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28.05.2023 09:57  Aktualisiert: 28.05.2023 09:57
In Deutschland fehlt Wohnraum, und die Bauwirtschaft befindet sich weiter in einer Abwärtsspirale. Ein möglicher Ausweg aus der Krise ist der Gebäudetyp E.
Gebäudetyp E: Einfach (mehr) bauen
Bringt der Gebäudetyp E einen Ausweg aus der Krise beim Bau? (Foto: dpa)

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Die Situation im deutschen Wohnungsbau könnte verfahrener kaum sein: Es fehlt im Lande an bezahlbarem Wohnraum. Die Bundesregierung hinkt schon jetzt ihrem Ziel hinterher, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu errichten. Und die Bauwirtschaft befindet sich weiter in einer Abwärtsspirale. Grund genug, nach Auswegen aus der Krise zu suchen: Der Gebäudetyp E könnte ein solcher Impuls sein, der dazu beiträgt, den Wohnungsbau aus der Pattsituation heraus zu führen.

Die Idee für den „Gebäudetyp E“ ist nicht neu, sondern laut Prof. AA Dipl. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, in den letzten drei Jahren gewachsen. Dieser neue Gebäudetyp soll dazu beitragen, „Planungs- und Bauprozesse einfacher und schneller voranzubringen“, so Prof. Haack. Es handelt sich bei der Initiative der Bayerischen Architektenkammer nicht um eine direkte Reaktion auf die aktuelle Eskalation im Wohnungsbau. Trotzdem könnte die Initiative dazu beitragen, mittelfristig zu deutlichen Entlastungen auf dem Wohnungsmarkt zu führen.

Das Stocken des Wohnungsbaus hat viele Ursachen: ein überreglementiertes Baurecht, Pandemie, unterbrochene Lieferketten, Ukrainekrieg, steigende Bauzinsen verbunden mit verschärften Anforderungen bei der Vergabe von Baukrediten sowie Inflation und Steigerungen bei Baumaterialien führen zu einer explosiven Mischung. Obwohl die Bundesregierung innerhalb der Legislaturperiode jedes Jahr für 400.000 neue Wohnungen, davon 100.000 neue Sozialwohnungen, sorgen wollte, stockt der Wohnungsbau. Dies wiederum führt zu der grotesken Situation, dass es in dieser Branche zu Entlassungen kommt, obwohl eigentlich ein Fachkräftemangel besteht.

Die Probleme in der Wohnungswirtschaft sind also vielschichtig. Eine Idee alleine wird die verfahrene Situation in der Bau- und Wohnungswirtschaft nicht lösen können. Doch die derzeitige Situation macht deutlich, dass Veränderungen notwendig sind. Und genau darum geht es bei der Initiative zum „Gebäudetyp E“ – um Veränderungen in der Art und Weise, wie in Deutschland künftig gebaut wird. Oder mit den Worten von Prof. Haack: „’E’ wie einfach bzw. experimentell könnte ein entscheidender Faktor dafür sein. Denn zu viele Baunormen machen heute das Bauen nicht nur kompliziert, sondern führen teilweise auch zu absurden Ergebnissen.“

E wie einfach, experimentell und DIN-Norm-entrümpelnd

Um zu verstehen, warum es beim Gebäudetyp E geht, ist zunächst ein Blick auf das deutsche Baurecht erforderlich: In Deutschland gibt es neben den Baurechtsgesetzen auf Bundes- und Landesebene noch rund 3.000 DIN-Normen, die sich auf den Baubereich beziehen. Diese regeln eine Vielzahl an Sonderfällen, die in Spezialfällen durchaus sinnvoll sein können, in der Breite jedoch unnötig, wenn nicht sogar schädlich sind.

Prof. Haack nennt als Beispiel die Abdichtungsnorm zum Schutz vor Feuchtigkeit, die millimetergenaue Materialstärken vorschreibt. „Nicht selten entsteht dadurch ein baulicher Mangel, für den der bauleitende Architekt meist auch noch gesamtschuldnerisch haftet, auch wenn ein echter Schaden dadurch nicht entsteht“, so Prof. Haack weiter. Grundsätzlich sind DIN-Normen kein zwingendes Recht, es gibt jedoch eine Art faktische Bindung an die DIN-Normen. In der Praxis bedeutet das dann, dass Architekten Schadensersatz zahlen müssen, obwohl durch die Nicht-Beachtung einer DIN-Norm gar kein Mangel aufgetreten ist und auch nicht auftreten wird.

Die Initiative der Bayerischen Architektenkammer möchte nun folgenden Weg gehen: Der Gebäudetyp E ersetzt keine bisherigen Gebäudetypen und es kommt auch nicht zur Streichung von DIN-Normen im Baubereich. Vielmehr sollen die DIN-Normen in ihrer Gesamtheit ausdrücklich nicht für den neuen Gebäudetyp E gelten. „Ziel ist es, solche unrealistischen und praxisfernen Anforderungen aufzulösen, ohne dass die Qualität des Gebäudes leidet“, unterstreicht Prof. Haack.

