Die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve System wird heute Abend bekanntgeben, ob sie die Leitzinsen weiter anhebt und damit die Finanzierungsbedingungen im Dollar-Raum weiter verschärft, oder nicht. Umfragen zufolge erwarten die meisten Beobachter einen moderaten Zinsanstieg auf das Niveau zwischen 4,75 und 5,00 Prozent.
Nach allgemeiner Lesart führt eine Erhöhung der Leitzinsen zu einer Verschärfung der Finanzierungsbedingungen und davon abgeleitet perspektivisch zu sinkenden Inflationsraten, weil nicht mehr so viel Liquidität ins System geleitet wird und die Umlaufgeschwindigkeit abnimmt.
Fed im Dilemma
Die Zentralbank ist schon seit Jahren mit einem geldpolitischen Dilemma konfrontiert, das infolge der Bankrotte mehrerer US-Banken und dem Sturz der Schweizer Großbank Credit Suisse zuletzt jedoch deutlich an Dramatik gewonnen hatte.
Vereinfacht dargestellt geht es um Folgendes: Will die Notenbank gegen die starke Geldentwertung (Inflation) vorgehen, muss sie die Leitzinsen anheben. Angesichts rekordhoher Schuldenstände im Finanzsystem (die Verbindlichkeiten von Staaten, Unternehmen, Banken, Hedgefonds und Haushalten sind so hoch wie nie zuvor) könnte eine Verknappung der Liquiditätszufuhr aber einen Kollaps von Banken und Unternehmen auslösen und die US-Wirtschaft in eine Depression führen.
Die Federal Reserve ist – zugespitzt beschrieben – vor die Wahl gestellt: entweder sie bekämpft die Inflation und nimmt die Möglichkeit einer unkontrollierten Bereinigung des Schuldenüberhangs inklusive Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit in Kauf. Oder sie muss wieder in großem Umfang günstiges Geld ins System spülen, damit Banken, Firmen und Hedgefonds ihre Schulden bedienen können – was der Inflation neue Nahrung geben würde. Eine dauerhaft hohe Inflation birgt aber immense Risiken für die politische und gesellschaftliche Stabilität und kann schwerwiegende Folgen für die betroffenen Staaten haben, wie das Beispiel der Weimarer Republik zeigt.
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Powells Doppel-Strategie
Bislang setzte die Federal Reserve auf kontinuierliche Zinsanhebungen und damit eine Verschärfung der Finanzierungsbedingungen. Seitdem nun mit der Silicon Valley Bank, der First National und der Signature Bank die ersten Geldhäuser gekippt sind, scheint die Zentralbank auf eine Doppelstrategie zu setzen:
Die Inflation soll offenbar weiterhin mit Zinsanhebungen bekämpft werden. Zugleich wird Banken, die in Schieflage geraten sind, mithilfe des neuen Notfall-Kreditprogramms namens „Bank Term Funding Program“ (BTFP) Zugang zu Notkrediten in theoretisch unbegrenzter Höhe gewährt und die von Bankpleiten betroffenen Einleger (so zumindest im Fall der SVB) indirekt vom Staat gerettet. Offenbar wird das BTFP rege in Anspruch genommen, denn die Bilanzsumme der Federal Reserve ist innerhalb weniger Tage schlagartig um etwa 300 Milliarden Dollar angestiegen (Stand 17. März).
Das internationale Pendant zum Bank Term Funding Program stellt eine Notfall-Vereinbarung über Dollar-Swapgeschäfte dar, welche die großen Zentralbanken des Westens vor einigen Tagen aktivierten und das angesichts seiner Natur als Rettungsinstrument ebenfalls wie das BTFP ein Indiz für großen Stress im Finanzsystem ist.
Völlig unabsehbar sind aber die Folgen dieser riskanten Doppel-Strategie, im Automobilbereich vergleichbar mit dem gleichzeitigen Durchdrücken des Gaspedals (Fluten des Bankensektors mit neuen Milliarden aus dem Nichts) und der Bremse (Leitzinsen werden weiter angehoben). Denn die vom BTFP bereitgestellte Liquidität verschärft den Geldüberhang und feuert die Inflation weiter an, die später durch umso radikalere Maßnahmen wieder gestutzt werden muss.
Teures Gut Vertrauen
Es ist sehr wichtig zu betonen, dass die derzeit virulenten Schwierigkeiten im Bankensystem nicht mit dem Kollaps der Silicon Valley Bank begannen, sondern seit der Finanzkrise von 2008 in ihren Grundzügen erkennbar waren – von den Zentralbanken jedoch mit aus dem Nichts geschöpften Billionen und einer über Jahre andauernden Nullzinspolitik sowie massiven Anleihekäufen überdeckt wurden.
Auf diesem Nährboden entstand die nun akute Krise – dann nämlich, als die Notenbanken angesichts stark steigender Inflationszahlen zu einer geldpolitischen Straffung gezwungen wurden.
Doch auch schon vor den ersten Zinsanhebungen der Federal Reserve im Frühling 2022 zeigte das Finanzsystem deutliche Stresssymptome:
- So brach, für die Öffentlichkeit vollkommen unerklärlich, im Herbst 2019 plötzlich eine Krise auf dem US-amerikanischen Repo-Markt aus, welche die Federal Reserve nur durch Mobilisierung massiver Interventionen in Billionenhöhe in den Griff bekam. In ihrer Essenz war die Repo-Krise 2019/2020 ein erster Hinweis darauf, dass sich die Banken zunehmend weniger vertrauten, weil sie angesichts steigender Leitzinsen die Ausfallwahrscheinlichkeit von Schulden und die Bonität ihrer Gegenparteien neu bewerteten.
- Im März 2021 konnte der amerikanische Hedgefonds Archegos Capital Management Nachschussverpflichtungen gegenüber seinen Geldgebern nicht mehr nachkommen (ein sogenannter „Margin Call“) und musste Insolvenz anmelden. Der Schaden für die Gläubiger (unter anderem war die Credit Suisse betroffen) belief sich auf mehrere Milliarden Dollar. Der Fall Archegos ist ein Paradebeispiels dafür, wie die Krise eines einzelnen Akteurs sich wegen der engmaschigen systemischen Vernetzung zu einem Flächenbrand ausweiten kann.
- Ebenfalls im März 2021 musste die australische Gesellschaft Greensill Capital wegen ähnlicher Zockereien Insolvenz anmelden, was auch für die in Bremen ansässige Greensill Bank Folgen hatte. Auch im Greensill-Fall taucht die Credit Suisse übrigens als geprellte Gläubigerin auf.
Die gegenwärtige Krise ist deshalb so riskant, weil das wichtigste Gut im Finanzsystem, so wie es heute konzipiert ist, erodiert – das Vertrauen in die anderen Marktteilnehmer und die Zentralbank.
Denn nachdem US-Präsident Richard Nixon im August 1971 die Goldbindung des US-Dollars einseitig aufgekündigt hatte, waren die Finanzmarktteilnehmer fortan komplett auf das Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Gegenparteien und Behörden und die Wertstabilität des Geldes angewiesen, weil ihnen die Flucht in Edelmetalle, welche bis 1971 das „richtige Geld“ darstellten (Bargeld und Bankeinlagen waren letztendlich nur „Anrechtsscheine“ für Gold), verwehrt blieb.
Dieses Grundvertrauen wurde von den Ereignissen der vergangenen Wochen erschüttert. Es bleibt abzuwarten, ob es der Federal Reserve und anderen Zentralbanken gelingen wird, das Misstrauen mit der oben beschriebenen Doppelstrategie aus Leitzinsanhebungen und Rettungsgarantien zu lindern.