Politik

Neue geopolitische Ordnung: Afrika zwischen Krise und Aufbruch

Lesezeit: 6 min
07.04.2023 09:40  Aktualisiert: 07.04.2023 09:40
Afrika strebt auf und spielt in der multipolaren Weltordnung eine eigene Rolle jenseits von USA und China, sagt der Ökonom Christian Hiller von Gaertringen.
Neue geopolitische Ordnung: Afrika zwischen Krise und Aufbruch
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Dezember bei Namibias Präsident Hage Gottfried Geingob. (Foto: dpa)
Foto: Bernd von Jutrczenka

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Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Hiller von Gaertringen und Gründer der Beratungsgesellschaft Africa Partners GmbH erläutert im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsordnung, welche Rolle Subsahara-Afrika in Zukunft in einer multipolaren Weltordnung spielen könnte - und warum wir unsere Aufmerksamkeit nicht allein dem Duell zwischen den USA und China widmen sollten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihrem Buch „Die Neuordnung der Welt“ geht es nicht allein um das allbekannte Duell zwischen China und den USA. Auch die sogenannten Schwellenländer rücken Sie in den Fokus. Kommen diese in der öffentlichen Wahrnehmung und der öffentlichen geopolitischen Debatte zu kurz?

Christian Hiller v. Gaertringen: Wir haben die Entwicklung in den Schwellenländern in den vergangenen Jahren unterschätzt und sind in dem Glauben verhaftet geblieben, die Welt drehe sich weiter um Europa. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Schwellenländer ist ihr politisches Selbstbewusstsein gestiegen. Das haben beispielsweise die Abstimmungen bei den Vereinten Nationen gezeigt, als der Westen Sanktionen gegen Russland erreichen wollte. Viele Schwellenländer waren nicht bereit, sich hinter den Westen zu stellen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Für die einen ist der Krieg in der Ukraine einer von vielen, vergleichbar mit denen im Irak, in Libyen und Afghanistan. Für andere sind die Beziehungen zu Russland aus den Zeiten des Unabhängigkeitskampfs immer noch eng.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gerade Subsahara-Afrika erscheint vielen als eine Weltregion, die sich in einem Teufelskreis aus Armut, Korruption und Bürgerkriegen befindet. Zu Recht?

Christian Hiller v. Gaertringen: Die Entwicklung in der Sahelzone verfolge ich mit großer Sorge. Mir fehlt die Vorstellungskraft, wie Gewalt und Terror in dieser Region auf friedlichem Weg beendet werden können. Die Sahelzone droht, für den Westen ein neues Afghanistan zu werden. Andere Teile Afrikas entwickeln sich hingegen in großen Schritten in eine vielversprechende Richtung. Die jüngsten Präsidentschaftswahlen in den beiden großen Ländern Kenia und Nigeria beispielsweise verliefen friedlich und überraschend fair. Aber Sie haben recht: Es gibt in Afrika immer noch zu viel Armut, Korruption und Konflikte. Nur: Wenn wir unser Afrika-Bild auf diese Schlagworte beschränken, erkennen wir nicht, in welch vielfältiger Weise und mit welcher Dynamik sich Afrika entwickelt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können Sie uns zwei Beispiele für afrikanische Länder nennen, die sich in den letzten Jahren eine wirtschaftlich und politisch positive Entwicklung genommen haben. Was sind die Gründe dafür?

Christian Hiller v. Gaertringen: Da fällt mir zum einen Marokko ein. Das Land hat sich enorm entwickelt. Tanger ist zu einem bedeutenden Produktionsstandort für die globale Luft- und Raumfahrtindustrie geworden. In der Erneuerbaren Energie ist Marokko führend in Afrika. Ein Beispiel ist das Solarkraftwerk bei Ouarzazate, das eine Leistung von rund 600 Megawatt erreicht. Und schließlich expandieren viele afrikanische Unternehmen mit großem Erfolg in das übrige Afrika. Marokko ist dadurch ein Sprungbett in den afrikanischen Markt geworden. Im Falle Marokkos hat sich positiv ausgewirkt, dass König Mohamed VI. sehr weitsichtig agiert und eine klare Vorstellung davon hat, wie sich das Land entwickeln soll.

Auch Kenia hat sich sehr gut entwickelt. Vor allem in der Digitalisierung ist das Land führend. In Nairobi finden sich mehrere Gründerzentren, in denen sehr erfolgreiche Start-ups entstehen. Selbst amerikanische Risikokapitalfonds sind in Nairobi präsent, um an dieser Entwicklung teilzuhaben. Vor allem aber ist in Kenia eine wohlhabende Mittelschicht entstanden. Das Land hat unzählige mittelständische Unternehmen in den verschiedensten Branchen hervorgebracht. Diese Vielfalt macht die Stärke der Wirtschaft aus. Kenia hat dabei mit Sicherheit davon profitiert, dass es ein offenes und pluralistisches Land ist und dass sich die Wirtschaft ohne große Gängelung durch die Politiker entwickeln kann.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Subsahara-Afrika spielt auch für das chinesische Projekt der „Neuen Seidenstraße“ eine immer größere Rolle. Geraten die Europäer und Amerikaner hier bezüglich ihres Einflusses ins Hintertreffen?

