Der am 30 März vorgestellte Schuldenreport 2023 zeigt: 136 von 152 untersuchten Staaten im Globalen Süden sind kritisch verschuldet, 40 von ihnen sehr kritisch. Prognosen zeigen, dass sich die Situation durch den Krieg in der Ukraine und die globale Zinswende weiter verschlechtern wird. erlassjahr.de und Misereor appellieren daher an die Bundesregierung, dringend notwendige Reformen auf den Weg zu bringen.
"Finanzielle Mittel, die in den Schuldendienst fließen, stehen nicht zur Verfügung, um die immer weiter wachsende Armut, die Klimakrise und den fortschreitenden Hunger zu bekämpfen." Das sei das Drama, das sich in Ländern abspiele, die in der Schuldenfalle stecken, mahnen Vertreter von Misereor und erlassjahr.de angesichts der weiterhin dramatischen Schuldenkrise in Ländern des Globalen Südens. 90 Prozent der extrem armen Menschen weltweit leben in kritisch oder sehr kritisch verschuldeten Ländern. Doch in laufenden Schuldenrestrukturierungen wie jüngst in Sambia und Sri Lanka verhindern wechselseitige Blockaden der Gläubiger rasche und hinreichende Lösungen – zu Lasten der Menschen in den betroffenen Ländern.
Verschuldung nach Corona weiter angespannt
"64 Prozent der Länder im Globalen Süden sind kritisch oder sehr kritisch verschuldet, im Vergleich zu 37 Prozent vor Ausbruch der Corona-Pandemie", erläutert Kristina Rehbein, Politische Koordinatorin von erlassjahr.de die Ergebnisse des aktuellen Schuldenreports. "Die Frage nach dem Ausweg aus der Verschuldungsspirale stellt sich 2023 daher dringender denn je. Die fällig werdenden Schuldendienstzahlungen an ausländische Gläubiger befinden sich auf dem höchsten Stand seit Ende der 1990er Jahre – und der Druck wird weiter steigen." Besonders betroffen sind sehr kritisch verschuldete Staaten. "In drei Vierteln dieser Länder übersteigen die Schuldendienstverpflichtungen die Gesundheitsausgaben", so Rehbein weiter.
Schuldenkrisen behindern Kampf gegen den Klimawandel
"Krisenverschärfend wirkt, dass viele kritisch verschuldete Länder trotz ihrer desolaten Lage davor zurückscheuen, Umschuldungen frühzeitig in Angriff zu nehmen – auch aus Angst vor negativen Reaktionen der Gläubiger," beschreibt Klaus Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor, die Situation. "Ein Beispiel dafür ist Pakistan, das nicht nur sehr kritisch verschuldet ist, sondern auch zu den Ländern gehört, die am stärksten unter den Folgen der Klimakrise leiden."
Im August 2022 erlebte Pakistan die schwerste Flutkatastrophe seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Trotzdem versucht das Land unter allen Umständen, eine Umschuldung zu vermeiden. "Auch nach der Flutkatastrophe hat Pakistan pünktlich seinen Schuldendienst bedient, trotz der gigantischen Schäden. Wie soll das Land so Mittel für den Wiederaufbau mobilisieren?", so Schilder weiter. Pakistan sei kein Einzelfall. Mitte März etwa hat ein Zyklon schwere Zerstörungen im südlichen Afrika angerichtet, betroffen sind unter anderem das kritisch verschuldete Madagaskar und das bereits jetzt zahlungsunfähige Malawi.
Fatales Zögern – warum G7 und die Bundesregierung jetzt handeln müssen
Auch Blockaden zwischen Gläubigern wie China und dem Pariser Club führen zum Stillstand. Dabei sei jedes weitere Zögern angesichts der wachsenden Herausforderungen fatal: "Statt allein China gegenüber Taten anzumahnen, sollten sich die G7-Länder auf Reformschritte konzentrieren, die sie selbst auf den Weg bringen können," erklären Rehbein und Schilder.
Denn ein großer Teil der Forderungen gegenüber Niedrig- und Mitteleinkommensländern werde von privaten und multilateralen Gläubigern gehalten – und diese unterlägen überwiegend der politischen Verantwortlichkeit der G7- und EU-Staaten. Die Hauptverantwortung dafür, dass Schuldenerlasse rasch und in ausreichender Höhe gewährt werden, liege damit auch bei Staaten wie Deutschland.
"Die Bundesregierung muss jetzt ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erfüllen und sich für einen neuen Schuldenmanagementkonsens einsetzen", so Rehbein und Schilder weiter. "Automatische Moratorien für klimaverwundbare Staaten, Anti-Holdout-Gesetze, unabhängige Schuldentragfähigkeitsanalysen oder der Aufbau eines transparenten Schuldenregisters: Diese und andere Vorschläge liegen auf dem Tisch."
IWF: Enorme Risiken für Finanzstabilität
Die Risiken für die Finanzstabilität haben sich nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) signifikant erhöht. Dies sei eine Folge der jahrelangen Niedrigzinsphase, die wegen der hohen Inflation abrupt beendet worden sei, hieß es am Dienstag im Finanzstabilitätsbericht, den der IWF in Washington veröffentlichte. Der Zusammenbruch mehrerer Banken sei eine deutliche Erinnerung an die Finanzkrise von 2008, auch wenn die Rahmenbedingungen heute ganz andere seien. Oft würden Finanzkrisen eingeläutet von Zinssteigerungen. Banken hätten jetzt aber viel größere Kapital- und Liquiditätspuffer, was einem noch stärkeren Vertrauensverlust entgegenwirke.
In den USA kollabierten im März die Regionalbanken SVB und Signature, weil Kunden massiv Einlagen abzogen. In der Schweiz kämpfte die Credit Suisse mit einer massiven Vertrauenskrise und wurde kurzfristig von der UBS übernommen. Mit dem beherzten Eingreifen der Aufseher und der Politik seien größere Probleme zunächst verhindert worden, attestierte der IWF. Die Stimmung an den Märkten bleibe aber angeschlagen. Es habe bei den Risikomanagementsystemen in Bezug auf Abhängigkeiten von den Zinsen und zum Liquiditätsbedarf Versäumnisse gegeben, ebenso aufseiten der Bankenaufseher.
Die jüngsten Turbulenzen in der Bankenbranche hätten auch den zunehmenden Einfluss von Apps und Internet-Netzwerken aufgezeigt, warnte der IWF. In Lichtgeschwindigkeit habe sich der Abzug von Einlagen verbreitet. Das könne schneller zu Ansteckungseffekten führen und Vorhersagen erschweren. Zunächst scheine eine weitere Ausbreitung aber eingedämmt zu sein. Kleinere Institute könnten allerdings auch das Vertrauen in die Branche erschüttern.