Technologie

Aufholjagd auf OpenAI und ChatGPT: Die KI-Branche dreht am Rad

Lesezeit: 3 min
15.05.2023 13:20  Aktualisiert: 15.05.2023 13:20
Die KI-Industrie rotiert angesichts der jüngsten Weiterentwicklungen. Das Startup Anthropic will jetzt in Rekordzeit einen zehnfach performanteren Konkurrenten zu ChatGPT aufbauen. Unterdessen hat Google mit seinem hauseigenen Textbot große Probleme.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

ChatGPT ist in aller Munde. Die beeindruckende Sprach-KI von Open AI hat die Tech-Industrie umgekrempelt und die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz auf die nächste Stufe gehoben. Die großen Techkonzerne werfen neuerdings mit dem Begriff „KI“ nur so um sich. Nun will zum Beispiel Amazon seinen Sprachassistenten Alexa mit einem neuen fortschrittlichem KI-Modell ausstatten. Auch Google ist sehr aktiv (mehr dazu später).

Im Internet lassen sich bereits heute laut der Plattform „Newsguard“, die sich der Bekämpfung von Fehlinformation verschrieben hat, unzählige Fake-Nachrichtenseiten finden, die mehr oder weniger offensichtlich mit Inhalten von ChatGPT und ähnlichen Textbots gespeist werden. Spotifiy hat jüngst zehntausende KI-generierte Lieder des Startups „Boomy“ von seiner Plattform gelöscht, weil die Hörerzahlen durch „künstliches Streaming“ (Online-Bots) nach oben manipuliert wurden. Ein weiteres Beispiel: Wie die Financial Times unter Berufung auf das Finanzvergleichsportal „Finder.com“ berichtet, hat ein von ChatGPT zusammengestelltes Aktien-Portfolio in den letzten zwei Monaten beeindruckende Resultate erzielt.

Fünf Milliarden Dollar, um ChatGPT zu übertreffen

Das ruft Nachahmer auf den Plan. An vorderster Stelle steht das 2021 von ehemaligen OpenAI-Mitarbeitern gegründete KI-Forschungsunternehmen „Anthropic“. Die Abspaltung kam zustande, weil die Anthropic-Gründer Sicherheitsbedenken gegenüber der typischen KI-Entwicklung durch große Techkonzerne hatten, berichtet das IT-Nachrichtenportal Heise. In Bezug auf OpenAI ist hervorzuheben, dass das Projekt als gemeinnützige Stiftung startete, mittlerweile jedoch gewinnorientiert operiert und aktuell größtenteils durch Microsoft finanziert wird.

Bis zu fünf Milliarden Dollar will das Startup jetzt in den nächsten zwei Jahren bei Investoren einsammeln, um einen Konkurrenten zu ChatGPT aufzubauen. Seit Gründung konnte bisher grob eine Milliarde Dollar an Wagniskapital aufgetrieben werden.

Der fortschrittliche Sprachbot soll laut Anthropic harmlosere Ergebnisse als GPT liefern und in der Gesprächsführung einfacher zu steuern sein. Das neue KI-System soll zehnmal leistungsfähiger werden als die zum jetzigen Zeitpunkt mächtigsten Exemplare. Diese Information stammt aus Unterlagen, die an potentielle Geldgeber verteilt wurden, um sie von einem Einstieg im Rahmen der nächsten Finanzierungsrunde zu überzeugen. Ob ein Investor oder Interessent die Interna anonym an die Medien weitergegeben hat, oder ob es Anthropic selbst geleakt hat, um für Aufmerksamkeit zu sorgen, ist nicht bekannt.

Die Entwicklung des KI-Modells mit dem vorläufigen Arbeitstitel „Claude-Next“ (nach seinem Vorgänger „Claude“, der laut Angaben der Firma in erster Linie für die interne Sicherheitsforschung verwendet wird) soll in der Größenordnung von etwa 1025 Floating Point Operations (FLOPs) erfolgen – um einige Größenordnungen mehr als andere heute bekannte Systeme, wobei zu GPT-4 solche Angaben nicht vorliegen. Das Training soll auf einem Rechencluster von „mehreren zehntausend GPUs“ geschehen. Damit möchte sich Anthropic einen technologischen Vorsprung gegenüber der aktuellen und zukünftigen Konkurrenz erarbeiten, der quasi nicht mehr aufzuholen wäre.