Christian Hiller v. Gaertringen: Es ist richtig, dass der Einfluss Chinas in Afrika stark zugenommen hat. Vor allem dominiert China heute die großen Infrastrukturprojekte, einen Bereich, den Deutschland völlig vernachlässigt hat, weil wir den Schwerpunkt lieber auf die Entwicklungszusammenarbeit legen wollten. Heute wissen wir, dass sich die Wirtschaft nicht ohne eine leistungsfähige Infrastruktur entwickeln kann. Wir sollten jedoch nicht China kopieren, sondern uns auf unsere Stärken besinnen und Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika aufbauen, die auf Fairness, Respekt und Wertschätzung beruhen.

Vor allem sollten wir aufhören, Afrika bevormunden zu sollen. Würde sich ein deutscher Politiker herausnehmen, einem amerikanischen Gouverneur vorzuschreiben, wie sich sein Bundesstaat zu Ehen zwischen Minderjährigen oder in der Anwendung der Todesstrafe zu verhalten hat? Bisher reden wir viel darüber, dass wir zu Afrika Beziehungen „auf Augenhöhe“ aufbauen wollen. Wir sollten weniger darüber reden und damit anfangen, entsprechend zu handeln. Denn wir haben Afrika viel zu bieten. Gerade der deutsche Mittelstand und die deutschen Familienunternehmen genießen in Afrika einen guten Ruf, weil sie für ehrliche und faire Geschäftsbeziehungen stehen. Diese Werte sollten wir vorleben, ohne sie anderen aufzwingen zu wollen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Noch heute übt Frankreich über den CFA-Franc Einfluss auf einige seiner ehemaligen Kolonien in Westafrika aus. Können Sie das System des CFA-Francs und dessen Vor- und Nachteile erläutern?

Christian Hiller v. Gaertringen: Der CFA-Franc ist eine Hinterlassenschaft der französischen Kolonialzeit. Tatsächlich sind es zwei Währungen. Es gibt einen Franc CFA mit dem Börsenkürzel XOF für Westafrika und einen mit dem Kürzel XAF für Zentralafrika. Die beiden Währungen haben eine feste Parität von 1 XOF gleich 1 XAF. Beide Währungen waren ursprünglich fest an den französischen Franc gekoppelt und sind heute mit einem festen Wechselkurs an den Euro gekoppelt. 100 Franc CFA sind 0,15 Euro wert.

In den vergangenen Jahren ist der Franc CFA in eine heftige Kritik geraten. Denn lange hatte Frankreich die Währung benutzt, um die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Westafrika zu bestimmen. So hatte Frankreich immer einen Vertreter im geldpolitischen Rat der Notenbanken in den beiden Währungszonen. Dieser konnte direkt finanz- und wirtschaftspolitische Entscheidungen beeinflussen. Auch mussten die Länder die Hälfte ihrer Devisenreserven bei der Banque de France hinterlegen.

Der Franc CFA ist währungspolitisch eine Erfolgsgeschichte. Die Länder, die ihn eingeführt haben, profitieren seit Jahrzehnten von den niedrigsten Inflationsraten in ganz Afrika. Auch wurde der Franc CFA nur einmal abgewertet. Das war in den 1990er Jahren. Und schließlich lag das Wirtschaftswachstum in den Franc-CFA-Ländern in den vergangenen Jahren stets über dem von Subsahara-Afrika. Aber es lässt sich nicht leugnen: Die Mitgliedsländer der Franc-CFA-Zone tauschen Stabilität gegen einen Verlust an Freiheit ein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Heute versuchen diese Staaten den CFA-Franc abzuschütteln und einen eigenen Währungsverbund zu gründen. Wie schätzen Sie die Perspektiven eines solchen ein?

