Marktbericht

Nachfragewachstum fördert Rohstoff-Nationalismus

Lesezeit: 5 min
07.05.2023 10:00
Das Ziel, eine Welt mit Netto-Null-CO2-Emissionen zu erreichen, erfordert erhebliche Mengen kritischer Rohstoffe. Doch Angebot und Nachfrage klaffen weit auseinander. Ausfuhrbeschränkungen seitens der Produktionsländer spielen dabei eine wichtige Rolle.
Nachfragewachstum fördert Rohstoff-Nationalismus
Der eine verfügt über die kritischen Rohstoffe, die der andere dringend benötigt: Xi Jinping (l), Präsident von China, und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich. (Foto: dpa)

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Das herausfordernde Ziel, eine Welt mit Netto-Null-CO2-Emissionen zu erreichen, erfordert eine erhebliche Ausweitung nicht nur der Produktion, sondern auch des internationalen Handels mit denjenigen Rohstoffen, die für die Umwandlung der von fossilen Energieträgern dominierten Weltwirtschaft in eine mit erneuerbaren Energietechnologien geleiteten entscheidend sind. In diesem Zusammenhang wird es immer deutlicher, dass Ausfuhrbeschränkungen seitens der Produktionsländer auf den internationalen Märkten für kritische Rohstoffe eine nicht unerhebliche Rolle spielen und sich auf die Verfügbarkeit und die Preise dieser Materialien zukünftig erheblich auswirken können.

Kritische Rohstoffe

In die Kategorie der sogenannten „kritischen Rohstoffe“ fallen laut EU-Definition all jene, bei denen das mit ihnen verbundene hohe Versorgungsrisiko in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass sich die weltweite Produktion zum großen Teil auf nur wenige Länder konzentriert. Oftmals kommt noch hinzu, dass sich der jeweilige Rohstoff nur schwer ersetzen lässt und seine Recyclingquote gering ist. Die Liste dieser hinsichtlich ihrer bestehenden und zu erwartenden wirtschaftlichen Bedeutung sowie des Versorgungsrisikos als kritisch eingestuften Grundstoffe umfasst derzeit 34 Rohstoffe, von „A“, wie Aluminium bis „V“, wie Vanadium.

Deren begrenzte oder abnehmende Verfügbarkeit ist besorgniserregend, denn vom Zugang zu dieser wachsenden Zahl von Rohstoffen hängen sowohl technologischer Fortschritt als auch unsere gewohnte Lebensqualität ab. Beispielsweise finden sich bis zu 50 verschiedene Metalle in einem einzigen Smartphone. Darüber hinaus sind eben diese Rohstoffe eng mit sauberen Technologien, wie Solarpanels, Windturbinen und Elektrofahrzeugen, verknüpft – wenn auch dieses Sauberkeits-Attribut selbst äußerst kritisch betrachtet werden muss (die DWN berichteten bereits darüber).

Massive Nachfragesteigerungen

In ihrer jüngsten Untersuchung kommt die Internationale Energieagentur (IEA) zu dem Schluss, dass die Nachfrage des Sektors für saubere Energie nach Materialien wie Kobalt, Grafit oder Lithium in den nächsten zwanzig Jahren um das Zwanzig- (Kobalt) bis Vierzigfache (Lithium) ansteigen wird. Im Durchschnitt erhöht sich die Nachfrage bis 2030 um das Vier- bis Sechsfache. Dabei sind Aluminium, Kupfer und Eisenerz die drei Metalle mit den meisten Anwendungsfällen in Bezug auf grüne Technologien. Diese drei Rohstoffe werden als einzige sowohl in der Li-Io-Batterietechnologie, in Brennstoffzellen, bei Windenergie und Photovoltaik sowie in elektrischen Motoren eingesetzt.

Anders ausgedrückt: Diese drei Metalle werden eine unverhältnismäßig hohe Nachfrage nach grünen Technologien erfahren, die sich noch zur ohnehin bereits bestehenden Nachfrage nach nicht-grünen Technologien addiert. Und während sich die Produktion von zum Beispiel Lithium, welches mit der Batterie- und Brennstoffzellentechnologie über lediglich zwei Anwendungsfälle verfügt, in der vergangenen Dekade um mehr als 200 Prozent gesteigert hat, sind es eben jene Hochnachfragemetalle, die ziemlich exakt am völlig unzureichenden Sektor-Durchschnittsproduktionsplus von lediglich 30 Prozent liegen.

