Finanzen

Kredit-Krise: Drama um Credit Suisse wird zum „Alptraum“ für Europas Banken

Lesezeit: 5 min
23.03.2023 10:13  Aktualisiert: 23.03.2023 10:13
Die nicht ohne Kollateralschäden abgelaufene Abwicklung der stark angeschlagenen Schweizer Großbank hat die Finanzmärkte aufgewühlt. Es droht eine waschechte Kredit-Krise. Europas Banken stehen im Kreuzfeuer.
Kredit-Krise: Drama um Credit Suisse wird zum „Alptraum“ für Europas Banken
Auch nach der Abwicklung der Credit Suisse schweben weiter dunkle Risiken über Europas Bankensektor. (Foto: dpa)

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Die Abwicklung der Credit Suisse lief nicht ohne Kollateralschäden ab. Inhaber von Anleihen im Wert von 16 Milliarden Franken (umgerechnet 17 Milliarden Dollar) werden nach der Übernahme der stark angeschlagenen Schweizer Großbank durch die UBS keinen Cent zurückerhalten.

Es handelt sich um sogenannte „AT1-Anleihen“, welche eine unbegrenzte Laufzeit besitzen. Solche Schuldtitel wesen eine deutlich höhere Verzinsung als normale Anleihen auf, können aber vom Emittenten unter bestimmten Umständen (zum Beispiel enormer Kursverfall der Anleihe, Liquiditätsnot, bedrohlich niedrige Eigenkapitalquote) automatisch in Aktien - also Eigenkapital - umgewandelt werden können. Außerdem werden AT1-Anleihen von den Schuldnern, falls keine Umwandlung in Aktien stattfindet, häufig irgendwann gekündigt und durch Ausgabe neuer Anleihen wieder refinanziert. Oder aber, sie werden komplett wertlos, wie jetzt im Fall der Credit Suisse.

Die Schweizer Traditionsbank hatte im vergangenen Jahr eine AT1-Anleihe mit einer Rendite von 9,75 Prozent emittiert. Selbst für solche Risikoanleihen, die üblicherweise zwischen 6 und 7 Prozent verzinst sind, ist das ein hohes Niveau. Das zeigt, dass die Märkte nicht erst seit gestern an der Finanzlage der Bank zweifeln.

Die im englischen „Contingent Convertibles“ oder „CoCo-Bonds“ (deutsch: Hybridkapital) genannten Schuldpapiere werden vor allem von Finanzinstituten genutzt. AT1-Anleihen wurden im Rahmen der regulatorischen Reformen nach der globalen Finanzkrise eingeführt, welche die Banken dazu zwangen, ihre Eigenkapitalausstattung zu erhöhen. Im Regelfall legen Schuldner solche Papiere nur dann auf, wenn sie aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten keine bessere Möglichkeit haben an Kapital zu kommen und das Ausfallrisiko dieser Schuldtitel ist demzufolge relativ groß.

Die Entscheidung der Schweizer Finanzaufsichtsbehörde Finma, dass im Zuge des Übernahme-Deals alle AT1-Anleihen der Credit Suisse auf Null abgeschrieben werden müssen, hat die Märkte überrascht. Händler, die am Sonntagnachmittag die Kurse der AT1-Anleihen der Credit Suisse notierten, hatten diese ursprünglich nach oben korrigiert, nachdem die Übernahme durch die UBS bestätigt worden war – in der Erwartung, dass der Deal nicht zu Verlusten für die Anleihegläubiger führen würde. Dass Anleihen einer so großen Bank für wertlos erklärt werden, kommt nur sehr selten vor, wie etwa beim Zusammenbruch von Lehman Brothers in der Finanzkrise 2007/2008 oder der Übernahme des angeschlagenen spanischen Kreditinstituts Banco Popular durch Santander im Jahr 2017.

Die Credit Suisse teilte mit, sie sei erst über den Entscheid der Aufsichtsbehörde informiert worden, als sie die letzten Details ihrer 3 Milliarden Franken schweren Übernahme durch die UBS aushandelte, die am Sonntagabend nach mehrtägigen intensiven Verhandlungen bekannt gegeben wurde.

Durch die Abschreibung der Anleihen verbessert sich schlagartig die Liquiditäts-Situation der strauchelnden Bank, weil die Zinsen nicht mehr bedient werden müssen. Zugleich steigt das regulatorisch wichtige Kernkapital, wie die Finma betonte.

Für den Neueigentümer UBS ist dieser Schritt einer von vielen Faktoren, der die Übernahme attraktiv macht. Einerseits war die Akquisition doch ziemlich billig. 3 Milliarden Franken zahlte man für den langjährigen Rivalen und damit weniger als die Hälfte der damaligen Marktkapitalisierung beziehungsweise ein Zehntel des Buchwerts auf Basis des Aktienkurses. Andererseits stehen Bund und Zentralbank mit zahlreichen Garantien und Krediten bereit, um das Risiko für die UBS so gering wie möglich zu halten. Die Schweizer Nationalbank gab Zusagen über kurzfristige Liquidität in Höhe von 100 Milliarden Franken und einer potentiellen Verlustübernahmen bis zu 9 Milliarden. Zusammen mit den Zusagen des Bundes kann die UBS mit 260 Milliarden Franken an Staatsgarantien planen.