Bayerisch Bauen: Stand und Ausblick in Sachen Gebäudetyp E

Aktuell werden in den ersten Bundesländern, darunter vor allem Bayern, erste Änderungen in den Landesbauordnungen auf den Weg gebracht. Auf dieser Basis können dann erste Wohnungen entsprechend dem Gebäudetyp E errichtet werden. Im nächsten Schritt soll der „Gebäudetyp E“ in der Musterbauordnung, an der sich die Bauordnungen der einzelnen Bundesländer orientieren, verankert werden.

Zusätzlich bedarf es jedoch auch noch einer Anpassung im Werksvertragsrecht, das für die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Bauherren in der Regel die rechtliche Basis bildet. Diese Änderung muss also auf Bundesebene erfolgen, da es sich hierbei um Bundesrecht handelt. „Hier sind wir bereits beim Bundesjustizministerium vorstellig geworden. Ich habe aber das Gefühl, dass hier noch Überzeugungsarbeit geleistet werden muss“, so Prof. Haack. „Es wird keine Einführung von heute auf morgen sein, sondern ein schrittweiser Prozess“, heißt es von Sebastian von Oppen, dem Referatsleiter Architektur und Bautechnik der Bundesarchitektenkammer.

In Bayern startet Bauen nach dem Gebäudetyp E zunächst als Pilotprojekt des Bayerischen Bauministeriums in Kooperation mit einem breiten Bündnis aus Kammern und der Wohnungswirtschaft. „Diese Pilotprojekte werden auch wissenschaftlich - sowohl architektonisch, als auch ingenieurtechnisch und juristisch – begleitet“ und evaluiert, wie Prof. Haack erläutert und dann ergänzt: „Die evaluierten Ergebnisse können dann als Blaupause für weitere Projekte von einem großen Kreis von Anwendern verwendet werden, dann möglicherweise auch von privaten Bauherren.“

Dass private Bauherren zumindest vorerst keine Gebäude des Typs E errichten lassen können, soll die privaten Bauherren schützen: Da bei diesem Gebäudetyp lediglich die Kernvorschriften der Bayerischen Bauordnung zu Standsicherheit, Brandschutz, gesunden Lebensverhältnissen und Umweltschutz zwingend gelten sollen, ist auf Seiten der Bauherren ein hohes Maß an Fachwissen gefragt. Denn alle weiteren Details zur Bauausführung müssen zwischen den Vertragsparteien individuell ausgehandelt werden. Gerade in der Pilotphase geht es darum, die Eckpunkte festzulegen, die für den Gebäudetyp E als Mindeststandard gelten sollen. Erst wenn dies erfolgt ist, wird die Entscheidung fallen, ob der Gebäudetyp E sich auch für private Bauherren eignet.

Das einfache E-Gebäude: günstig oder billig?

Das Fernziel ist es also, den Gebäudetyp E auf Bundesebene zu verankern, so dass flächendeckend Wohnungen des Gebäudetyps E entstehen können. Geht das Konzept der Initiatoren aus Bayern auf, so kann aufgrund der faktischen Entrümpelung bei den baurechtlichen DIN-Normen das Wohnungsbauwesen an Fahrt gewinnen. Es drängt sich jedoch die Frage auf, ob Wohnungen im E-Standard, die Plattenbauten unserer Zeit werden. Oder überspitzt formuliert: Führt der Gebäudetyp E dazu, dass es Wohnen de Luxe einerseits und Wohnen für die Massen andererseits gibt?

„Einfach bauen heißt ja nicht „billig“ bauen, sondern nachhaltig, ressourcenschonend, bedarfsgerecht und nutzerfreundlich zu agieren und auf Veränderungen flexibel reagieren zu können“, so Prof. Haack. Bauen nach dem Gebäudestandard E bedeutet eben nur solche Normen außer Acht lassen zu können, die über den Kern der Schutzziele hinausgehen. „Der Gebäudetyp E richtet sich vor allem gegen überflüssige beziehungsweise sehr luxuriöse Standards, die oft den Vermarktungsinteressen von Bauproduktherstellern dienen“, erklärt von Oppen.

Es geht also um zukunftsorientiertes Bauen und darum, dass überhaupt ausreichend Wohnraum dort errichtet wird, wo er gebraucht wird. Die Alternative wäre, dass immer mehr Menschen aufgrund fehlender Wohnungen aus den Ballungsgebieten verdrängt werden. Das Ziel des Gebäudetyps E ist einerseits ein Bürokratieabbau und damit andererseits auch ein Impuls für die stockende Wohnungsbauwirtschaft. „Dass sich dies im Ergebnis auch kostensenkend auswirken kann, ist ein positiver Nebeneffekt, aber nicht das primäre Ziel der Initiative“, unterstreicht Prof. Dr. Haack.

Nicole Ziese ist freie Journalistin, Juristin und Autorin in den Bereichen Immobilien, Medizin und Soziales sowie Karriere. Sie hat jahrelange Erfahrung im Verfassen von Beiträgen rund um die Immobilienwirtschaft aber auch Architektur, Sanieren sowie baurechtliche Themen. Sie lebt in Köln und Irland.

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