Die vergangene Woche war durch einen regelrechten Zentralbankmarathon gekennzeichnet, allein elf Notenbanken, von der US-Fed bis zur BOJ, gaben über einen Zeitraum von 36 Stunden ihre geldpolitischen Maßnahmen bekannt. Mit größter Spannung, da mit dem größten Einfluss auf das wirtschaftliche Weltgeschehen, startete die US-Notenbank den Reigen, blieb im Ergebnis jedoch unscheinbar, zumindest auf den ersten Blick. Wie von beinahe allen erwartet, zog die Fed die Zinsschraube nicht weiter an, und es ist durchaus möglich, wenn auch noch sehr ungewiss, dass es im laufenden Zyklus keine weiteren Zinserhöhungen mehr geben wird. Dass dies nicht zwingend heißt, dass die Notenbank in eine Phase der Lockerungen übergehen wird, zeigen zum einen die sogenannten „Dot-Plots“, die die Erwartungen der einzelnen Notenbankbeamten hinsichtlich des zukünftigen Zinspfades widerspiegeln.
Demnach rechnen die FOMC-Mitglieder in den Jahren 2024 und 2025 mit weniger Zinssenkungen als noch bei deren letzter Projektion. Selbst dann also, wenn es keine Zinserhöhungen mehr geben sollte, verfügt die Fed über eine weitere Möglichkeit ihre Politik zu straffen. Alles, was sie tun muss, ist, die Zinssätze im nächsten Jahr nicht zu senken - oder auch nur nicht so stark zu senken, wie bislang erwartet wird. Die Renditekurve lässt weitere Rückschlüsse zu: diese ist zwar nach wie vor invertiert, mit zum Beispiel den 3-Monatsrenditen oberhalb derer der 2-jährigen Anleihen, was bedeutet, dass der Markt davon ausgeht, dass die durchschnittlichen Fed Funds in den nächsten zwei Jahren niedriger liegen als jetzt, oder, mit anderen Worten, Zinssenkungen eingepreist werden. Die Geschwindigkeit, mit der diese Invertierung vonstattengeht, schwächt sich jedoch zusehends ab, der Markt nimmt die Zinssenkungsfantasie langsam wieder heraus. „Higher for longer“, heißt die Devise, bezogen auf den bevorstehenden Zinspfad.
Erdölkomplex sticht heraus
Während die US-Notenbank also die Zinssätze stabil hält, sendet sie auch die Botschaft, dass sie die Inflation nicht nur stoppen, sondern auf ihr zuvor festgelegtes Ziel von 2 % pro Jahr senken wolle. Es überrascht nicht, dass die höheren Renditechancen, die sich aus den steigenden Zinsen ergeben, ausländische Dollarkäufe ausgelöst haben. Zum Leidwesen der Rohstoffbullen verteuert der höhere Dollar die in der Weltleitwährung denominierten Rohstoffe, was deren seit gut zwei Monaten andauernden Preisanstieg nun wieder deutlicher bremst. Seit Mitte Juli kletterte der US-Dollar, gemessen am Dollar-Index DXY, der den Wert des Greenbacks gegenüber einem Korb aus sechs weiteren Währungen abbildet, um mehr als 6 % auf den höchsten Stand seit Dezember letzten Jahres.
Der US-Arbeitsmarkt zeigt sich nach wie vor stark, was das Potenzial für eine „weichartige Landung“ (J. Powell) in den USA hoch hält. Auf der anderen Seite ist die chinesische Wirtschaftshilfe nach einer Reihe von Konjunkturmaßnahmen versiegt, und die chinesische Zentralbank hat die Gelegenheit nicht genutzt, mit einer Senkung ihres wichtigsten Zinssatzes weitere Impulse zu setzen. Damit bleibt die Wiederbelebung der chinesischen Rohstoffnachfrage ungewiss. Selbst der robuste Erdölkomplex kommt derzeit auf Grund der drohenden Abschwächung der Nachfrageseite ins Schlingern, was der äußerst angespannten Versorgungslage bei Rohöl und Raffinerieprodukten entgegenwirkt.
