkauf an europäische Länder. Diese wollen ihren Energiebedarf auch ohne Russland sichern und sind dafür bereit, höhere Preise zu zahlen.

Langjährige Energiehandelsbeziehungen machen nun einen massive Umbruch durch. Die Neuordnung der globalen Energielandkarte wird sich wahrscheinlich auch auf geopolitische Allianzen auswirken, da zahlreiche Staaten der Welt nun versuchen, vor allem jene Beziehungen auszubauen, die ihre Energiesicherheit untermauern.

Russland reagiert auf die Sanktionen, indem es seine Energiepreise senkt und mehr Marktanteile in China und Indien erobert, die sich dem Westen bei der Einführung von Preisobergrenzen nicht angeschlossen haben. Seit Ende November verkauft Russland sein Vorzeige-Rohöl aus dem Ural, das bisher über die Ostsee nach Europa verschifft wurde, deutlich billiger als andere Sorten.

"Selbst wenn die Preise auf 100 Dollar pro Barrel steigen sollten, können China und Indien weiterhin russisches Öl kaufen, wenn sie Zugang zu ihrer eigenen Versicherung haben", zitiert das Wall Street Journal Amrita Sen, Forschungsdirektorin bei der in London ansässigen Ölberatungsfirma Energy Aspects.

Die russischen Öl-Exporte nach China, dem größten Ölimporteur der Welt, haben im November die Öl-Exporte Saudi-Arabiens nach China übertroffen. Nach Angaben der Allgemeinen Zollverwaltung in Peking exportierte Russland im November 1,9 Millionen Barrel pro Tag nach China. Das waren 16,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Die chinesischen Importe aus Saudi-Arabien beliefen sich hingegen nur noch auf 1,61 Millionen Barrel pro Tag, was einem Rückgang um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Russland und Saudi-Arabien sind Verbündete in der OPEC+-Gruppe der Erdölproduzenten, haben aber ihre Reaktion auf die Preisbegrenzung des Westens (zumindest offiziell) nicht koordiniert.

Die russischen Exporte nach Indien stiegen im November auf 1,4 Millionen Barrel pro Tag, verglichen mit nur 36.000 Barrel pro Tag ein Jahr zuvor, so der Rohstoffdatenanbieter Kpler. Interessanterweise exportieren indische Raffinerien Ölprodukte, die verarbeitetes russisches Rohöl enthalten, in die Europäische Union. Dies ist durch das Sanktionsprogramm der EU auch durchaus erlaubt.

Die westlichen Länder versuchen, die Einnahmen Russlands aus seinem Öl zu verringern und gleichzeitig die Versorgung der Märkte mit russischem Öl aufrechtzuerhalten. Doch der Schaden ist für Europa deutlich größer als für Russland. Profiteure sind all jene, die sich nicht an den Sanktionen des Westens beteiligen, vor allem in Asien und im Nahen Osten.

Doch auch außerhalb des Westens gibt eine Reihe von Staaten, die aus politischen Gründen kein verbilligtes russisches Öl kaufen wollen. Die Verbündeten der USA, Südkorea und Thailand, haben ihre Importe aus Russland praktisch eingestellt. Und Japan importiert zwar weiterhin Öl und Gas aus Russland, hat die Einfuhren aber deutlich reduziert.

Russlands stellvertretender Ministerpräsident Alexander Novak erklärte am 23. Dezember, dass ein Teil der russischen Ölprodukte auch nach Afrika und Lateinamerika umgeleitet worden sei. "Als Ergebnis unfreundlicher Handlungen werden unsere Energieressourcen auf andere Märkte, die Märkte befreundeter Länder, umgeleitet", wurde er von der russischen Nachrichtenagentur Interfax zitiert.

Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Nigeria, Senegal und Brasilien haben in den letzten Monaten billigen russischen Diesel und billiges russisches Benzin gekauft, obwohl sie in einigen Fällen selbst Rohölproduzenten sind. Denn das eigene Rohöl können sie nun deutlich teurer nach Europa verkaufen.

Die internationale Rohöl-Benchmark Brent liegt seit Dienstag leicht im Minus, als Russlands Präsident Wladimir Putin per Dekret verboten hat, ab Februar noch Öl an Länder zu exportieren, die sich an den Preisdeckel des Westens halten. Zum Handelsschluss am Freitags wurde Brent-Rohöl mit rund 83 Dollar pro Barrel gehandelt.

Da die günstigen russischen Exporte die Energiepreise auf den größten asiatischen Märkten nach unten drücken, leiten Saudi-Arabien und andere wichtige Rohölproduzenten aus dem Nahen Osten einen Teil ihres Öls von China und Indien nach Europa um. Hier fehlt das günstige russische Öl, sodass hier nun mehr für das Öl aus dem Nahen Osten gezahlt werden muss.

Dieser Schritt ist eine deutliche Abkehr von der jahrelangen Konzentration auf die Expansion in China und Indien, die einst als einzige Wachstumsmärkte galten. Nach Angaben von Eurostat war Saudi-Arabien im dritten Quartal mit einem Marktanteil von 9,1 Prozent der am schnellsten wachsende große Öllieferant der EU, verglichen mit nur 5,1 Prozent im Durchschnitt des letzten Jahres.

