Es ist das weltweit meist genutzte und wahrscheinlich bestuntersuchte Herbizit. Auch etwa 40 Prozent der deutschen Landwirte besprühen ihre Felder mit Glyphosat. Dennoch bleibt der Unkrautvernichter heftig umstritten. Kritiker stufen ihn als krebserregend ein und betrachten ihn als einen Verursacher des weltweiten Artensterbens. Vor dem Hintergrund der Wiederzulassung des Pflanzengifts in der EU ist aktuell wieder ein Streit entbrannt. Denn die Zulassung läuft am 15. Dezember aus. Eine Entscheidung über den künftigen Einsatz von Glyphosat soll bis zum Herbst fallen. Nicht zuletzt damit die Landwirte planen können, wie sie ab dem kommenden Jahr das Unkraut auf ihren Feldern bekämpfen.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) teilen die Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) aus dem Jahr 2015 nicht. Obwohl Hersteller Bayer-Monsanto betroffenen Landwirten in den USA in einem Vergleich hohe Entschädigungen zahlte. Aufgrund ihrer Analyse von mehr als 2000 Studien zu dem Pestizid, erkennt die EFSA in ihrem jüngsten Bericht zwar einige Datenlücken bei den vorliegenden Untersuchungen, sieht jedoch keine inakzeptablen Gefahren für dessen Einsatz.
Auswirkungen auf Artenvielfalt in Studien nicht erfasst
Zu den Aspekten, die nicht abschließend geklärt wurden, gehören ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher und die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen, wie die EFSA mitteilte. Auch mit Blick auf den Artenschutz ließen die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Die EFSA ermittelte etwa für 12 von 23 Verwendungen des Wirkstoffs „ein hohes langfristiges Risiko für Säugetiere". In der Analyse heißt es dazu nun weitergehend: „Geeignete Daten zur Verfeinerung der Risikobewertung waren nicht verfügbar." Insgesamt seien jedoch die Risiken nicht so groß, dass eine weitere Zulassung grundsätzlich untersagt werden müsse.
EFSA-Chef Bernhard Url hatte diese Einschätzung im Juli vor EU-Parlamentariern verteidigt. Es sei die umfassendste Bewertung eines Pestizids gewesen, die jemals stattgefunden hat. Ein 20.000-Seiten starkes Hintergrunddokument solle bis spätestens Oktober veröffentlicht werden. „Wir haben 2400 Studien und wissenschaftliche Artikel einbezogen und gewichtet, aber keine Empfehlung vorgetragen“, relativierte Url die Bedeutung der Studie. Was sicher genug ist, werde am Ende von den Risikomanagern der Länder festgelegt, nicht von der EFSA, sagte er. „Die Entscheidung über den Einsatz von Glyphosat liegt bei der Politik.“ Die Einschätzung der Behörde dient den Entscheidern jedoch als Grundlage.
Wirksame Methode für konventionelle Landwirte
Glyphosat ist nicht nur ein Unkrautvernichter. Es schädigt oder tötet alle Pflanzen, mit denen es besprüht wird. Daher wird das Herbizid vor der Aussaat, aber nicht während der Wachstumsphase von Weizen, Raps oder Rüben angewendet. Eine Folge des Verspritzens: Auf den Flächen gedeihen weniger Wildpflanzen, folglich reduziert sich der Lebensraum für Insekten und damit auch die Nahrung für Vögel. Die Artenvielfalt nimmt ab.
Der Effekt der traditionellen Landwirtschaft ist allerdings ähnlich. Dabei pflügen und eggen Landwirte ihre Böden vor der Aussaat, um sie von Unkraut zu befreien. Nach Einschätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist diese Methode in der Wirkung mit Unkrautvernichtern vergleichbar. Die Nachteile: Das Pflügen oder Eggen kostet Zeit und Treibstoff. Zudem begünstigt es die Bodenerosion. Viele Bauern bevorzugen daher die günstigeren und bodenschützenden chemischen Unkrautvernichtungsmittel. Und Glyphosat gilt unter den Herbiziden als besonders effektiv.
Der Deutsche Bauernverband sieht keinen Grund auf Glyphosat zu verzichten. Wegen des Bodenschutzes bei der Vorbereitung der Felder und einer verbesserten CO2-Bilanz, betrachtet er einen Verzicht aufs Pflügen und den vorsichtig dosierten Einsatz von Glyphosat auch als Beitrag zum Umweltschutz. Strenge Auflagen zur Verwendung des Mittels böten zusätzliche Sicherheit für Mensch und Natur, legt der Verband in seinem "Faktencheck Glyphosat Ackerbau" dar.
