Weltwirtschaft

Saudi-Arabien hält an Förderkürzungen fest – dies könnte sich auszahlen

Lesezeit: 5 min
29.09.2023 19:17  Aktualisiert: 29.09.2023 19:17
Saudi-Arabien treibt die Ölpreise in die Höhe, wirtschaftlich wie strategisch profitiert aber vor allem Russland. Seine jetzige Unterstützung könnte dem Golfstaat zukünftig von Nutzen sein.
Saudi-Arabien hält an Förderkürzungen fest – dies könnte sich auszahlen
Saudi-Arabien setzt auf die Umgestaltung seiner wirtschaftlichen Grundlage und bereitet sich auf das Zeitalter nach fossilen Brennstoffen vor. (Foto: dpa)
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Mit mehr als 95 USD pro Fass wird die wichtige Nordsee-Rohölsorte Brent mittlerweile so hoch gehandelt, wie seit 10 Monaten nicht mehr, ihr US-amerikanisches Pendant WTI notiert auf Niveaus, die es seit August des vergangenen Jahres nicht mehr erreicht hat. Letzteres verteuerte sich seit Beginn der aktuell laufenden Rally zwischen Ende Juni und Ende September in der Spitze um knapp 28 USD, das sind beinahe 42 %. Dieselkraftstoff schoss in der gleichen Zeitspanne um 48 % in die Höhe, dessen Terminkontrakte haben in Europa und den USA mittlerweile saisonale 10-Jahres-Hochs erreicht. Allein mit US-Rohöllagerbeständen deutlich unter ihrem langjährigen Mittel, einer dort leergepumpten strategischen Reserve, ein sich für das vierte Quartal abzeichnendes 10-Jahres-Angebotsrekorddefizit und Raffinerien, die Mühe haben, genug Kraftstoff zu produzieren lässt sich die sich stetig erhöhende Zahl derer, die eine weitere Rally bis deutlich in den dreistelligen Bereich bei WTI und Brent vorhersagen, durchaus rechtfertigen. Das derzeit sehr aggressiv preistreibende Vorgehen der OPEC+-Gruppe, die sich als Organisation mit „marktausgleichenden“ Aufgaben versteht, wäre in dieser Gemengelage nicht nötig. Zumindest nicht mit der öffentlich postulierten Motivation.

Saudi-Arabien gießt Öl ins Feuer

Mehrere der wichtigsten Mitglieder der Gruppe, allen voran Saudi-Arabien, begannen im Mai damit, ihre Fördermengen zu reduzieren, um die Preise anzukurbeln oder - in der OPEC-Sprache – „den Markt auszugleichen“. Dieser Schritt trug maßgeblich dazu bei, den vorangegangenen kräftigen Preisverfall der wichtigsten Einnahmequelle der Mitgliedsstaaten des Kartells zu beenden. Das Wüstenkönigreich ging im Juli noch einen Schritt weiter und führte zusätzlich eine einseitige Kürzung um 1 Mio. Barrel pro Tag durch. Russland, das bereits früher als Vergeltung für die westlichen Sanktionen und Preisobergrenzen für Ölexporte eigene Drosselungen angekündigt hatte, schloss sich den Saudis mit Verspätung an und reduzierte seine Lieferungen im selben Monat. Prinz Abdulaziz bin Salman, der saudi-arabische Ölminister, spricht oft von den Vorzügen, den Markt zu überraschen, und warnt diejenigen, die sich gegen die OPEC-Strategie positionieren, regelmäßig davor, dass sie ein „Ouching“ riskieren, wie er es gerne ausdrückt. Erst Anfang September wurde der Markt nun unvorbereitet getroffen, als Riad ankündigte, seine jüngste Produktionskürzung bis zum Jahresende beizubehalten, erwartet hatte man lediglich eine Verlängerung um einen Monat bis in den Oktober hinein.

Die Vorteile liegen bei Russland

Es ist klar, dass das saudische Königreich die Last dieser Strategie zu tragen hat. Seit Februar hat es seine Rohölproduktion um 1,22 Mio. Barrel pro Tag gesenkt. Das ist mehr als 2½ mal so viel, wie die Kürzungen Moskaus. Im Februar, als der Kreml seinen Plan ankündigte, einen Teil des Angebots zurückzuhalten, überstieg die saudische Produktion die russische um eine halbe Million Barrel pro Tag, aktuell liegt sie um 250.000 Barrel pro Tag darunter. Die höheren Preise gleichen dabei die Saudi-Arabien verlorengehende Menge nicht aus. So brach das Wachstum Saudi-Arabiens im zweiten Quartal kräftig ein, da die Produktionsdrosselungen dazu beitrugen, dass das Land von einer der am schnellsten expandierenden großen Volkswirtschaften zu einer der am langsamsten wachsenden wurde. Der Haushalt, der in diesem Jahr auf ein deutliches Defizit zusteuerte, wurde lediglich durch eine massive Dividende des staatlichen Unternehmens Saudi Aramco gerettet. Russlands Kassen hingegen verzeichnen aufgrund der rasant anziehenden Preise sowie geringer werdender Abschläge für seine Rohöle gegenüber internationalen Referenzwerten steigende Zuflüsse. Die Einnahmen aus Erdöl und Erdgas sind im Juli zum ersten Mal in diesem Jahr gestiegen und wachsen weiter an. Für das Land haben die Preiserhöhungen die geringeren Produktions- und Exportmengen mehr als ausgeglichen, ganz im Gegensatz zu der Situation in Riad.

