Weltwirtschaft

Mohn-Anbau-Verbot in Afghanistan: Europa besorgt wegen Fentanyl

Lesezeit: 3 min
01.04.2023 14:43  Aktualisiert: 01.04.2023 14:43
Das Anbauverbot von Mohn in Afghanistan führt in Europa zu einem Mangel an Heroin. Drogenabhängige könnten nun auf das viel gefährlichere Fentanyl umsteigen.
Mohn-Anbau-Verbot in Afghanistan: Europa besorgt wegen Fentanyl
Im Jahr 2017 verzeichnete Afghanistan noch eine Mohn-Ernte mit rund 9000 Tonnen Opium. Das Anbau-Verbot bringt nun Fentanyl nach Europa. (Foto: dpa)
Foto: Rahmat Gul

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Fast das gesamte in Europa konsumierte Heroin stammt aus Afghanistan, wo in den kommenden Wochen ein Verbot des Mohnanbaus in Kraft treten wird. Daher wird auf dem europäischen Markt ein massiver Mangel an Heroin erwartet. Dies macht die Herstellung gefährlicherer synthetischer Opioide wie Fentanyl lukrativer, die man Heroin-Abhängigen als Ersatz verkaufen kann. Fentanyl ist 50 Mal stärker als natürliches Heroin, sodass eine Überdosis viel leichter möglich ist. Fentanyl fordert in den USA jedes Jahr Zehntausende von Menschenleben.

Die Taliban haben den Mohnanbau bereits im April 2022 verboten, nachdem sie 2021 die USA aus dem Land gejagt und die Kontrolle über Afghanistan zurückerobert hatten. Die Ernte des letzten Jahres war aber von dem Verbot ausgenommen, um den Bauern eine Übergangsfrist zu gewähren. Die ersten Auswirkungen werden sich erst mit der diesjährigen Ernte im April zeigen. Es dauert zwischen einem Jahr und 18 Monaten, bis die Ernte als Heroin den europäischen Markt erreicht, so dass die Regierungen bis zum nächsten Jahr Zeit haben, bevor die Auswirkungen spürbar werden.

"Wenn das Verbot der Taliban zu einem drastischen Rückgang des aus Schlafmohn hergestellten Heroins führt, besteht die Möglichkeit, dass wir mehr synthetische Opioide sehen werden", zitiert Politico Paul Griffiths, den wissenschaftlichen Direktor der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD). "Es scheint seltsam zu sein, dies zu sagen, aber in Bezug auf synthetische Opioide ist die hohe Verfügbarkeit von Heroin im Moment wohl ein schützender Faktor", so Griffiths. Die Geschichte bestätigt seine Befürchtungen.

Die Taliban hatten im Jahr 2000 schon einmal ein Opiumverbot verhängt, das zu einer Heroinknappheit in Europa führte. Kurz darauf tauchte Fentanyl hier zum ersten Mal auf. "Ab den frühen 2000-er Jahren hatten wir in den baltischen Staaten, insbesondere in Estland, ein Problem mit Fentanyl, das für eine recht hohe Zahl drogenbedingter Todesfälle verantwortlich war", so Griffiths. Erst 2017 war die Fentanyl-Krise in Estland vorbei, da die Behörden viele Produzenten ausschalten konnten. Doch Estland hat weiter den höchsten Anteil an tödlichen Überdosierungen mit Fentanyl in der EU.

Fentanyl-Krise in den USA

In den USA starben im Jahr 2020 mehr als 58.000 Menschen an einer Überdosis Fentanyl, in der EU waren es 97. Und im letzten Jahr erreichte die Zahl der Todesfälle durch synthetische Opioide, die meist auf Fentanyl zurückzuführen sind, in den USA 68.000. Die Opioid-Epidemie in den USA ist jedoch vor allem auf die große Zahl ärztlicher Verschreibungen zurückzuführen, die in den 1990-er Jahren zur Schmerzbehandlung ausgestellt wurden. Dies führte zu Überdosierungen bei den Schmerzmitteln selbst sowie zu einer Zunahme der Abhängigkeit, die zu illegalem Heroinkonsum führte.

Seitdem ist Fentanyl nach Angaben der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den breiteren Markt für illegale Drogen in den USA eingedrungen. Fentanyl ist in vielen illegalen Substanzen enthalten, etwa in gefälschtem Xanax, einem Medikament gegen Angstzustände, aber auch in sogenannten Partydrogen wie dem ursprünglichen "Ecstasy" MDMA, Kokain und sogar Cannabis. Die am schnellsten wachsende Gruppe bei den Todesfällen durch Überdosierung in den USA sind Teenager.

Im Gegensatz dazu sind weitaus weniger Europäer durch verschreibungspflichtige Medikamente abhängig geworden. Daher ist die Hauptrisikogruppe für Fentanyl wahrscheinlich die weitaus geringere Zahl der Heroinabhängigen. Auch die illegale Herstellung von synthetischen Opioiden ist in Europa viel weniger verbreitet. "In Europa sind die Verschreibungsraten in vielen Ländern nicht unbedingt geringer als in den USA, aber das geht nicht auf den illegalen Opioidkonsum oder die illegale Herstellung von Opiaten über", so Arnt Schellekens, Professor an der Radboud University Medical School in den Niederlanden.

Jüngste Analysen der EBDD zeigen, dass die Menge an Fentanyl, die auf dem europäischen Markt auftaucht, rückläufig ist - aber die Zahl der neuen Opioide steigt. "Der Markt passt sich dem Druck der USA und der chinesischen Maßnahmen zur Reduzierung von Fentanyl an. Und wir sehen, dass andere neue synthetische Opioide auftauchen. Diese sind zunächst unkontrolliert, sie sind schwer zu erkennen, die Menschen sind sich ihrer nicht bewusst und sie sind immer noch hochwirksam", sagte Griffiths.

Europol-Sprecher Jan Op Gen Oorth glaubt, dass die Gefahr für Europa in Fentanyl-Mischungen liegt. "Es ist wohl unwahrscheinlich, dass eine Droge mit dem Namen Fentanyl oder China White, China Doll oder Sudden Death oder wie auch immer sie heißt ... einfach auf dem europäischen Markt auftaucht", sagte Op Gen Oorth. "Was wir im nächsten Jahr hier und da sehen könnten, sind Gruppen, die versuchen, eine andere Droge mit Fentanyl zu mischen. Das schafft neue Märkte, denn Fentanyl ist billig und macht stark süchtig."


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