Finanzen

Der nächste Dominostein? Märkte wetten auf Pleite der Deutschen Bank

Lesezeit: 7 min
02.04.2023 09:17  Aktualisiert: 02.04.2023 09:17
Die Rettung der Credit Suisse war nur der erste Dominostein in der Bankenkrise. Die Finanzmärkte haben sich jetzt auf die Deutsche Bank eingeschossen – aus guten Gründen. Auch die UBS scheint angeschlagen.

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Nach der turbulenten Rettung der Credit Suisse durch den Konkurrenten UBS wird es nicht ruhiger im Bankensystem. Der für die Refinanzierung der Banken so wichtige und 250 Milliarden Dollar schwere Markt von Nachrang-Anleihen (englisch „Coco-Bonds“) droht auszutrocknen, nachdem eben solche Anleihen der Credit Suisse von der Schweizer Finanzaufsicht für wertlos erklärt worden waren. Es ist damit zu rechnen, dass Investoren an Banken und die Finanzhäuser untereinander deutlich weniger Kredite und diese deutlich wählerischer vergeben werden. Durch die Zinswende haben sich die Finanzierungsbedingungen ohnehin schon erheblich eingeengt. Eine Kredit-Krise wäre fatal, ist aber alles andere als auszuschließen.

Deutsche Bank unter Druck

Die Finanzmärkte sind misstrauisch und zunehmend unruhig, was den Zustand des ganzen Bankensystems angeht. Die Deutsche Bank wurde zuletzt besonders heftig abgestraft. Die CoCo-Bonds der Großbank sind so stark im Kurs eingebrochen, dass deren Rendite aktuell bei 22 Prozent liegt. Eine Nachrang-Anleihe im Gesamtwert von 1,5 Milliarden Dollar mit Fälligkeit in 2028 soll jetzt zurückgekauft werden, was aber nur ein Symptom und nicht die möglichen Ursachen des Misstrauens bekämpft.

Die Prämien für Kreditausfallversicherungen („CDS Spreads“) auf Schuldtitel der Großbank haben sich in wenigen Tagen mehr als verdoppelt und liegen derzeit bei 2,2 Prozent. Vor zwei Wochen lagen die Prämien noch bei 0,7 Prozent. Dazu muss man jedoch wissen, dass der CDS-Markt nicht besonders liquide ist. Laut Informationen von Bloomberg soll eine einzige Order in Höhe von 5,4 Millionen Dollar entscheidend für den enormen Anstieg der Versicherungsprämie gewesen sein.

Die Aktien der Deutschen Bank hatte es nach der Credit-Suisse-Abwicklung mit minus 10 Prozent auch kräftig nach unten gezogen. Attacken von Leerverkäufern spielten dabei eine wichtige Rolle, wie das Handelsblatt berichtet. Mittlerweile konnte sich der Kurs ein wenig erholen, aber es bleibt abzuwarten ob dies nachhaltig ist oder ob es weiter nach unten geht. Ähnliches gilt für Europas Bankenindustrie insgesamt. Der Eurostoxx Bank-Index ist schon seit der SVB-Pleite im Abwärtstrend.

Deutschlands größtes Finanzinstitut ist zwar seit vielen Jahren ein Sorgenkind, jedoch gab es in jüngster Zeit mehr Positives als Negatives zu vermelden. Nach außen wurde der Anschein vermittelt, dass sich die Bank von den vielen Jahren mit großen Verlusten erholen würde. Seit 2019 verfolgt man einen Sanierungsplan – mit dem Ziel, die Kapitalrendite auf 8 Prozent zu steigern. Dazu wurden im Rahmen eines Kostensenkungsprogramms massiv Mitarbeiter abgebaut. Zudem wurde das Kerngeschäft weg vom volatilen und US-fokussierten Investmentbanking hin zum vermeintlich nachhaltigeren Kreditgeschäft mit Unternehmens- und Privatkunden verlagert.

Auf den ersten Blick war die Strategie erfolgreich. Die Deutsche Bank wies 2022 einen ansehnlichen operativen Profit von 6,8 Milliarden Euro aus, wobei mit einem Nettogewinn von 5 Milliarden Euro diese Kennzahl das dritte Jahr in Folge gesteigert werden konnte (2020: 113 Millionen; 2021: 1,94 Milliarden). Alle drei großen Geschäftsbereiche (Investmentbank, Unternehmensbank, Privatkundenbank) trugen einen zweistelligen Milliardenbetrag zum Vorsteuergewinn bei.

„Die Transformation der Deutschen Bank in den vergangenen dreieinhalb Jahren war ein Erfolg“, sagte der Vorstandsvorsitzende Christian Sewing damals bei der Verkündung der Quartalszahlen. „Indem wir uns auf unsere Stärken konzentriert haben, sind wir deutlich profitabler, diversifizierter und effizienter geworden. 2022 haben wir das beste Ergebnis seit fünfzehn Jahren erzielt. Dank der disziplinierten Umsetzung unserer Strategie konnten wir unsere Kunden in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld unterstützen und mit strikter Risikodisziplin und einer soliden Kapitalsteuerung unsere Widerstandskraft beweisen. Mit dieser Aufstellung fühlen wir uns gut gerüstet für die kommenden Jahre.“

Sewing betonte auch, dass das regulatorische Kernkapital (welches einen bestimmten Wert nicht unterschreiten darf, bevor neue Kredite vergeben werden) auf 13,4 Prozent gestiegen ist.

