Politik

BRICS+ positioniert sich entlang strategischer Handelswege

Lesezeit: 5 min
03.09.2023 16:50  Aktualisiert: 03.09.2023 16:50
Die Auswahl der sechs neuen Mitglieder zeigt: Das BRICS-Format positioniert sich als dominanter Faktor auf den Energiemärkten und entlang strategischer Handelswege.
BRICS+ positioniert sich entlang strategischer Handelswege
BRICS-Staaten dominieren wichtige Handelsrouten und Rohstoffmärkte. (Grafik: istockphoto.com/amgun)
Foto: amgun

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Auf dem Gipfeltreffen im südafrikanischen Johannesburg beschlossen die Vertreter Chinas, Russlands, Indiens, Brasiliens und Südafrikas die Aufnahme von sechs neuen Mitgliedsstaaten im BRICS-Verbund: Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Ägypten, Argentinien und Äthiopien werden im Januar 2024 beitreten.

Eine neue Weltordnung

Das übergeordnete Ziel der auf der BRICS-Plattform aktiven Regierungen besteht darin, eine multipolare Weltordnung zu erschaffen, um die Dominanz des unter Führung der Vereinigten Staaten stehenden Westens in Politik und Weltwirtschaft zu entkräften.

Diese multipolare Weltordnung soll sich zudem auf der Ebene internationaler Organisationen in Form neuer Einrichtungen und ausbalancierter Machtverhältnisse niederschlagen. Entwicklungsländer sollen mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten erhalten, über die sie aus Sicht der Initiatoren unter den seit Ende des Zweiten Weltkriegs herrschenden Bedingungen faktisch nicht verfügen.

Bevor auf die BRICS-Erweiterung und ihre geografischen Implikationen eingegangen wird, ist eine wichtige Vorbemerkung notwendig: Trotz des eben geschilderten Anspruches, die Kräfteverhältnisse in der Welt zugunsten des „Globalen Südens“ zu drehen, handelt es sich bei BRICS derzeit noch um einen Zusammenschluss von Staaten, die eigene Interessen verfolgen, unterschiedliche Traditionen und Religionen pflegen und teilweise (wie beispielsweise China und Indien) sogar untereinander in Konflikte verwickelt sind. BRICS ist deshalb keine verschworene Gemeinschaft zur Erreichung eines exakt definierten Ziels, sondern eine Plattform zahlreicher Staaten mit Überschneidungen bei einigen unklar gehaltenen, langfristigen Zielen.

Die nun beschlossene Erweiterung dürfte die Heterogenität innerhalb des Formats verstärken. Das (künftige) BRICS-Länder an strategisch wichtigen Handelswegen liegen oder in ihrer Gesamtheit den Ölmarkt dominieren könnten, bedeutet also nicht, dass es eine konkrete Agenda dafür gibt, die alle Teilnehmer vorbehaltlos gemeinsam vorantreiben. Trotzdem stellen die geografische Verteilung und der augenfällige Rohstoffbezug der Gruppe ein wichtiges Potenzial zur Machtentfaltung in möglichen späteren Auseinandersetzungen mit dem Westen dar.

Neuralgische Punkte der Weltwirtschaft

Betrachtet man die Neuzugänge auf einer Weltkarte, fällt auf, dass sie sich entlang strategisch wichtiger Handelswege in geopolitisch relevanten Weltregionen aufspannen.

So führt der Beitritt Saudi-Arabiens, Irans und der Emirate dazu, dass der Persische Golf fortan von BRICS-Staaten eingerahmt wird. Dies ist bemerkenswert, weil durch den Golf beträchtliche Teile des weltweiten Öl- und Gashandels mit Tankern abgewickelt werden, welche die Rohstoffe aus den angrenzenden Förderländern Irak, Iran, Kuwait, Bahrain, Katar, Saudi-Arabien und VAE in alle Welt transportieren.

