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Militärkosten: So teuer ist der Krieg für Russland wirklich

Lesezeit: 5 min
19.01.2023 13:34  Aktualisiert: 19.01.2023 13:34
Die militärische Intervention Russlands in der Ukraine ist fast ein Jahr alt. Doch wie viel kostet der Krieg den russischen Staat wirklich? Neue Zahlen bringen Licht ins Dunkel.
Militärkosten: So teuer ist der Krieg für Russland wirklich
Russlands Präsident Wladimir Putin grüßt Soldaten bei der Militärparade zum Tag des Sieges. (Foto: dpa)
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Vor fast einem Jahr begann Russland den Krieg in der Ukraine. Seitdem hat Russland enorme finanzielle Mittel für seine Armee und die Umgestaltung seiner Wirtschaftsbeziehungen aufgewendet. Wie teuer aber ist die Intervention für den russischen Staat bis dato? Es kommen Zahlen zum Vorschein, die ein wenig Licht ins Dunkel bringen und eine Analyse ermöglichen.

Staatsausgaben höher als erwartet

Das endgültige Defizit des russischen Bundeshaushalts für das Jahr 2022 scheint sich auf 3,35 Billionen Rubel zu belaufen, was nach dem durchschnittlichen Wechselkurs während des vergangenen Jahres fast 48,8 Milliarden US-Dollar entspricht. Allerdings wurde der Rubel nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine konvertierbar, so dass die Wechselkurse mit Vorsicht zu genießen sind. Die Gesamteinnahmen der russischen Regierung für das Jahr 2022 beliefen sich auf 27,77 Billionen Rubel (ca. 409,68 Milliarden US-Dollar) und die Gesamtausgaben auf 31,11 Billionen Rubel (knapp 459 Milliarden Dollar), wie Daten des russischen Medienunternehmens RBK vom 10. Januar. 2023 zeigen.

Wie der ursprüngliche Plan der Regierung von Dezember 2021 zeigt, hatte man eigentlich mit 25 Billionen Rubel (368,81 Mrd. USD) an Einnahmen und nur 23,78 Billionen Rubel (350,81 Mrd. USD) an Ausgaben gerechnet. Wenn man also Einnahmen und Ausgaben miteinander vergleicht, wird deutlich, dass die tatsächlichen Ausgaben höher ausgefallen sind als eigentlich vorgesehen. Andererseits konnten auch höhere Einnahmen realisiert werden.

Somit belaufen sich die zusätzlichen und nicht geplanten Ausgaben für 2022 auf 7,33 Billionen Rubel bzw. 107 Milliarden US-Dollar, wobei ein nicht näher definierter Anteil dieses Betrags, der vermutlich zwischen drei und vier Billionen Rubel (44 bis 59 Milliarden US-Dollar) liegt, auf die Budgets für die nationale Verteidigung, die nationale Sicherheit und die Strafverfolgung entfällt.

Die zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 2,77 Billionen Rubel (40,86 Milliarden. US-Dollar) stammen aus erhöhten Steuern auf den Gazprom-Konzern und den Russischen Nationalen Vermögensfonds, was de facto eine Emission von Rubel bedeutet, wie aus einem Bericht der russischen Tageszeitung Kommersant von September 2022, einer Regierungserklärung von Anfang November und einer Meldung der Nachrichtenagentur TASS von Ende Dezember 2022 entnommen werden kann.

Gesamtproduktionsindex bei 98 Prozent

Die Haushaltsplanung der russischen Regierung für das Jahr 2023 geht von 26,13 Billionen Rubel (385,48 Milliarden US-Dollar) an Einnahmen und 29,06 Billionen Rubel (428,71 Milliarden US-Dollar) an Ausgaben aus, wie das Anfang Dezember veröffentliche Budget der Regierung verdeutlicht. Der Anteil der Ausgaben für die Landesverteidigung soll fünf Billionen Rubel (fast 74 Milliarden US-Dollar) übersteigen und der Anteil des Haushalts für die nationale Sicherheit und die Strafverfolgung soll 4,4 Billionen Rubel (64,9 Milliarden US-Dollar) übersteigen.

Diese Zahlen wurden gegenüber den ursprünglichen Schätzungen aus dem Jahr 2021 von 3,47 Billionen Rubel (51,19 Milliarden US-Dollar) bzw. 2,97 Billionen Rubel (43,82 Milliarden US-Dollar) der russischen Duma zufolge Anfang November 2022 aktualisiert. Der aktuelle Haushaltsplan ist jedoch nicht endgültig und wird wahrscheinlich im Laufe des Jahres 2023 überarbeitet werden.

Wenn also die geschätzten unmittelbaren Kosten des russischen Krieges gegen die Ukraine in den Jahren 2022-2023 von fünf Billionen Rubel (fast 74 Milliarden US-Dollar) auf 8,3 Billionen Rubel (122,4 Milliarden US-Dollar) im November 2022 gestiegen sind (siehe Regierungsbericht), so übersteigen sie aktuell 10 Billionen Rubel (147,5 Milliarden US-Dollar) und werden voraussichtlich noch weiter steigen.

Dennoch haben diese zusätzlichen Billionen Rubel im Jahr 2022 nicht zu einem signifikanten Anstieg der Waffenproduktion geführt. So lag die Gesamtproduktionsrate in Russland im Zeitraum von Januar bis November 2022 bei 99,2 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2021.

