Politik

Umweltbundesamt: Deutsche müssen noch mehr fürs Klima tun

Das Umweltbundesamt lobt den niedrigeren Energieverbrauch durch die Deindustrialisierung und fordert zugleich eine noch stärkere Dekarbonisierung Deutschlands.
15.03.2023 11:21
Aktualisiert: 15.03.2023 11:21
Lesezeit: 3 min

Deutschland hat trotz des massiven Einsatzes von Kohlestrom und mehr Treibhausgasen im Verkehr sein Klimaziel 2022 erreicht. Der CO2-Ausstoß ging um 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf rund 746 Millionen Tonnen zurück, teilte das Umweltbundesamt (UBA) am Mittwoch in Berlin mit.

UBA-Präsident Dirk Messner warnte jedoch, bis 2030 müssten die Emissionen künftig jedes Jahr um das Dreifache zurückgehen. Man brauche deutlich mehr Tempo: "Das Zeitfenster ist nicht groß." Dass das Gesamtziel erreicht wurde, lag auch an der Wirtschaftskrise im Industrie-Sektor in Folge der hohen Energiepreise. Die Betriebe stießen so auch weniger CO2 aus. Der Gebäudesektor verfehlte dagegen seine Vorgaben ebenso wie der Verkehr. Dieser blies sogar im Vergleich zu 2021 mehr Treibhausgase in die Atmosphäre.

Der Energiesektor als größter CO2-Produzent konnte dem UBA zufolge seine Vorgabe bei gesteigertem Einsatz von Kohle in der Energiekrise dennoch knapp einhalten. Dagegen verfehlte der Verkehr trotz des 9-Euro-Tickets, hoher Spritpreise und mehr E-Autos seine gesetzlichen Verpflichtungen zum zweiten Mal in Folge. Er steigerte den Ausstoß um über eine Million Tonnen, weil mehr Autos und Lkw unterwegs waren.

Deutschland muss seinen Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 kürzen. Bis 2045 soll Klimaneutralität erreicht werden, unter dem Strich darf also praktisch kein CO2 mehr in die Atmosphäre entweichen.

UBA-PRÄSIDENT: ENTSCHEIDEND IST AUSBAU ERNEUERBARER ENERGIEN

Obwohl das Gesamtziel eingehalten wurde, müssten bis 2030 die Emissionen jetzt jedes Jahr um sechs Prozent gemindert werden, warnte UBA-Präsident Dirk Messner. Seit 2010 seien es nicht einmal zwei Prozent gewesen. "A und O ist ein wesentlich höheres Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien", sagte er. "Eine Hängepartie wie in den letzten Jahren darf es dabei nicht mehr geben." Die Dekarbonisierung müsse alle Bereiche umfassen – von der Industrieproduktion über den Gebäudebereich bis hin zur Mobilität und der Landwirtschaft.

Wegen des verstärkten Kohle-Einsatzes stiegen die Emissionen der Kraftwerke zwar um 4,4 Prozent. Dafür wurde laut UBA weniger Erdgas verfeuert und es wurde neun Prozent mehr Strom über Wind, Solar oder Wasser gewonnen. Im Industrie-Sektor sanken die Emissionen 2022 deutlich um 19 Millionen Tonnen CO2 beziehungsweise 10,4 Prozent. Hier wirkten sich die stark gestiegenen Energiepreise durch den Krieg in der Ukraine besonders in der Metall- und Chemieindustrie aus.

HABECK: KLIMASCHUTZ MIT WÄRMEPUMPEN BEGINNT ZU WIRKEN

Klimaminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich weitgehend zufrieden: "Die heutigen Zahlen spornen an und überraschen teilweise sogar", erklärte er. Er habe angesichts der Folgen des russischen Angriffskriegs mit schlechteren Zahlen im Energiesektor gerechnet. "Im Wärmebereich sind wir zwar nicht da, wo wir sein sollten und sein wollen, aber man sieht auch hier, dass Maßnahmen wie Sanierungen und der beginnende Hochlauf der Wärmepumpen wirken."

Bauministerin Klara Geywitz (SPD) sagte: "Wir müssen unsere Gebäude stärker sanieren. Dafür braucht es eine gute staatliche Förderung. Eine allgemeine Sanierungspflicht per Gesetz lehne ich ab." Dies hatte das EU-Parlament gefordert. Der Gebäudesektor soll in kommenden Jahren durch den Austausch von Öl- und Gas-Heizungen klimafreundlich werden. Wer die Kosten dafür trägt, ist jedoch offen und in der Koalition heftig umstritten.

Ein Sprecher des Verkehrsministeriums sagte zum Sektor, es seien bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden. Als Beispiel nannte er die Elektromobilität, bei der die Zahl der rein elektrisch betriebenen Fahrzeuge als auch der Ladepunkte vergangenes Jahr deutlich gestiegen sei. Das größte Problem sei aber der Pkw-Bestand. Hier könnten E-Fuels eine Lösung sein. Der synthetisch erzeugte Kraftstoff gilt aber als teuer und ineffizient und eher im Flug- oder Schiffsverkehr als sinnvoll eingesetzt.

REGIERUNG KANN SICH NICHT AUF KLIMASCHUTZ-PROGRAMM EINIGEN

Im Klimaschutzgesetz gibt es Obergrenzen für die Emissionen für jeden einzelnen Sektor und jedes Jahr. Wer seine Ziele verfehlt - wie Verkehr und Gebäude jetzt - muss mit einem Sofortprogramm wieder auf Kurs kommen. Diese Programme werden von einem unabhängigen Expertenrat ebenso wie die jetzigen Daten überprüft.

Die Bundesregierung arbeitet derzeit zudem an einem umfassenden Klimaschutzprogramm, um die Ziele in allen Sektoren auch in kommenden Jahren erreichen zu können. Es steckt derzeit aber vor allem wegen Streitigkeiten zwischen Klimaschutz- und Verkehrsministerium fest. Die FDP-Seite verlangt mit Blick auf den Koalitionsvertrag eine Änderung des Klimaschutzgesetzes mit Verrechnungen zwischen den Sektoren über mehrere Jahre. Das würde etwa den Druck auf den Verkehrssektor von Volker Wissing (FDP) mindern.

Umweltverbände wie der BUND oder die Deutsche Umwelthilfe (DUH) werfen der Regierung vor, sie verstoße mit dem wiederholten Verfehlen der Sektor-Ziele gegen das Klimaschutzgesetz. "Verkehrsminister Wissing fährt den Klimaschutz mit voller Absicht an die Wand", sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Die DUH hat deswegen wie der BUND Klage eingereicht. Laut DUH ist noch dieses Jahr mit einem Urteil zu rechnen. (Reuters)

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