Ähnlich verhält es sich mit dem Roten Meer, dessen nördlicher Zugang in Form des Suez-Kanals vom BRICS-Neuling Ägypten kontrolliert wird, auf den zudem ein beträchtlicher Küstenabschnitt entfällt. Beinahe die gesamte Ostküste des Roten Meeres stellt das Königreich Saudi-Arabien – ebenfalls bald ein BRICS-Staat.

Der Neuzugang Äthiopien grenzt zwar nicht ans Rote Meer oder den indischen Ozean, liegt aber in geografischer Nachbarschaft der Region und bildet ein ökonomisches und verkehrstechnisches Sprungbrett für Investoren aus dem Nahen Osten auf den afrikanischen Kontinent.

China – ein BRICS-Gründungsmitglied und das mächtigste Land der Koalition, verfügt zudem über einen Marinestützpunkt in Äthiopiens Nachbarland Dschibuti und kontrolliert damit den südlichen Ausgang der Wasserstraße – ebenso wie Amerikaner und Franzosen.

Wie der Persische Golf nimmt auch das Rote Meer eine Schlüsselstellung im Welthandel ein. Große Teile des See-Transports von Energieprodukten zwischen Europa, Nordafrika, dem Nahen und dem Fernen Osten sowie Südasien und Australien verlaufen durch das Rote Meer und den Suez-Kanal.

Apropos Suez-Kanal: die Bedeutung dieses maritimen Nadelöhrs wurde zuletzt infolge der Havarie des Containerfrachters „Ever Given“ demonstriert. Was viele Beobachter nicht wissen: durch den Suez-Kanal verlaufen hunderte Telekommunikationskabel, die große Teile des globalen Datenverkehrs zwischen Ostasien, Südasien, Ozeanien sowie Afrika und Europa ermöglichen.

Zu den Handelswegen, die fortan unter dem Einfluss von BRICS-Staaten stehen, gehört außerdem die Magellanstraße an Südamerikas Südspitze, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Zwar gehört die Magellanstraße zu Chile, die östliche Mündung in den Atlantik jedoch kann von Argentinien kontrolliert werden, dessen Staatsgebiet sich unmittelbar an die Mündung anschließt.

Die Magellanstraße stellt eine Abkürzung gegenüber der Umrundung des südlicher liegenden Kap Hoorn um etwa 700 Kilometer dar. Zudem ist sie leicht befahrbar und sicher, weil es sich um einen natürlichen Kanal handelt, während die Drake-Passage um das Kap Hoorn für ihre schweren Stürme in der Seefahrt berüchtigt ist.

Zuletzt sei auch noch auf die im Aufbau befindliche und durch das Kaspische Meer verlaufende Handelsroute von Südrussland nach Indien hingewiesen, die künftig drei BRICS-Anrainerstaaten aufweist und auf die weder die USA noch irgendein anderes NATO-Land direkten Einfluss ausüben können.

Energiemacht BRICS+

Die Positionierung entlang strategisch wichtiger Schifffahrtsrouten fällt mit einer deutlich gestiegenen Bedeutung der BRICS-Organisation auf den Rohstoff- und Energiemärkten zusammen.

Mit Saudi-Arabien wird der weltgrößte Erdöl-Förderer Teil der Gruppe und auch die VAE rangieren in der Riege der Förderländer weit oben. Mit Russland und Saudi-Arabien stehen nun zwei der drei bedeutendsten Öl-Mächte im Feld der BRICS, bei der dritten Macht handelt es sich um die USA.

Der Iran ist einer der wichtigsten Gasproduzenten der Welt und verfügt darüber hinaus auch über bedeutende Öl-Lagerstätten. Mit Argentinien gewinnt die Gruppe zudem ein Land, das über zahlreiche industriell verwertbare Industrie-Rohstoffe und eine der weltweit größten Fleisch-Industrien verfügt.