Die dortige sehr spezielle Situation aus US-Rohöllagerbeständen deutlich unter ihrem langjährigen Mittel, einer dort leergepumpten strategischen Reserve, überraschend bis zum Jahresende ausgedehnten Förderkürzungen der OPEC+-Gruppe, ein sich für das vierte Quartal abzeichnendes 10-Jahres-Angebotsrekorddefizit und Raffinerien, die Mühe haben, genug Kraftstoff zu produzieren, rechtfertigt durchaus die sich stetig erhöhende Zahl derer, die eine weitere Rally bis deutlich in den dreistelligen Bereich bei WTI und Brent vorhersagen. Allerdings beeinträchtigt auch diese Situation die zerbrechliche Erholung Chinas und könnte darüber hinaus zu einer weiteren Inflationswelle führen, was die Fantasie an anderer Stelle dämpft. Darüber, wie weichartig der kommende Abschwung tatsächlich werden wird, scheiden sich die Geister weiterhin. Aktuelle Analysen der Bank of America und Morgen Stanleys warnen deutlich vor einer gewissen "Marktfragilität".
Hoffen auf den Dollar-Rückschlag
Der solideste Trend an den Märkten ist derzeit der Aufwärtstrend des Dollars. Da die makroökonomischen Aussichten für die chinesische Rohstoffnachfrage fragwürdig sind, die Bullen durch "höhere Zinsen für längere Zeit" abgeschreckt werden, die negative Stimmung durch den Rückgang der Aktienmärkte zunimmt und die Rohstofffonds in den Verkaufsmodus übergehen, dürfte der Sektor weiterhin unter Druck bleiben. Gold, Silber und Agrarrohstoffe, wie Mais und Soya, sind in der Regel am stärksten von einem steigenden Dollar betroffen, und abgesehen von Rohöl und Ölprodukten ist die Tendenz bei den meisten Rohstoffpreisen eher abwärts gerichtet. Der Edelmetallsektor scheint nach seiner jüngsten Korrekturrallye kein nachhaltiges Aufwärtsfundament zu besitzen und verharrt mehr oder weniger in einer seitwärts verlaufenden Wartezone.
Die Aufwärtstendenzen des Dollars und der US-Staatsanleihenrenditen bleiben die Hauptthemen, und deren Bullenfraktionen dürften durch die US-Arbeitsmarktdaten dieser Woche weitere Bestätigung finden. Der dortige seit mittlerweile sieben Monaten andauernde Abwärtstrend bei den Erstanträgen auf Arbeitslosenunterstützung dürfte sich auch am kommenden Donnerstag fortsetzen, was der US-Notenbank mehr Vertrauen in ihre Zinspolitik geben und die Erwartung baldiger Zinssenkungen dämpfen dürfte. Das Hickhack auf der politischen Bühne um eine Einigung bezüglich der erforderlichen Anhebung der Schuldenobergrenze der USA zur abermaligen Vermeidung eines Zahlungsausfalls könnte die allgemeine Marktstimmung zwar einbrechen lassen, aber damit eine Flucht in die Qualität einsetzt, und auch anhält, ist wahrscheinlich eine weitere Herabstufung der Bonität der USA erforderlich.
Die Chancen also, dass kommende Ereignisse Gold und Silber in die Höhe treiben, scheinen gering zu sein, es sei denn, diese Ereignisse sind extrem ernst. Eine überraschende Einigung im Streit um die US-Schuldenobergrenze könnte, zwar einen vorübergehenden, aber bedeutenden, Rückschlag beim Dollar und einen ebenso vorübergehenden, und ebenfalls bedeutenden, Höhenflug bei Gold und Silber auslösen.
Inflationsdruck dürfte sinken
Die politischen Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks werden sich in dieser Woche wahrscheinlich damit trösten, dass sich die wichtigsten Messgrößen für das Wachstum der Verbraucherpreise verlangsamen. In den USA könnte die jährliche Kerninflationsrate, bei der Lebensmittel und Energie aus der von der Federal Reserve bevorzugten Inflationsmessung herausgerechnet werden, im August zum ersten Mal seit fast zwei Jahren unter 4 % gefallen sein. Der jährliche Indikator für das zugrunde liegende Preiswachstum im Euroraum dürfte sich im September auf 4,8 % verlangsamt haben - ein Zwölfmonatstief.