Folgerisiken des Deals

Die UBS wird mit dem Deal zu einem absoluten Powerhouse im internationalen Bankensektor. Das direkte Ansteckungsrisiko sinkt fürs erste, aber das Klumpenrisiko und damit die Tragweite von möglichen künftige Ansteckungseffekten wird dadurch nur noch vergrößert. Die UBS ist jetzt nicht mehr „too big to fail“, sondern „way too big to fail“. Die Bilanzaktiva von UBS und Credit Suisse zusammengenommen machen rund 40 Prozent des gesamten Schweizer Bankensektors und das Doppelte der Schweizer Wirtschaftsleistung aus.

Und obwohl die UBS finanziell besser aufgestellt ist als die Credit Suisse, betrug ihre harte Eigenkapitalquote selbst vor der Übernahme nur rund 6 Prozent (53 Milliarden Franken bei einer Bilanzsumme von 969 Milliarden) und hat sich in den letzten Jahren trotz konstanter Gewinne sogar verringert. Zum Vergleich: Die US-Großbanken wie J.P. Morgan und Citigroup kommen hier auf etwa 10 Prozent. Außerdem könnten sich in der Bilanz der Credit Suisse noch so manche Risiken verstecken, die die Kapitalbasis weiter gefährden.

Die Kapitalmärkte scheinen das ähnlich zu sehen. Die CDS-Prämien für Kreditausfallversicherungen von Schuldtiteln der UBS haben sich nach der Übernahme verdoppelt. Die Versicherungsprämien anderer Großbanken wurden mit den Turbulenzen um die Credit Suisse mit nach oben gezogen, haben sich aber größtenteils wieder erholt.

Die Abschreibungen dürften darüber hinaus Folgeeffekte haben, unter denen die UBS zu leiden haben wird. Der Financial Times zufolge berichteten mehrere Personen, die an den Verhandlungen über den Deal beteiligt waren, dass der Bail-In weitreichendere Auswirkungen haben würde und wahrscheinlich zu einem Ausverkauf und damit enormen Kursverlusten anderer Bankschuldtitel – nicht nur solchen der Credit Suisse – führen würde. Darüber hinaus wird es für jede Bank in Zukunft deutlich schwieriger werden, Coco-Bonds zu platzieren - was bei einem 260 Milliarden Dollar großen Schulden-Markt nicht unerheblich ist.

„Was die Finma getan hat, wird langfristige Folgen für alle Schweizer Finanzschulden haben“, sagte ein geschädigter Anleihe-Investor. Ein Banker sagte, die Entscheidung könne zu einem „Alptraum“ auf den europäischen Anleihemärkten führen. Es hätte auf jeden Fall dramatische Auswirkungen, wenn die Kreditversorgung im Bankensystem zum Erliegen kommt.

Europäische Banken im Kreuzfeuer

Coco-Bonds werden in der Regel von professionellen Anlegern und Hedgefonds gehalten, sind aber auch bei Privatanlegern und Vermögensverwaltern in Asien beliebt. Letztere sind von der Annullierung ihres Investments völlig auf dem falschen Fuß erwischt worden. In Europa hielten sich zumindest die direkten Schäden in Grenzen.

Unter der Oberfläche liegt aber einiges im Argen. Offiziellen Zahlen der Schweizer Notenbank zufolge halten deutsche Banken Forderungen an das Schweizer Bankensystem in Höhe von 11,5 Milliarden Euro, was 16,4 Prozent der Ansprüche aller ausländischen Banken entspricht. Laut dem täglich von der Netfonds AG veröffentlichten Hellmeyer-Report berichten Banken-Insider in Frankfurt jedoch, dass das Exposure deutscher Banken gegenüber der Credit Suisse nicht von Bedeutung ist. Unter den Top 40 Anteilseignern von Aktien der Schweizer Traditionsbank befinden sich auch bekannte deutsche Finanzgrößen wie die Allianz mit einer mittelgroßen Position (aktueller Marktwert: 41 Millionen Euro), deren Fondstochter Pimpco mit den wertlosen Anleihen der Credit Suisse einen sehr herben Verlust von 340 Millionen Dollar erlitt.

Nach Einschätzung von EZB und Aufsichtsbehörden ist der Bankensektor widerstandsfähig und besitzt eine starke Kapital- und Liquiditätsausstattung. Tatsächlich sind die Banken heute widerstandsfähiger als damals. Mit 2008 kann man die aktuelle Krise (noch) nicht vergleichen. Die notleidenden Kredite in den Büchern europäischer Banken sind in den letzten zehn Jahren von über einer Billion auf 350 Milliarden Euro gesunken, was nur zwei Prozent aller ausgegebenen Kredite entspricht. Trotzdem sind zehn Prozent von Europas Finanzinstituten nicht profitabel, weil sie ihre Kapitalkosten nicht erwirtschaften können. Zudem bleibt das Zinsrisiko weiterhin hoch und die Bankenkrise sowie allgemeine Nervosität an den Märkten haben die Finanzierungsbedingungen weiter eingeengt.

In den USA ist die Silicon Valley Bank zusammengebrochen, weil man das Zinsänderungsrisiko schlecht gemanaged hat. Wenn die EZB ihren Straffungskurs beibehält und die Zinsen über 4 Prozent (aktuell: 3,5 Prozent) anhebt könnten Europas (Regional-)Banken ähnliche Probleme bekommen. In Südeuropa ist das Risiko von großen Buchverlusten besonders hoch, weil die Finanzhäuser ein gigantisches Portfolio von Staatsanleihen in den Büchern haben. Bei Deutschlands Großbanken sollte man derweil ganz genau auf die Entwicklung der langjährigen Sorgenkinder Deutsche Bank und Commerzbank achten.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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