Märkte sind unruhig, Aufsichtsbehörden sehen aber keine Probleme

Warum ist der Kapitalmarkt dennoch so skeptisch? Auf den ersten Blick ist es nicht so, als ob die Deutsche Bank zu den großen Verlierern der defacto-Pleite der Credit Suisse gehört. Die Großbank hielt nur knapp 10 Millionen Euro an Aktien der Schweizer Traditionsbank und der Ausfall der Coco-Bonds traf in erster Linie asiatische Investoren. Offiziellen Zahlen der Schweizer Notenbank zufolge halten deutsche Banken Forderungen an das Schweizer Bankensystem in Höhe von 11,5 Milliarden Euro. Wie der täglich von der Netfonds AG veröffentlichte Hellmeyer-Report unter Berufung auf Banken-Insider in Frankfurt berichtet, ist das Exposure deutscher Banken gegenüber der Credit Suisse jedoch nicht von Bedeutung.

Dass Investoren seit Beginn der Bankenkrise generell risikoscheu agieren, ist eine Erklärung. Ein Grund für die Nervösität speziell bezüglich der Deutschen Bank könnte folgender sein: Die Risikovorsorge im Kreditgeschäft betrug 2022 nur 1,2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Branchenprimus J.P. Morgan legte 2022 umgerechnet 6,9 Milliarden Euro für drohende Verluste zurück. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Bilanzsumme der Deutschen Bank nur grob ein Drittel der des US-Platzhirsches beträgt, so hat J.P. Morgan trotzdem doppelt so viel in die Risikovorsorge gesteckt.

Ist die Frankfurter Großbank dem Markt hier nicht konservativ genug? Insgesamt hat die Deutsche Bank Kredite in Höhe von 500 Milliarden Euro in der Bilanz. Das Kerngeschäft mit Unternehmens- und Immobilien-Krediten dürfte in der drohenden Rezession unter die Räder kommen. Im Gewerbeimmobilien-Segment, wo die Deutsche Bank laut Zahlen von „Autonomous Research“ im großen US-Markt mit einem Engagement von rund 17 Milliarden Dollar präsent ist, brodelt es schon jetzt gewaltig.

Dass laut europäischer Bankenaussicht, den Stresstests der EZB und deren Vorsitzender Christine Lagarde der europäische Bankensektor solide aufgestellt und widerstandsfähig sei, kann man auch als Kontraindikator interpretieren, lagen die Behörden in der Vergangenheit doch ständig daneben. Olaf Scholz meint derweil, die Deutsche Bank sei „sehr profitabel“ und demnach bestehe kein Grund zur Sorge. Wir interpretieren seine Aussage dahingehend, dass es hinter den Kulissen wahrscheinlich lichterloh brennt.

Zufälligerweise (?) wird ausgerechnet jetzt das Onlinebanking bei der Postbank für mehrere Tage ausfallen. Grund seien Wartungsarbeiten im Rahmen der Verknüpfung der IT-Systeme. Vielleicht möchte man aber auch nur einen digitalen Ansturm auf die Kundeneinlagen verzögern.

Versteckte Risiken in der Bilanz

Die interne Bad Bank, euphemistisch als Einheit zur Freisetzung von Kapital (CRU) bezeichnet, baute im Jahr 2022 weiter Risiken ab und reduzierte ihre Kosten. Nun habe die CRU-Sparte ihren Zweck erfüllt. Ab diesem Jahr wird sie nicht mehr als eigenes Segment ausgewiesen. Damit verschwinden aber nicht die Risiken. In der Bad Bank wurden vor allem notleidende Kredite und toxische Hypotheken-Papiere ausgelagert. Die CRU-Sparte machte mehr als 10 Prozent der Bilanzsumme aus und hatte seit ihrer Gründung nur Milliardenverluste angehäuft.

Mit einem Kapitalbasis von 64 Milliarden Euro, was bei einer Bilanzsumme von 1.330 Milliarden einer harten Eigenkapitalquote von 4,8 Prozent entspricht, ist die Deutsche Bank unzureichend kapitalisiert und alles andere als krisenfest. J.P. Morgan ist auch hier mit knapp 9 Prozent EK-Quote deutlich besser aufgestellt.

Übrigens: Die UBS ist ebenfalls unterkapitalisiert. Vor der großen Übernahme betrug ihre harte Eigenkapitalquote nur 6 Prozent und hat sich in den letzten Jahren trotz konstanter Gewinne sogar verringert. Das ist bedenklich, denn in der Bilanz der Credit Suisse könnten sich so manche Risiken und toxische Assets verstecken, die die Kapitalbasis weiter gefährden. In der letzten Finanzkrise musste die Schweizer Großbank mit Staatsgeldern gerettet werden. Da überrascht es nicht, dass sich die CDS-Prämien für Kreditausfallversicherungen auf Schuldpapiere der UBS nach der Übernahme verdoppelt haben.

