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Das wirtschaftliche Argument für Europas CO2-Grenzsteuer

Lesezeit: 4 min
13.10.2023 15:07  Aktualisiert: 13.10.2023 15:07
Die Europäische Union hat erstmals eine Importsteuer auf Kohlenstoff eingeführt, der „CO2-Grenzausgleichsmechanismus“ (bzw. CBAM). In der Bemühung die Klimakrise zu bekämpfen, riskiert die EU jedoch einen Handelskonflikt mit den USA. Welche Branchen sind von diesen Maßnahmen besonders betroffen?
Das wirtschaftliche Argument für Europas CO2-Grenzsteuer
Derzeit befindet sich die EU-Importsteuer auf Kohlenstoff in seiner anfänglichen Übergangsphase. (Foto: dpa)
Foto: Philipp von Ditfurth

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Der Oktober hat bereits eine bedeutende Änderung des globalen Handelssystems gebracht: Erstmals hat eine große Handelsmacht eine Importsteuer auf Kohlenstoff eingeführt. Da die Verwendung des Wortes „Steuer“ (oder „Zoll“) heikel gewesen wäre, entschied sich die Europäische Union für die Bezeichnung „CO2-Grenzausgleichsmechanismus“ (Carbon Border Adjustment Mechanism bzw. CBAM). Aber es handelt sich dabei um eine Steuer, und die wirtschaftliche Begründung dafür ist klar.

Die EU erhebt bereits eine interne Steuer auf Kohlenstoff. Im Rahmen des Emissionshandelssystems (EHS) zahlen Kraftwerke und große Industrieanlagen für jede Tonne Kohlendioxid, die sie ausstoßen. Mit Emissionszertifikaten, die etwa 90 Euro pro Tonne kosten, sollte das EHS einen starken Anreiz für Unternehmen schaffen, innerhalb der EU-Grenzen weniger Emissionen zu produzieren.

Das EHS hindert die Europäer jedoch nicht, ihre kohlenstoffintensiven Produkte aus anderen Ländern zu kaufen – insbesondere solchen ohne inländische Kohlenstoffsteuern. Diese als „Carbon Leakage“ bezeichneten Substitutionen haben zur Folge, dass das EHS allein nicht gut aufgestellt ist, um eine deutliche Verringerung der globalen CO2-Emissionen herbeizuführen. Der CBAM soll das beheben, indem er Importeure verpflichtet, zu um die im Herkunftsland gezahlten Kohlenstoffsteuern bereinigten EHS-Zertifikatssätzen für die in den importierten Waren enthaltenen Emissionen zu zahlen.

Der CBAM soll über die Neutralisierung des Carbon Leakage hinaus auch die EU-Industrie schützen. Bislang erhält die EU-Industrie den Großteil ihrer Zertifikate kostenlos, was erklärt, warum das EHS die europäischen Industrieemissionen bisher kaum verringert hat. Um die Auswirkungen des Systems zu verstärken, plant die EU nun, die kostenlosen Zertifikate ab 2026 über mehrere Jahre hinweg auslaufen zu lassen. Der CBAM soll im selben Zeitraum in Kraft treten.

Derzeit befindet sich der CBAM in seiner anfänglichen Übergangsphase, in der EU-Importeure noch keine Kohlenstoffsteuer zahlen, aber ihre Politik anpassen und die Emissionen melden, die im Rahmen der Produktion der von ihnen in den Block eingeführten Waren anfallen. Diese Phase bietet daher nicht nur den Importeuren die Chance zur Vorbereitung, sondern gibt zudem der europäischen Politik Raum, den politischen Widerstand ihrer wichtigsten Handelspartner zu mildern.

Natürlich können diese Partner diese Zeit auch nutzen, um den CBAM bei der Welthandelsorganisation anzufechten. Aber sobald die EU die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten beendet, scheint die Steuer WTO-kompatibel zu sein. Darüber hinaus sollte sie kein großes Handelshemmnis darstellen. Schließlich wird sie nur für eine kleine und recht unterschiedliche Auswahl kohlenstoffintensiver, für Carbon Leakage anfälliger Produkte gelten: Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel, Strom und Wasserstoff. Und überwiegend handelt es sich dabei nicht um im großen Umfang gehandelte Güter.