Das Startup beschreibt Frontier als einen „Algorithmus der nächsten Generation für selbstlernende KI“. Beim Training setze man die von Anthropic entwickelte Methode namens „Constitutional AI“. Dadurch sollen KI-Systeme mit guten menschlichen Absichten verknüpft werden, sodass die Künstliche Intelligenz auf Fragen und Aufgaben in einer vorhersehbaren Weise anhand einer Reihe von vorher definierten Richtlinien und Prinzipien reagieren.

Sicherheitsbedenken bleiben

Anthropic hat sich der KI-Sicherheit verschrieben und einige der Finanziers, darunter der Facebook-Mitgründer Dustin Moskovitz und mehrere hochrangige Google-Mitarbeiter, zählen zu den Mitunterzeichnern des vom Future of Life Institut veröffentlichten offenen Briefs, in dem hochrangige Tech-Vertreter einen Entwicklungsstopp fortschrittlicher KI-Systeme wie ChatGPT fordern. Die Anthropic-Gründer gehen davon aus, dass der disruptive technische Fortschritt in den nächsten zehn Jahren eine große KI-Revolution auslösen wird, die Konzerne und Länder - in dem Versuch nicht den Anschluss zu verlieren - dazu verleiten wird, unter Zeitdruck unsichere KI-Systeme in Betrieb zu nehmen.

Es bleibt aber fraglich, warum Anthropic als ebenso gewinnorientierte Unternehmung in der Erschaffung harmloser KI-Systeme hier einen besseren Job als OpenAI machen sollte. Das Startup präsentiert sich in gewisser Hinsicht als Gegenentwurf zu OpenAI und ChatGPT, will aber zugleich in Rekordzeit deutlich performantere Systeme entwickeln. Auf der Firmenwebsite heißt es dann sogar wörtlich: „Wir wissen nicht, wie wir Systeme so trainieren können, dass sie sich robust und gut verhalten.“

Darüber hinaus hat Google jüngst für eine zehnprozentige Beteiligung 300 Millionen Dollar investiert und plant, Anthropics KI-Systeme in die eigenen Produkte zu integrieren. Das Startup soll sich dazu bereit erklärt haben, Google Cloud zu seinem bevorzugten Cloudanbieter zu machen (aus der Google Cloud dürften also in Zukunft ein erheblicher Teil der Trainings-Daten herkommen). Insgesamt wirkt das vor allem in Bezug auf Datenschutz nicht sehr vertrauenserregend.

Apropos Google. Der Suchmaschinen-Gigant hat anscheinend große Probleme mit seiner hauseigenen Sprach-KI „Bard“, was auch zum Teil das Investment in Anthropic erklären würde. Google möchte die Suchfunktion personalisieren und dazu unter anderem einen KI-Chat einführen. Ob man dafür wirklich das von vielerlei Quellen als desolat beschriebene Bard-System einsetzen möchte?

Laut Bloomberg bezeichnen interne Mitarbeiter-Chats den Sprachbot als „schlimmer als nutzlos“. Bard würde selbst bei einfachen Sachfragen widersprüchliche und teils sogar völlig falsche Antworten liefern. Ebenso wird berichtet, dass Bard unechte Bücher zitierte (ein Problem, das in ähnlicher Form auch bei ChatGPT festgestellt wurde). Derweil hat Google-Chef Sundar Pichai in einem Interview mit CBS zugegeben, dass auch die Entwickler die hauseigene KI nicht wirklich verstehen.

                                                                            ***

Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Panorama
Panorama Amokfahrt von Magdeburg: Trauer, Entsetzen und offene Fragen halten Deutschland in Atem
22.12.2024

Fünf Menschen sind tot, 200 verletzt: Nach der folgenschweren Fahrt mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt in Magdeburg stellt sich die...

DWN
Politik
Politik Donald Trump hofft: Elon Musk übernimmt (noch) nicht die US-Präsidentschaft
22.12.2024

Kritiker nennen den Tech-Milliardär süffisant «Präsident Musk». Donald Trump stellt klar, wer das Sagen hat - bestreitet aber auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Politik
Politik Steuern und Abgaben: Mehrheit der Steuerzahler zahlt 2025 noch mehr – mit oder ohne Ampel!
22.12.2024

Das „Entlastungspaket“ der Ampel ist eine Mogelpackung, denn Steuersenkungen sind nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Ab dem 1. Januar 2025...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Politik
Politik Migrationskrise: Asyl-Rekordhoch in Deutschland und die illegale Migration an den Grenzen geht ungebremst weiter
22.12.2024

In Deutschland leben fast 3,5 Millionen Geflüchtete, von Asylsuchenden über anerkannte Flüchtlinge bis zu Geduldeten. Das ist ein neuer...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...