Moskau nutzt Öl strategisch

Anders als für Saudi-Arabien, das sich als Swing-Produzent versteht und seit jeher durch die Variation der Fördermenge übermäßige Marktschwankungen zu dämpfen sucht, ist diese aktive Steuerung für Moskau eine Neuerung, die unter den führenden Ölmagnaten des Landes durchaus ihre Gegner hat. Bislang jedoch funktioniert die Partnerschaft mit Riad für Vladimir Putin gut und da ihm die hohen Ölpreise auch geopolitisch helfen, kann er sich auch in der Heimat des dringend notwendigen Rückhalts erfreuen. Nicht nur, dass die Staatskasse so die zur Finanzierung des immer teurer werdenden Krieges mit der benachbarten Ukraine benötigten Zuflüsse erhält. Für die in diesem Krieg auf der Gegenseite keine unbedeutende Rolle spielenden USA sorgt die Preisentwicklung bei Rohöl und Raffinerieprodukten für erhebliche Probleme, was Moskaus Aussichten strategisch verbessert.

Dass die nun schon seit zwei Monaten andauernden kräftigen Preisanstiege bei Rohöl und Ölprodukten die zerbrechliche Erholung Chinas beeinträchtigen, wirkt sich auch auf die Vereinigten Staaten aus und vermindert dort die Chance auf eine „weichartige Landung“ (Jerome Powell). Darüber hinaus torpediert ein dadurch immer wahrscheinlicher werdender neuerlicher Inflationsschub die hüben wie drüben des Atlantiks sehr aggressiv betriebenen Maßnahmen, im Kampf gegen weiter anziehende Preissteigerungsraten. Bleibt der Druck aus Richtung der Energiemärkte erhalten, dürfte die aktuelle Pause des laufenden Zinserhöhungszyklus bald wieder vorbei sein, zugunsten eines sich manifestierenden Rezessionsszenarios. Darüber hinaus befindet sich Washington im Wahlkampfmodus, und die Situation an den Zapfsäulen bedeutet einen Unruhefaktor mehr für den amtierenden Präsidenten. All dies wird man in Moskau ins Kalkül ziehen und gemeinsam mit dem immer wichtiger werdenden Partner Saudi-Arabien den Druck aufrecht erhalten wollen. Es dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis das Königreich am Persischen Golf Gegenleistungen einfordert.

Saudi-Arabien braucht Russland

Für Saudi-Arabien sind 90 USD Öl heute nicht mehr dasselbe, wie noch vor einigen Jahren, hat doch der weltweite Inflationsschub auch die Kaufkraft der Petrodollars des Königreichs erheblich geschwächt. Jedoch sind die Maßnahmen Saudi-Arabiens weder aus rein wirtschaftlichen noch aus Gründen eines „Marktausgleichs“ vollständig nachzuvollziehen. Immerhin verengen die Produktionskürzungen einen ohnehin schon starken Markt weiter. Im Juni belief sich der weltweite Kraftstoffverbrauch erstmalig auf durchschnittlich 103 Mio. Barrel pro Tag und lag im August nur unwesentlich darunter, für das kommende Jahr erwartet die Internationale Energieagentur (IEA) einen Durchschnittsverbrauch von 103,2 Mio. Barrel pro Tag. Auch ohne eine Verringerung der Fördermengen droht kein drastischer Preisverfall. Angesichts der enormen Nachfrage nach Kraftstoffen besteht kaum Zweifel daran, dass eine ungekürzte saudische Produktion ohne Schwierigkeiten absorbiert werden könnte, womit der Gesamterlös höher wäre als mit der jetzigen Strategie.

Allerdings arbeitet Saudi-Arabien mit Hochdruck an der Transformation seiner wirtschaftlichen Grundlage und macht sich mit seinem „Vision 2030“ genannten Programm fit für das post-fossile Zeitalter. Alte Verbündete, wie „der Westen“, verlieren als Großabnehmer seines einzigen nennenswerten Exportguts nach und nach an Bedeutung, an ihre Stelle treten die Länder des globalen Südens – Saudi-Arabien gehört ab 2024 als vollwertiges Mitglied dem erweiterten BRICS-Bündnis an. Damit die angestrebte Umwandlung gelingt wird der jetzige Ölriese zukünftig in die Rolle eines Importeurs von Energierohstoffen wechseln müssen, denn über jene Metalle, die eine elektrifizierte Gesellschaft benötigt, verfügt das Land nicht. 28 % der globalen Nickelreserven, 50 % des Grafits, 72 % der Mineralien aus dem Sektor der sogenannten Seltenen Erden (wobei hier drei der Mitgliedsländer zudem über die größten globalen Reserven verfügen) und 75 % des Mangans befinden sich im direkten Einflussbereich der angewachsenen BRICS-Gruppe. Russland, selbst Mitglied der ersten Stunde, verfügt über enorme eigene Vorkommen an kritischen Rohstoffen, wie beispielsweise Magnesium, Platin, Palladium, Rhodium, Kobalt sowie Gold – und darüber hinaus innerhalb der Allianz über erheblichen Einfluss. Saudi Arabien könnte Moskau zu gegebener Zeit an seine jetzige Investition erinnern, und sich über diesen Weg ein zuverlässiges und preisgünstiges Lieferantennetzwerk sichern.

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Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 


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