Christian Hiller v. Gaertringen: Einige westafrikanische Länder wollen den Franc CFA aufgeben und eine eigene gemeinsame Währung gründen. Es wird diesen Ländern jedoch schwerfallen, internationales Vertrauen in der neuen Währung aufzubauen. Die Länder, die dieser Währungsunion beitreten könnten, sind auch ökonomisch zu unterschiedlich und zu schwach, um einer solchen Währung die notwendige Glaubwürdigkeit zu verleihen. Nigeria andererseits dürfte wenig Neigung verspüren, einem solchen Währungsverbund beizutreten, denn das Land hat einerseits hohe Einnahmen aus Erdöl, das in Dollar gehandelt wird, und andererseits große Schulden bei der Weltbank, die ebenfalls in Dollar notiert sind. Das Management von Auslandsschulden wird schwieriger, wenn die neue Währung eine schwache werden sollte. Zentralafrika will den Franc CFA ohnehin behalten, mit Ausnahme der Zentralafrikanischen Republik, die eine Kryptowährung als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt hat. Dieses Experiment ist zum Scheitern verurteilt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wenn wir in zwanzig Jahren erneut über eine multipolare Weltordnung sprechen sollten: Bleibt es beim vermeintlichen Duell zwischen den USA und China? Oder wird der Aufstieg heutiger Schwellenländer die geopolitischen Koordinaten in Richtung Süden verschieben?

Christian Hiller v. Gaertringen: Den USA wird es immer schwerer fallen, ihren Rang als Weltführungsmacht aufrechtzuerhalten. Überspitzt formuliert beruht diese Position auf den Flugzeugträgern der Marine, die es den USA ermöglichen, in kurzer Zeit an jeden Krisenherd der Welt zu gelangen. Die Kriege in Syrien, Irak und Afghanistan haben jedoch gezeigt, wie begrenzt dieser Führungsanspruch heute ist. Die Bedeutung Chinas wird weiter zunehmen, und es ist davon auszugehen, dass die politische Führung diesen Zuwachs militärisch, außenpolitisch und wirtschaftspolitisch geltend machen wird.

Ich gehe davon aus, dass wir auf absehbare Zeit eine Welt haben werden, in der sowohl die USA wie auch Europa weiterhin großen Einfluss haben werden. China wird rasch aufschließen. Daneben werden andere Akteure hinzukommen: Indien, Ostasien, Afrika und Länder wie Brasilien. Es werden neue, auch miteinander konkurrierende Allianzen zwischen all diesen Ländern entstehen. Geopolitik und die diplomatischen Beziehungen werden komplexer, wechselhafter und instabiler.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Bleibt die Frage nach dem Geschäftsmodell der alten Industriestaaten. Bleiben sie dann außen vor oder werden sie in einer derartigen Weltordnung erfolgreich bestehen können?

Christian Hiller v. Gaertringen: Das ist meiner Meinung nach noch nicht entschieden. Die Antwort hängt vom politischen Willen der Industriestaaten ab, die im Übrigen ja nur noch wenig Industrie haben. In den vergangenen Jahrzehnten waren wir ja froh, dass Schwellenländer wie Indien, China oder Brasilien uns die schmutzige und energieintensive Industrieproduktion und Rohstoffverarbeitung abgenommen haben, sodass die Luft bei uns besser wurde und wir weniger Energie benötigten.

Für die Zukunft müssen wir uns die Frage stellen, wovon und wofür wir in Zukunft leben wollen und welchen Platz wir in der Weltwirtschaft anstreben. Kurz, wir müssen uns die Frage stellen, was unser künftiges Geschäftsmodell sein soll.

Ich denke, dass wir Europäer einen wertvollen Beitrag zu einer starken, offenen und fairen Weltgemeinschaft leisten können, wenn wir uns auf die Werte konzentrieren, die uns im Westen wichtig sind: Wertschätzung, Toleranz, Freiheit und Achtung vor der Schöpfung. Glücklicherweise haben wir auf diese Werte keine Exklusivität. Viele andere Gemeinschaften auf der Welt teilen diese Werte, und das stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft.

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Info zur Person: Christian Hiller von Gaertringen (*1964) hat Wirtschaftswissenschaften an der Université Lumière Lyon 2 und der Wirtschaftsuniversität Wien studiert. Er war Redakteur bei Wirtschaftswoche, Die Welt sowie der Frankfurter Rundschau und hat als Korrespondent für verschiedene französische Zeitungen (u.a. Le Monde, Le Progrès) in Deutschland gear- beitet. Von 2001 bis 2017 war er Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Geopolitik, bevor er die Beratungsgesellschaft Africa Partners GmbH gründete. Er ist Mitglied des Think-Tanks La Verticale Afrique-Méditerrannée-Europe in Paris zur Integration des Raumes Afrika-Mittelmeer-Europa sowie Mitglied im Beirat des Zentrums für Inter-Disziplinäre Afrika-Forschung (ZIAF) der Goethe-Universität Frankfurt.

Von ihm sind bereits erschienen: Deutsche Bank. Die Macht am Main (Europäische Verlagsanstalt EVA, 2006), Der schöne Schein. Warum Geld doch nicht schmutzig ist (FAZ Buchverlag, 2012), Afrika ist das neue Asien. Ein Kontinent im Aufschwung (Hoffmann und Campe, 2014) und zusammen mit Dr. Peter Zolling Computer sind auch nur Menschen (Carl Hanser, 2017).


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