Auch wenn die Herstellung von Transportfahrzeugen, einschließlich aller Arten von Flugzeugen und Schiffen, aber ohne Kraftfahrzeuge, im November 2022 um 16,5 Prozent gegenüber November 2021 und um 18 Prozent gegenüber Oktober 2022 zunahm, lag der Gesamtproduktionsindex für die Herstellung von Transportfahrzeugen von Januar bis November 2022 bei 98 Prozent desjenigen Wertes für den Zeitraum Januar-November 2021. Dies ist einer Erklärung der russischen Regierung mit dazugehörenden Daten von Ende Dezember 2022 zu entnehmen.

Trotz allem weisen einige Indizien einen deutlichen Produktionsanstieg auf, die mit der Rüstungsindustrie zusammenhängen: Von Januar bis November 2021 lag die Herstellung von Computern, Elektronik und optischen Geräten bei 104 Prozent und die Herstellung von nicht spezifizierten Maschinen und Ausrüstungen bei 102,9 Prozent der Produktionswerte für den gleichen Zeitraum im Jahr 2020. Im Jahr 2022 betrug der Anstieg bei der Herstellung von Radar-, Navigations- und Funkgeräten 117,6 Prozent (in Rubel), bei der Herstellung von Computern und Computerteilen 148,1 Prozent (in Rubel) und bei der Herstellung von Halbleiterbauelementen 113,2 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Jahres 2021.

Personalmangel in der Rüstungsindustrie

Die Herstellung von Elektrizität in Russland betrug der Regierung zufolge jedoch nur 100,8 Prozent (in Milliarden Kilowatt pro Stunde) der Produktion vom Jahr 2021, was ebenfalls die Vermutung bestätigt, dass es im Jahr 2022 keinen signifikanten Anstieg der russischen Waffenproduktion gab. (Weiterhin bestätigte zumindest einer der führenden staatlichen russischen Rüstungskonzerne, Roscosmos, gegenüber der Zeitung Vedomosti, dass er seine Verträge im Jahr 2022 nicht vollständig erfüllt hat. Dies zeigt, dass die Steigerung der Rüstungsproduktion für die russischen Behörden eine Herausforderung bleibt.

Trotz dieser Tatsachen versucht der Kreml, dieses Problem um jeden Preis zu lösen. Die wichtigste Option, die hier in Betracht gezogen wird, ist die Nutzung von Lagern für Komponenten und Materialien im Jahr 2023, die für die Waffenproduktion in den Jahren 2024-2025 bestimmt sind. Traditionell legt die russische Rüstungsindustrie solche Lager vor Beginn der langfristigen Rüstungsverträge an, wie aus einer Meldung des Verteidigungsministeriums von Ende Dezember 2022 zu entnehmen ist. Folglich könnte die russische Rüstungsindustrie im Jahr 2023 so viele Waffen wie möglich produzieren, anstatt sich an die zuvor für 2023-2025 geplanten Arbeiten zu halten. Die unmittelbare Folge wäre dann allerdings eine Inflation der Kosten, mit der unvermeidlichen Aussicht auf weitere Inflation und einem Rückgang der Produktion in den kommenden Jahren, was bedeutet, dass die durchschnittlich jährlich hergestellte Waffenmenge entweder gleichbleiben oder sinken wird. Dennoch scheint die Regierung dieses Szenario in Kauf zu nehmen.

Eine weitere schwerwiegende Herausforderung stellt der gravierende Personalmangel in der russischen Rüstungsindustrie dar, der offiziell auf 400.000 Arbeiter und Ingenieure geschätzt wird, wie die Nachrichtenseite VPK.name berichtet. Um diese Herausforderung zu bewältigen, haben die Unternehmensleitungen aller Rüstungsbetriebe die Möglichkeit, Samstagsarbeitstage einzuführen und den Urlaub der Mitarbeiter zu streichen, wie dies Ura.ru, einer Regionalzeitung aus dem Ural zufolge bei Kurganmashzavod, dem einzigen russischen Hersteller von gepanzerten Kettenfahrzeugen, der Fall war.

Die Qualität der Rüstungsproduktion könnte sinken

Auch das mögliche Risiko einer sinkenden Qualität der Produktion wird vom Kreml, bei Betrachtung der Meldung des Verteidigungsministeriums, weitgehend in Kauf genommen. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit: Der Rückgang der russischen Waffenexporte bedeutet, dass Produktionslinien teilweise für die Herstellung von Waffen speziell für die russischen Streitkräfte genutzt werden können.

So beliefen sich die russischen Waffenexporte der Nachrichtenagentur Tass zufolge bis Ende November 2022 auf 8 Milliarden US-Dollar. Folglich waren die gesamten Waffenexporte im Jahr 2022 wahrscheinlich niedriger als im Jahr 2021, als sie sich der Zeitung Kommersant zu entnehmen auf 14,6 Milliarden US-Dollar beliefen. Allerdings hält sich dieser Anstieg in Grenzen, wenn man bedenkt, dass 40 Prozent der russischen Waffenexporte laut dem russischen Medienunternehmen RBK im Jahr 2022 auf die Luftfahrt und 30 Prozent auf Waffen für Bodentruppen und die Marine entfielen.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass die russische Führung die Verteidigungsausgaben erhöht und nicht den Fokus auf die steigenden Kriegskosten legt, sind die tatsächlichen Möglichkeiten Russlands, die Rüstungsproduktion zu verbessern, begrenzt. Größtes Problem: Der Kreml hat ein Zeitproblem und langfristige wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist gerade nicht attraktiv. Daher könnte es für die russische Regierung in diesem Jahr kompliziert werden. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die militärische Intensität und der wirtschaftliche Druck auf Moskau weiter zunehmen sollten. Die russischen Behörden könnten sich jedoch auch dafür entscheiden, alle verfügbaren Mittel zu mobilisieren, damit es nicht zu dem Szenario kommt, dies wurde bisher noch nicht getan.


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