Begrenztes Angebot

Allein der Blick auf Kupfer verdeutlicht, wie prekär die Angebotsseite eigentlich aussieht. So enthält beispielsweise eine einzige Windkraftanlage, inklusive der nötigen Infrastruktur, im Schnitt gut 30 Tonnen Kupfer. Selbst konservative Prognosen sehen eine Steigerung der heutigen Kupfernachfrage von 25 Mio. Tonnen pro Jahr auf 40 Mio. Tonnen im Jahr 2030, wofür es, nach derzeitigem Wissen, schlicht nicht genügend Lagerstätten gibt. Die tiefhängenden Früchte sind auch hier vollständig geerntet, heutzutage ist die Jagd nach Bodenschätzen teuer und technisch hochkomplex, hinzu kommt, dass der Metallgehalt im Erdreich mit zunehmender Fördertiefe üblicherweise abnimmt. Die Zeiten, in denen Metalle, wie Kupfer, im großen Stil noch im Tagebau gewonnen werden konnten, sind vorbei. Dabei wird der Bedarf der kommenden Jahre Experten zufolge so oder so nicht zu decken sein.

Die Analysten von Wood Mackenzie schätzen, dass bis zum nächsten Jahrzehnt jährlich etwa sechs Millionen Tonnen Kupfer fehlen werden. BloombergNEF erwartet, dass die Nachfrage nach raffiniertem Kupfer bis zum Jahr 2040 um 53 Prozent steigen wird, das Minenangebot jedoch nur um magere 16 Prozent. Und selbst, wenn man wollte – und die entsprechenden Vorkommen bereits entdeckt hätte – man könnte diesen Schatz nicht heben.

Schließlich ist eine Mine nicht bloß ein Loch im Boden, sondern besteht, neben dem selbstverständlichen ausgedehnten Tunnelsystem, aus umfangreicher Infrastruktur, wie Straßen, Wasser- und Stromversorgung, Behausungen und Versorgungsmöglichkeiten der Arbeiter. Manchmal werden Eisenbahnlinien errichtet oder ganze Flughäfen erbaut. Bis eine solche Mine in Produktion gehen kann, vergehen Jahre. Bestes Beispiel ist die riesige, vom Bergbaugiganten Rio Tinto betriebene Oyu-Tolgoi-Mine in der Mongolei. Schwierigkeiten aller Art, technisch, administrativ, politisch, verhinderten 20 Jahre lang (!) die erfolgreiche Inbetriebnahme der derzeit weltweit sechstgrößten Kupfermine.

Protektionistische Regierungen

Wie schon eingangs erwähnt, ist eines der Kriterien, nach denen ein Rohstoff als „kritisch“ eingestuft wird, der Umstand, dass dieser in nur wenigen Ländern überhaupt gefördert werden kann. Und dummerweise handelt es sich dabei oftmals um solche, die „der Westen“ sonst, sprich, ohne das Vorhandensein dieser Bodenschätze, wohl bestenfalls geflissentlich ignorieren würde. So aber ist das Interesse groß, trotz den mit der Produktion der begehrten Rohstoffe verbundenen menschlichen Tragödien – der Begriff „moderne Sklaverei“ ist im Falle der Kobaltförderung im Kongo an dieser Stelle durchaus zutreffend –, und ungeachtet damit in Zusammenhang stehender mannigfaltiger und tiefgreifenden Umweltbelastungen.

Die Regierungen der Förderländer wachen zudem eifersüchtig über ihre natürlichen Ressourcen – und dies wird zunehmend problematisch, denn je bedeutender ein Rohstoff wird, desto mehr verstärkt sich die Neigung zu Restriktionen, und desto weniger sind die Länder bereit, ihn anderen zu verkaufen. Wurden im Jahr 2010 noch gut 4.000 Exportbeschränkungen für das Segment der Industriemetalle registriert, sind es aktuell bereits mehr als 18.000, Tendenz steigend. Man könnte dies beinahe schon als „metallischen Nationalismus“ bezeichnen. Dabei entfallen gut 60 Prozent des weltweiten Wertes an kritischen Rohstoffen allein auf die drei Metalle Kupfer, Aluminium sowie Eisen (und Stahl).