All das hat möglicherweise Folgen für die Art und Weise, wie Öl und Gas heute gehandelt und bezahlt werden. Die seit Mitte der 1970er Jahre bestehende Vorherrschaft des Petrodollars – also der Dominanz des US-Dollars bei der Bezahlung von Erdöl und der sich darauf abstützende Status als Weltleitwährung – könnte angesichts des großen Einflusses von BRICS-Ländern auf die Öl- und Gasmärkte in den kommenden Jahren unter Druck geraten.

Schon heute wickelt China seine Öl-importe aus Russland und Saudi-Arabien teilweise in der eigenen Landeswährung ab, ebenso, wie dies Indien im Zuge der massiv gesteigerten Öl-Importe aus Russland tut. Da es erklärtes Ziel der BRICS-Gruppe ist, die Vorherrschaft des unter amerikanischer Führung stehenden Westens abzuschütteln und angesichts einer markanten außenpolitischen Entfremdung zwischen Riad und Washington fällt der ursprünglich von China und Russland vorangetriebene Kurs einer Abkehr vom Dollar auf fruchtbaren Boden.

Das Petrodollar-System bildet aber nicht nur die Grundlage für den Weltleitwährungsstatus des Dollar, sondern es erlaubte es den USA in den vergangenen Jahrzehnten, weit über ihren Verhältnissen zu leben. Die Abrechnung von Öl (und nahezu aller anderen industriellen Rohstoffe in Dollar) führte dazu, dass die großen Förderländer auf riesigen Reserven der US-Währung saßen, welche sie gewinnbringend anlegen mussten – was zumeist in Form von US-Staatsanleihen geschah.

Die Regierungen der Vereinigten Staaten konnten sich also nicht nur auf den Weltmärkten mit Energieprodukten und Fertigwaren eindecken, indem sie diese mit einer Währung bezahlten, die sie seit dem Ende des Goldstandards 1971 selbst in unbegrenztem Umfang aus dem Nichts schöpfen konnten – sie refinanzierten auch ihre dadurch anlaufenden Handels- und Haushaltsdefizite durch einen steten Kapitalstrom von Übersee-Dollars, die auf der Suche nach rentabler Anlage wieder in die USA zurückflossen.

Der bereits in Ansätzen stattfindende, schrittweise Bedeutungsverlust des Dollar im Ölhandel könnte perspektivisch dazu führen, dass der Kapitalstrom ausländischer Anleger in die USA ausdünnt und eine Refinanzierung der rasant steigenden Schuldenberge erschwert.

Von BRICS zu BRICS-OPEC

Der amerikanische Rohstoff-Experte Byron King erwartet noch eine andere Auswirkung dieses Trends: „Mit anderen Worten: Jedes Barrel Öl, das nicht in Dollar gehandelt wird, bedeutet, dass weder Käufer noch Verkäufer amerikanische Währung benötigen, geschweige denn amerikanische Banken und Bankiers. Außerdem werden viele Übersee-Dollars schließlich ihren Weg zurück in die guten alten USA finden, um Vermögenswerte wie Immobilien oder andere wertvolle Güter zu kaufen. Und dies wird zur inländischen Inflation beitragen. Verlass 'dich darauf.“

King fasst die beiden grundlegenden Entwicklungen rund um die BRICS-Erweiterung folgendermaßen zusammen:

„BRICS wandelt sich rasch in BRICS-OPEC. Erwarten Sie, dass immer mehr von dem, was Al Jazeera den „Globalen Süden“ nennt, seine eigene Kontrolle über einen großen Prozentsatz der täglichen Erdölproduktion der Welt ausübt, ganz zu schweigen von den Reserven im Boden. Mit Blick auf die Zukunft werden die USA deutlich weniger Einfluss auf den weltweiten Ölhandel und die Ölpreise haben. Mittlerweile kontrolliert die BRICS-OPEC wichtige Küstenlinien, Wasserstraßen und Meerengen, über die ein Großteil der weltweiten Ölexporte fließen. Nicht zuletzt wird die BRICS-OPEC-Gruppe wichtige Engpässe dominieren.“



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