Strom beispielsweise wird nur über kurze Entfernungen gehandelt; er wurde in den CBAM aufgenommen, um die stark kohlenstoffintensive Energieproduktion in den Balkanstaaten abzudecken. Auch Zement und Düngemittel werden hauptsächlich aus benachbarten Ländern und Regionen wie der Türkei und Nordafrika importiert. Wasserstoff wird derzeit noch kaum gehandelt.

Insgesamt deckt der CBAM nur rund 3 % aller in die EU importierten Waren ab, mit einem Gesamtwert von nur 50–60 Milliarden Euro jährlich. Obwohl die Handelspartner der EU sich insbesondere über die Aufnahme von Stahlprodukten beschweren werden, wird der CBAM für die meisten Länder bestenfalls ein geringfügiges Ärgernis darstellen.

Für einige Klimaforscher ist dies genau das Problem: Für sie deckt der CBAM nicht genügend Produkte bzw. keinen ausreichend großen Anteil der Emissionen ab. Aber obwohl der CBAM nur einen kleinen Anteil der Gesamtimporte abdeckt, entfallen auf diese Produkte fast die Hälfte (47%) der der europäischen Industrie derzeit kostenlos gewährten Emissionszertifikate.

Der CBAM wird sich somit positiv auf die öffentlichen Finanzen auswirken. Laut Schätzungen verkörpern die vom CBAM erfassten Importe direkte Emissionen von etwa 80 Millionen Tonnen CO2. Bei einem EHS-Preis von 90 Euro pro Tonne entspräche dies jährlichen Einnahmen von etwa 7,2 Milliarden Euro, die direkt in den EU-Haushalt fließen würden und dringend benötigten Spielraum für andere Ausgaben wie z. B. die Unterstützung der Ukraine schaffen würden.

Die aus dem CBAM erzielten Einnahmen würden 15 % des Werts der erfassten Importe entsprechen. Der Mechanismus hätte also in etwa dieselbe Größenordnung wie die vom früheren US-Präsidenten Donald Trump vorgeblich zum Schutz der nationalen Sicherheit verhängten Zölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte. Für die Kritiker des CBAM ist es erwähnenswert, dass diese Zölle, die inzwischen von anderen Formen der Handelslenkung abgelöst wurden, nur begrenzten Erfolg beim Schutz der US-Stahlindustrie hatten.

Die CO2-Grenzsteuer der EU, obwohl nicht perfekt, macht wirtschaftlich Sinn und wird dem globalen Handelssystem wahrscheinlich keinen bedeutenden Schaden zufügen. Sie könnte im Gegenteil andere Länder – vielleicht sogar China – anregen, Kohlenstoffpreise einzuführen, damit ihre nationalen Regierungen, und nicht die EU, die Einnahmen kassieren können. Das jedoch heißt nicht, dass der CBAM keine Risiken birgt. Insbesondere könnte er Spannungen zwischen Freunden schüren, vor allem zwischen der EU und den USA – wenn auch vielleicht nicht so, wie man es erwarten könnte.

Die USA haben sich gegen eine Kohlenstoffsteuer für die Industrie entschieden und setzen stattdessen im Rahmen des Inflation Reduction Act Anreize zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CSS). Die Zahlungen, die US-Unternehmen für die CCS erhalten – 85 Dollar pro Tonne dauerhaft gespeichertem CO2 – sind vom aktuellen EHS-Preis nicht weit entfernt. US-Stahlproduzenten könnten die CCS-Subvention also nutzen, um kohlenstoffarmen Stahl kostengünstiger herzustellen als ihre Wettbewerber in der EU, die den gleichen Anreiz zur Dekarbonisierung hätten, aber die Kosten selbst tragen müssten. Dies würde Investitionen in die USA lenken, und die EU-Stahlindustrie würde sich über unlauteren Wettbewerb beschweren.

Es ist also nicht der CBAM der EU, sondern die US-Politik, die Handelsspannungen zwischen Verbündeten auslösen könnte. Dies ist nur eine der unbeabsichtigten Folgen der verspäteten Verfolgung einer Klimapolitik ohne Kohlenstoffsteuer durch die USA.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2023.

www.project-syndicate.org

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Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.


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