Die Öl-Lieferungen aus Saudi-Arabien nach Ägypten, die größtenteils über den Suezkanal nach Europa weiterexportiert werden, erreichten im November fast 1 Million Barrel pro Tag. Dies war deutlich mehr als die 600.000 Barrel pro Tag im Oktober und die 866.000 Barrel pro Tag im Vorjahr, so der Rohstoffdatenanbieter Kpler.

In Polen hat sich der staatliche saudische Ölgigant Aramco bereit erklärt, seine Lieferungen an das größte polnische Energieunternehmen PKN Orlen im nächsten Jahr um bis zu 337.000 Barrel pro Tag zu erhöhen. Damit werden die 220.000 Barrel pro Tag, die Russland im vergangenen Jahr über Pipelines nach Polen exportiert hat, mehr als wettgemacht.

Aramco hat außerdem TotalEnergies über 100.000 Barrel pro Tag für Frankreich zugesagt, die nach Angaben französischer und saudischer Energiebeamter die verlorenen russischen Barrel ersetzen sollen. Im Juli unterzeichnete TotalEnergies außerdem eine Vereinbarung mit den Vereinigten Arabischen Emirate, die im Falle eines Engpasses 300.000 Tonnen Diesel oder 75.000 Barrel pro Tag für Frankreich garantiert.

In den letzten Monaten hat der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman signalisiert, dass das Königreich mehr Rohöl nach Europa liefern will. "Wir sind mit so vielen Regierungen im Gespräch", sagte Prinz Abdulaziz auf einer Branchenveranstaltung im Oktober. "Nur um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Deutschland, Polen, die Tschechische Republik, Kroatien, Rumänien und andere."

Deutschland, das nach eigenen Angaben ab Januar kein Öl mehr aus Russland beziehen wird, hat außerdem angekündigt, dass es Rohöl aus Kasachstan beziehen wird. Die Mitglieder der von Saudi-Arabien geführten Organisation erdölexportierender Länder OPEC sehen derzeit keinen Grund, die Anfang Dezember verlängerte Produktionskürzung von 2 Millionen Barrel pro Tag wieder rückgängig zu machen.

Nach Angaben von Kpler sind die russischen Ölexporte auf dem Seeweg im Dezember um 22 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der ersten 11 Monate des Jahres zurückgegangen. "Russland ist nicht in der Lage, die verlorenen europäischen Abnehmer vollständig zu ersetzen", so Amrita Sen, Forschungsdirektorin bei der in London ansässigen Ölberatungsfirma Energy Aspects.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Panorama
Panorama Feiertage 2026: Alle Termine, Brückentage und Regeln – wie Sie am besten profitieren
13.12.2025

Die Feiertage 2026 liegen günstig und ermöglichen viele lange Wochenenden. Wer früh plant, kann deshalb Brückentage optimal nutzen....

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienrendite: Es lohnt sich wieder zu vermieten
13.12.2025

Eine Mietimmobilie als Kapitalanlage kann wieder eine interessante Investition sein. Doch nicht überall macht das Sinn. Wo sich das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Prominenter China-Experte zeichnet düsteres Bild für Europa: „Es wird ziemlich schlimm“
13.12.2025

Europa wähnt sich sicher, doch die nächste ökonomische Erschütterung rollt bereits heran. Der prominente China-Analyst Dan Wang...

DWN
Finanzen
Finanzen Falsche Gehaltsgruppe: Was kann ich tun, wenn meine Gehaltseinstufung nicht zum Tarifvertrag passt?
13.12.2025

Viele Beschäftigte merken erst spät, dass ihre Gehaltsgruppe im Tarifvertrag nicht zur Arbeit passt. Das kann monatlich bares Geld...

DWN
Technologie
Technologie Lidl krempelt den Einkauf um: Warum die Scan-and-Go-Technologie den Handel umdreht
13.12.2025

Litauens Handelsketten treiben den digitalen Umbruch voran. Das Selbstscansystem Scan & Go kommt nun in die Lidl Filialen. Bisher wurde...

DWN
Politik
Politik Billigfluglinien bereiten sich bereits auf Flüge in die Ukraine vor
13.12.2025

Wizz Air, Ryanair und EasyJet bringen sich in Stellung. Europas Billigfluglinien planen bereits ihre Rückkehr in die Ukraine und rechnen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europa-Krise vertieft sich: JPMorgan warnt vor dramatischen Folgen für Amerika
13.12.2025

Die Warnungen von JPMorgan Chef Jamie Dimon treffen Europa in einer Phase wachsender politischer Unsicherheit. Seine Kritik an der...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Textilrecycling: Wie eine schwedische Gründerin die Branche unter Druck setzt
12.12.2025

Ein junges schwedisches Unternehmen behauptet, die nachhaltigste Lösung für das Textilrecycling gefunden zu haben. Die Methode nutzt CO2,...