Politik

Social-Media-Verbot in Europa? Der Digital Service Act

Der Digital Service Act (DSA) gibt den EU-Mitgliedsstaaten die Befugnis, Internetplattformen wie Facebook, Twitter, TikTok oder Google zu sperren und zeitweise zu verbieten, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Während die EU den Schutz von Nutzern betont, wachsen die Sorgen vor einer möglichen Einschränkung der Meinungsfreiheit.
18.07.2023 12:08
Aktualisiert: 18.07.2023 12:08
Lesezeit: 3 min
Social-Media-Verbot in Europa? Der Digital Service Act
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich. Das LAnd erwägt Verbote gemäß dem Digital Service Act, der u.a. TikTok, Facebook, Twitter und Google betrifft. (Foto; dpa) Foto: Geert Vanden Wijngaert

Während der gewalttätigen Ausschreitungen in Teilen Frankreichs spielte die Social Media Plattform TikTok eine herausragende Rolle als Kommunikationsmedium, auf dem sich Nutzer gegenseitig mit gewaltverherrlichenden Videos anstachelten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstreicht daher die Notwendigkeit von Internet-Regulierungsmaßnahmen. Er plädiert für mögliche Sperrungen bei Verstößen gegen rechtswidrige Inhalte als drastisches Mittel, wenn sich die Situation verschärfe. Im Notfall werde sogar erwogen, „den Zugang zu bestimmten Plattformen abzuschalten und die Netze zu kappten“, wie Macron betont. Ähnliche Überlegungen hatte auch der französische Senat angestellt, der sogar ein vollständiges Verbot von TikTok fordert.

Auch EU-Digital-Kommissar Thierry Breton sieht Handlungsbedarf und bemängelt, dass soziale Netzwerke nicht genügend für die soziale Sicherheit tun. Er kündigte „energische Maßnahmen“ an, sollten Betreiber nicht sofort auf gemeldete Inhalte reagieren und diese löschen.

Der rechtliche Rahmen für solche Zwangsmaßnahmen existiert bereits: Der "Digital Service Act" (DSA), der im Jahr 2022 vom EU-Rat verabschiedet wurde, räumt der EU-Kommission umfangreiche Befugnisse ein, um von Internetplattformen die Bekämpfung akuter Bedrohungen für ihre Nutzer zu fordern.

Der Digital Service Act: Ein Gesetz mit weitreichenden Ermächtigungen

Bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und die menschliche Gesundheit drohen harte Sanktionen. Als Druckmittel stehen der EU nicht nur hohe Geldstrafen von bis zu 6 Prozent des weltweiten Umsatzes des Betreibers zur Verfügung, sondern sie kann notfalls auch „Plattformen auf ihrem Territorium untersagen“, so Breton.

Als konkrete Beispiele werden hasserfüllte Inhalte, Aufforderungen zu Revolten, dem Anzünden von Autos oder Gewalt genannt. Auch eine "Gefährdung der Demokratie" oder das "Risiko von Desinformation" ermächtigen die EU zum Einschreiten.

Um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, mussten Plattformbetreiber ihre Nutzerzahlen an die EU übermitteln. Basierend darauf wurden bestimmte Unternehmen als große Plattformen mit über 45 Millionen Nutzern eingestuft, darunter u.a. Twitter, Facebook, Instagram, TikTok, YouTube und Snapchat. Auch Plattformen wie Amazon, Pinterest, Wikipedia sowie Suchmaschinen wie Google und Bing sind betroffen.

Für diese Plattformen gelten ab Ende August strenge Vorgaben: Sie müssen eine detaillierte Bewertung ihrer größten Nutzerrisiken vorlegen und "Stresstests absolvieren", um die Umsetzung des DSA zu überprüfen.

Der DSA: Schutz der Demokratie oder Einschränkung der Meinungsfreiheit?

Der DAS hat einen vielversprechenden Grundgedanken: Er soll illegale und schädliche Regelungen eindämmen und Bürger sowie die Demokratie besser schützen. Die EU argumentiert, dass Europa einen sicheren digitalen Rahmen benötigt, der die Grundrechte von Nutzern digitaler Dienste gewährleistet.