Beim aktuellen Aktienkurs wird die Deutsche Bank zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von mickrigen 4,5 gehandelt. Wenn die Geschäftsentwicklung zuletzt so positiv war, warum ist die Bank dann immer noch so günstig zu haben? Das Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt bei 0,3. Das ist ein klares Signal, dass die Märkte der Bilanz nicht wirklich trauen. Offensichtlich sorgen sich Anleger um unrealisierte Verluste, die bei einer erzwungenen Neubewertung von Assets im Anleihe-Segment bedrohlich werden können (siehe SVB-Debakel) und (Kreditausfall-)Risiken, die in der Bilanz nicht oder nur unzureichend abgebildet sind.

Blackbox Derivate-Portfolio

Was gibt es noch für mögliche Gründe dafür, dass es schlagartig so viel teurer geworden ist, sich gegen eine Insolvenz der Deutschen Bank zu versichern? Nun, in der Finanzwelt wird seit vielen Jahren über das gigantische Derivate-Portfolio mit einem Nennwert von rund 42 Billionen (42 Tausend Milliarden) Euro gemunkelt.

Der Marktwert der Finanzinstrumente beträgt laut Expertenschätzungen grob eine Billion Euro. In einem großen Finanzcrash, bei dem es zu einem Ausfall von Gegenparteien im Derivategeschäft käme, könnten hier astronomische Verluste weit über diesen Betrag hinaus entstehen. Laut „Autonomous Research“ sind zwar nur 13 Billionen Euro des Derivate-Buchs nicht über Clearing-Häuser abgewickelt, welche dieses Gegenpartei-Risiko eliminieren sollen. Aber schon ein Marktwertverlust von 10 bis 20 Prozent wäre quasi nicht zu verkraften. Entscheidend ist jetzt, wie gut das Risikomanagement der Bank im Derivate-Bereich war und ist.

Hierzu sei noch einmal der Fokus auf den globalen Anleihemarkt gerichtet. Dieser ist etwa 150 Billionen Dollar schwer. Unter den englischen Begriff „fixed income assets“ fallen nicht nur klassische Schuldtitel unterschiedlichster Risikokategorien, sondern zum Beispiel auch als Wertpapier gebündelte Kredite wie Hypotheken-besicherte Anleihen. Die meisten Papiere haben eine Laufzeit von zwei Jahren oder mehr. Durch die Zinswende sind hier grob geschätzt Verluste in der Größenordnung von 20 Billionen Dollar oder noch mehr angefallen. Diese Verluste schlummern größtenteils (unrealisiert) in den Bilanzen von Banken und institutionellen Investoren. Wie das Beispiel von SVB und Credit Suisse zeigt, können solche Verluste aber schnell an die Oberfläche gelangen.

Smarte Marktteilnehmer setzen sich solchen Risiken indes nicht einfach aus. Derivate werden unter anderem dazu genutzt, um sich gegen Zinsänderungsrisiken abzusichern. Ob die Deutsche Bank hier als dominanter Versicherer auf der falschen Seite steht? Die Antwort darauf kennt wohl nur das Institut selbst. Konkurrenten wie Barclays, J.P. Morgan und Goldman Sachs haben ähnlich große Derivate-Bücher und es ist nicht öffentlich bekannt, wer hier im Zinsmarkt das größte Exposure hat. Der Unterschied ist, dass die Konkurrenz nicht dieselbe Leidensgeschichte hinter sich hat.

Ein Lehmann-Moment bei der Deutschen Bank käme wahrscheinlich von heute auf morgen. Man sollte deshalb weiter genaustens die Entwicklung der CDS-Prämien verfolgen. Frühere Finanzkrisen haben gezeigt, dass es durchaus Frühsignale gibt, wenn sich etwas gewaltiges zusammen braut. Und zwar genau dann, wenn sich große Akteure wie Investmentbanken und Hedgefonds auf Teufel komm raus in allerletzte Sekunde gegen Risiken versichern oder Verluste wenigstens noch minimieren wollen. Im Falle der Deutschen Bank würde sich das dann daran zeigen, dass die CDS-Spreads sprungartig in ungeahnte Höhen schnellen, weil plötzlich Kauforders im Wert von hunderten Millionen Dollar in einen eher illiquiden Markt reinkommen. Die jüngste Explosion der Versicherungsprämien ist in diesem Kontext äußerst besorgniserregend.

Natürlich könnte es sich dabei auch um eine übertriebene Marktreaktion handeln. Investoren sollten sich auf die Fundamentaldaten der Bank konzentrieren, meint der Analyst Kian Abouhossein von J.P. Morgan. Er verweist unter anderem auf die Profitabilität und die „starken Liquiditätskennzahlen“. Der enorme Anstieg der Risikoprämien sei nicht gerechtfertigt. Citigroup-Stratege Andrew Coombs betonte derweil: „Wir halten dies für einen irrationalen Markt.“

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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