Nachdem die Gaspreise von ihren Rekordhöhen im Sommer deutlich gesunken sind, herrscht in Deutschland Optimismus, dass das Schlimmste der Energiekrise überstanden ist. Doch für die größten Industrieunternehmen des Landes bleibt das langfristige Bild düster.
Unternehmen wie BASF, Dow und Lanxess sind bereit, Tausende von Arbeitsplätzen zu streichen und Investitionen aus Deutschland zu verlagern. Denn sie gehen nicht davon aus, dass die von ihnen benötigte Energie verlässlich zu ähnlichen Preisen zur Verfügung stehen wird, wie sie früher russisches Pipelinegas.
"Wir sind in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig", sagte der Vorstandsvorsitzende von Lanxess, Matthias Zachert, kürzlich auf einer von der Zeitung Die Welt organisierten Konferenz. Der Kölner Chemiekonzern will seine Produktionsstandorte in Nordrhein-Westfalen beibehalten, "aber unsere Investitionen, um weiter zu wachsen, werden an wettbewerbsfähigere Standorte wie die USA gehen".
Die Zuversicht der deutschen Unternehmen ist in den letzten Wochen gestiegen, nachdem eine Phase ungewöhnlich warmen Wetters und die frühzeitige Fertigstellung des Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven dazu beigetragen haben, die Preise zu senken und mögliche Rationierungen und Stromausfälle zu vermeiden.
Die Galgenfrist durch das ungewöhnlich warme Wetter hat einige deutsche Produzenten etwas aufatmen lassen. Die Automobilriesen Mercedes-Benz und Volkswagen etwa hatten in erster Linie plötzliche Rationierungen von Treibstoff befürchtet, welche ihren fein abgestimmten Lieferketten einen massiven Schlag versetzt hätten.
Deutschland hat seit September keine direkten russischen Gasimporte mehr erhalten. Dies ist eine dramatische Veränderung, wenn man bedenkt, dass Russland früher mehr als die Hälfte der deutschen Gasimporte lieferte. Nun will sich Deutschland auf anderem Wege genügend erschwingliche Energie sichern, um seine industrielle Basis zu bewahren.
Doch die Aussichten für deutsche Chemie-, Glas- und Baustoffunternehmen, bei denen Gas und Strom ein Drittel der Kosten ausmachen können, bleiben düster. Selbst nach den jüngsten Rückgängen sind die Energiepreise in Deutschland immer noch wesentlich höher als in konkurrierenden Produktionsgebieten in den USA und Asien. Der Gaspreis in Europa ist weiterhin fast achtmal so hoch wie in den USA, berichtet Bloomberg.
Im Oktober kündigte die BASF an, 500 Millionen Euro an Kosten einzusparen, um sich auf die dauerhaft höheren Energiepreise in Deutschland einzustellen. Seitdem sind die Gaspreise um 40 Prozent gesunken, aber der Vorstand der BASF hält an den Kürzungen fest und will die Produktion der gasintensivsten Produkte in seinem Werk in Ludwigshafen einstellen.
Der Branchenverband Aluminium Deutschland (AD) erklärte, eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter Metallerzeugern habe ergeben, dass zwei Drittel eine leichte Verbesserung der Energiepreise in den letzten Monaten bestätigten, während 86 Prozent der Unternehmen die Aussichten für die langfristige Gas- und Stromversorgung in Deutschland als "nicht gut" bezeichneten. "Leider können wir noch nicht sagen, dass das Schlimmste hinter uns liegt", zitiert Bloomberg Verbandschef Rob van Gils.
Die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie beschäftigt nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums rund 466.500 Menschen und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von über 200 Milliarden Euro. Sie ist ein integraler Bestandteil der Automobil- und anderer Lieferketten.
Eine Umfrage des deutschen Chemieverbands VCI von Ende Januar ergab, dass fast die Hälfte der Chemieunternehmen in diesem Jahr ihre Investitionen in Deutschland aufgrund der Energiekosten kürzen wollen.
Gleichzeitig verzeichnen die Industrieunternehmen angesichts der weltweiten Konjunkturabschwächung einen Rückgang der Nachfrage. Das macht es immer schwieriger, die Preise entsprechend den gestiegenen Kosten zu erhöhen. Der Technologiekonzern Bosch setzt derzeit seine gesamten Hoffnungen in die erwartete Konjunkturerholung in China.
Einige Unternehmen erwägen sogar Betriebsschließungen. Trinseo, einer der weltweit größten Hersteller von Polystyrol, einem Polymer, das zur Isolierung von Produkten wie Autoteilen und medizinischen Geräten verwendet wird, hat Gespräche mit der Gewerkschaft über die Schließung seiner Produktionsstätte in Boehlen aufgenommen, wo rund 400 Menschen beschäftigt sind.
"Die Kostenposition des Werks in Bohlen ist aufgrund der aktuellen Energiekosten in Europa und der geringen Größe des Werks problematisch", sagte der Vorstandsvorsitzende Frank Bozich in einer Erklärung. "Es ist schwierig, kurz- bis mittelfristig eine signifikante Ergebnisverbesserung an diesem Standort zu erwarten."