Die Hälfte der zehn wichtigsten kritischen Rohstoffe produziert allein China. Nicht nur in China selbst, sondern vor allem in Afrika. Kobalt beispielsweise, unabdingbar in der Batterieherstellung, wird vorwiegend in der Demokratischen Republik Kongo gefördert, über 70 Prozent der weltweiten Produktion entfallen auf den zentralafrikanischen Staat. Profiteur ist allerdings nicht der Kongo, sondern China, das sich rechtzeitig und sehr energisch die Rechte an den Lagerstätten gesichert hat.

Und nun auf Grund seines eigenen Rohstoffhungers die Ausfuhr seiner Ausbeute streng begrenzt. Andere Top-Produzenten, wie Indonesien, Russland oder Argentinien sind dabei nicht weniger restriktiv. Insgesamt haben sich die Ausfuhrbeschränkungen, bestehend aus beispielsweise Exportsteuern, Lizenzanforderungen, Exportquoten, Minimumpreisen, Zollrestriktionen, etc., in den letzten zehn Jahren bei Erzen und Industriemetallen um das 7,7-fache erhöht, bei Edelmetallen immerhin noch um den Faktor 4,6. China verantwortet dabei mit 20 Prozent den mit Abstand größten Anteil an der Gesamtmenge der gestiegenen Exportrestriktionen.

Mögliche wirtschaftliche Auswirkungen

Es wird sehr deutlich, dass diese kritischen Metalle bereits jetzt zum geopolitischen Spielball geworden sind und die starke Konzentration des Angebots auf einige wenige Erzeugerländer, beziehungsweise Rechteinhaber, zu einer Anfälligkeit des gesamten Systems führt. Das Produktionswachstum bei Metallen und Mineralien, die für den Ausbau grüner Technologie unabdingbar sind, verblasst im Vergleich zur erwarteten künftigen Nachfrage. Die Produktion einiger kritischer Rohstoffe wie Blei, Grafit, Zink und Zinn geht sogar zurück.

Exportbeschränkungen werden eine immer wichtigere Rolle bei der Fragilität/Stabilität der Lieferketten spielen. Dies lässt Abhängigkeiten entstehen, die es aus den Erkenntnissen der jüngsten Vergangenheit tunlichst zu vermeiden gälte. China hatte beispielsweise im Jahr 2010 ein Exportverbot für seltene Erden nach Japan verhängt, was dort zu erheblichem wirtschaftlichen Schaden führte. Die EU importiert eine Reihe von kritischen Mineralien, von denen acht aufgrund hoher Importkonzentration aus China, den USA und der Türkei besonders problematisch sind.

Um das Risiko von Engpässen in der EU besser zu verstehen, ist es notwendig, die gesamte Lieferkette von der Rohstoffgewinnung bis zur Herstellung von Endprodukten zu betrachten. China dominiert nicht nur bei der Rohstoffgewinnung, sondern auch bei der Verarbeitung und Herstellung von Zwischen- und Endprodukten. Beispielsweise befinden sich die größten Lithium-Vorkommen in Südamerika, aber 94 Prozent der Produktion gehen zur Veredelung nach China. 70 Prozent der Kobaltförderung stammen aus der Demokratischen Republik Kongo, wovon 99 Prozent nach China exportiert werden. China hat zudem eine Monopolstellung als größter Abnehmer von Roherz und als größter Produzent von raffinierten Metallen.

Damit besteht für Europa ein erhebliches Risiko von Engpässen bei diesen Rohstoffen. Zwar hat die Europäische Kommission bereits einen Gesetzesvorschlag für kritische Rohstoffe veröffentlicht, mit dem Ziel, die einheimische Produktion, Raffination und das Recycling zu fördern und die Lieferketten zu überwachen. Demnach sollen künftig 10 Prozent des Inlandsbedarfs durch heimischen Abbau, 40 Prozent durch heimische Raffination und 15 Prozent durch Recycling gedeckt werden.

Das ist natürlich ein schöner Plan, jedoch sind bislang keinerlei europäische Kobalt-Lagerstätten ausfindig gemacht worden, die eben jene angedachte Selbstversorgerquote sicherstellen könnten - um nur ein Beispiel zu nennen. Ohne massive Investitionen in die eigene Erschließung dieser Märkte außerhalb Europas und ohne internationale Maßnahmen, wie Freihandelsabkommen oder umfangreiche Exportkredite, mit dem Ziel, die Lieferketten für den heimischen Markt zu diversifizieren, bleibt die EU erpressbar. Dabei sind die globalen, sehr gut diversifizierten und hochliquiden Märkte für Kupfer und Aluminium gute Beispiele dafür, dass dies möglich ist.

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 


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