Allerdings wird nun die volle Tragweite der politischen Entscheidungen deutlich. Die Diskussionen in Frankreich über mögliche Sperrungen von Social Media Plattformen zeigen eindringlich, welche weitreichenden Befugnisse den EU-Politikern auf der Grundlage des DSA zustehen.

Kritiker befürchten, dass der EU-Kommission zu viel Ermessensspielraum eingeräumt wird, was Missbrauch ermöglicht. Besonders eine weite Auslegung von Begriffen wie "rechtswidrige Inhalte" oder "Bedrohung" zu Gunsten politischer Interessen sorgt für Bedenken. Die vorübergehende Sperrung großer Plattformen, insbesondere während Wahlkampfphasen, birgt das Risiko, Meinungsbildungen zu beeinflussen, obwohl das Gesetz eigentlich Manipulation verhindern soll.

Zudem könnten Plattformbetreiber dazu neigen, Inhalte mit kontroversen Meinungen oder kritischen Ansichten vorbeugend zu entfernen. Dies könnte Informationen und Meinungen einschränken, die auf diesen Plattformen verfügbar sind und eine freie und offene Diskussion innerhalb der Gesellschaft beeinträchtigen.

Es gibt Ängste, dass sich Europa in Richtung staatlich kontrollierter Internetregime wie China oder dem Iran entwickelt. Kritiker sehen den DSA sogar als mögliche "Blaupause" für eine weitere Einschränkung von Grundrechten wie Meinungs- und Pressefreiheit.

TikTok: Gefahr für Jugendliche und staatliche Kontrolle

Allerdings darf nicht ignoriert werden, dass das Internet zunehmend ein Verbreitungsort strafbarer Inhalte ist. Diese Tatsache ist jedem bekannt, der morgens seinen Email-Spam-Ordner durchsieht. Auch Desinformation durch Bots und Algorithmen sowie Cyberattacken bergen große Risiken. Nutzer und insbesondere Jugendlichen müssen vor diesen Gefahren geschützt werden.

TikTok, eine der meistgenutzten Plattformen mit etwa 22 Millionen Nutzern allein in Frankreich und weltweit über eine Milliarden Nutzer, bürgt ein besonders Gefahrenpotential. Das Unternehmen ist Teil der Bytedance-Firma, die 2012 von Unternehmer Zhang Yiming in Peking gegründet wurde. Bedenken hinsichtlich möglicher staatlicher Kontrolle und Datenschutzverletzungen sind durchaus gerechtfertigt. Ein Untersuchungsbericht des französischen Senats verdeutlichte die Einflussnahme der chinesischen Regierung und den intransparenten Umgang mit Nutzerdaten. Mögliche Infiltrationen durch Parteifunktionäre im Unternehmen sind anzunehmen. Ähnliches wurden bereits beim Digitalkonzern Huawei festgestellt.

Die Diskussion über den DSA muss insofern differenziert geführt werden, da er insbesondere dem Schutz der Nutzerrechte und der Verteidigung der Demokratie dient. Es wäre zu kurz gegriffen, nur von Zensur und Sperrungen zu sprechen, wie es vielfach propagiert wird. Eine Abschaltung von Plattformen wäre das letzte Mittel. Zuvor sind gemäß Gesetz mildere Sanktionen vorgesehen. Erst wenn Betreiber nicht darauf reagieren, kann eine zeitlich begrenzte Zwangssperrung erfolgen.

Fest steht, dass der DSA der EU-Kommission umfangreiche Eingriffsbefugnisse in Krisenzeiten gewährt. Wie diese Befugnisse konkret genutzt werden und ob auch in Deutschland Verbote in Erwägung gezogen werden, bleibt abzuwarten. Eine Balance zwischen der Sicherung der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz der Grundrechte ist von entscheidender Bedeutung, damit der DSA nicht als Werkzeug für unverhältnismäßige Eingriffe in die Meinungsfreiheit missbraucht wird.

Bis Februar 2024 müssen alle EU-Länder "Koordinatoren für digitale Dienste" einrichten, die in Gefährdungssituationen eingreifen können. Die EU-Kommission übernimmt die zentrale Aufsicht über die Vorschriften für große Plattformen, um Verzögerungen bei der Durchsetzung zu vermeiden.

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