Kritiker verweisen vor allem auf die EFSA-Aussage, dass es in 12 von 23 vorgeschlagenen Anwendungsgebieten von Glyphosat ernst zu nehmende Bedenken gebe. Sie werfen der Behörde zudem vor, sich einseitig auf von der Industrie finanzierte Studien zu stützen, die in deren Interesse ausfielen. Das Umweltinstitut München bezeichnete die EFSA-Schlussfolgerungen deshalb als „fragwürdig“ und warnt auf seiner Webseite vor einer Wiederzulassung. Der Umweltverband BUND bezeichnete die EFSA-Einschätzung als „fatal“. Auch Foodwatch forderte ein Verbot, solange es Zweifel an der Sicherheit von Glyphosat bestehen.
Es gibt auch Alternativen zu Glyphosat
Die Bedenken hinsichtlich gut der Hälfte der vorgeschlagenen Anwendungen treiben auch die Parlamentarier um. Datenlücken können kein Grund für eine Unbedenklichkeits-Beurteilung sein, kritisiert etwa die Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne). Der grüne Agrarexperte Martin Häusling fragt, warum man den Gebrauch von Glyphosat in der Landwirtschaft eigentlich als Selbstverständlichkeit betrachte. „Es gibt Alternativen, die sind nur ein bisschen aufwendiger“, sagte er. Man tue so, als ginge es nicht ohne Glyphosat. Ein Gewöhnungseffekt ist nicht auszuschließen: Das Mittel wird tatsächlich seit den 1970er-Jahren eingesetzt. Umweltverbände verweisen auf Erfolge der ökologischen Landwirtschaft und empfehlen zum Beispiel einen Wechsel der Fruchtfolge als Mittel um Unkraut in Schach zu halten. Auch mit Tierhaltung auf den Weiden ließe sich Unkraut bekämpfen.
Konservative EU-Parlamentarier, wie etwa Peter Liese von der EVP weisen darauf hin, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse auch dann akzeptieren müsse, wenn sie nicht das ergeben, was die Grünen sich wünschten. Seine Fraktionskollegin Christine Schneider fragt, ob andere Pestizide, die dann wahrscheinlich an Stelle von Glyphosat genutzt würden, denn besser erforscht seien.
Hersteller reichten Dossier mit Studien ein
Die EFSA hat ihre Glyphosat-Studie Ende Juli auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Das von den Herstellern eingereichte Dossier war dafür von Behörden aus den vier EU-Mitgliedstaaten Frankreich, Ungarn, Niederlanden Schweden evaluiert worden. Bis September muss die EU-Kommission nun aufgrund der EFSA-Analyse und von Kommentaren der EU-Mitgliedstaaten einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen erarbeiten. Im Oktober geht der neue Entwurf dann zur Abstimmung ins EU-Parlament. Über eine mögliche Verlängerung der Zulassung sollen dann die Agrarministerinnen und Agrarminister der EU-Staaten entscheiden.
Auch hier gibt es unterschiedliche Ansichten: Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) kritisiert die Untersuchung. Die Analyse lasse einen wesentlichen Aspekt aus, sie berücksichtige die Auswirkungen auf die Natur nicht ausreichend, sagte er im Juli in Brüssel. „Das ist, wie wenn Sie ein Fahrzeug fahren und auf alles testen, außer auf die Bremse", so der Grünen-Politiker.
Sein spanischer Amtskollege Luis Planas von der sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens sieht das etwas anders: Wenn der wissenschaftliche Rat negativ sei, müssen er befolgt werden, ebenso wenn er positiv sei. „Das ist ganz einfach.“
Deutschland hat sich bereits entschieden
Deutschland hat sich da bereits festgelegt und will Glyphosat ab dem kommenden Jahr trotzdem verbieten. „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt", heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die Zulassung des Unkrautvernichters zu verlängern, sei nicht gerechtfertigt, weil die Auswirkungen auf die Artenvielfalt nicht berücksichtigt würden, teilte das Bundesagrarministerium mit. Glyphosat „schädigt unzweifelhaft die Biodiversität als Teil unserer natürlichen Ressourcen, die die wesentliche Grundlage einer nachhaltigen und krisenfesten Landwirtschaft sind.“ (mit dpa)