Politik

Terroranschlag in Brüssel: Attentäter tot, viele Fragen offen

Mehr als zwölf Stunden hielt Brüssel den Atem an: Ein bewaffneter Attentäter war auf freiem Fuß, erschoss mitten in der Stadt zwei Menschen. Die Behörden müssen sich nun auf unbequeme Fragen gefasst machen. Und welche Rolle spielt der Konflikt in Israel?
17.10.2023 07:25
Aktualisiert: 17.10.2023 07:25
Lesezeit: 3 min

Die ganze Nacht ist nach ihm gefahndet worden. Am Morgen dann wurde er von der Polizei in einem Café in die Enge getrieben und erschossen. Der mutmaßliche Verantwortliche für die tödlichen Schüsse auf zwei schwedische Fußballfans in Brüssel ist nun selbst tot. Es handle sich um einen 45-jährigen abgelehnten Asylbewerber aus Tunesien, sagte Justizminister Vincent van Quickenborne am frühen Morgen noch vor der Festnahme. Für die belgische Hauptstadt gehen Stunden voller Angst und Ungewissheit zu Ende.

Am Montagabend war der bewaffnete Mann laut der belgischen Nachrichtenagentur Belga im Norden der Innenstadt von einem Roller abgestiegen und hatte auf der Straße Schüsse abgegeben. Als mehrere Menschen in einen Hauseingang flohen, soll er sie verfolgt und auf sie geschossen haben. Die Polizei bestätigte diese Angaben zunächst nicht. Ein drittes Opfer ist laut Staatsanwaltschaft inzwischen außer Lebensgefahr. Die ganze Stadt war in Alarmbereitschaft, Menschen wurden aufgefordert, sich sofort in Sicherheit zu bringen.

Todesopfer waren zwei ältere schwedische Männer

Bei den Todesopfern handelt es sich um zwei etwa 60 und etwa 70 Jahre alte schwedische Männer, wie das schwedische Außenministerium dem Fernsehsender TV4 bestätigte. Der Ältere habe im Großraum Stockholm gelebt, der Jüngere außerhalb Schwedens. Das Schweizerische Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) teilte am Dienstag mit, einer der getöteten Schweden habe seinen Wohnsitz in der Schweiz gehabt. Auch das dritte Opfer, das den Anschlag überlebt hat, sei ein schwedischer Mann um die 70, hieß es bei TV4.

Die beiden Schweden starben durch die Kugeln rund fünf Kilometer entfernt vom Brüsseler Fußballstadion, wo die Nationalmannschaften Belgiens und Schwedens in einem EM-Qualifikationsspiel gegeneinander spielten. Die Nachricht vom Tod der beiden Fußballfans verbreitete sich in der Halbzeitpause. Die Spieler beider Mannschaften wollten das Match nicht fortsetzen. Mehrere Tausend Menschen mussten aus Sicherheitsgründen zunächst im Brüsseler Fußballstadion ausharren, bis sie evakuiert werden konnten. Ein schwedischer Fußballfan berichtete auf X, die Polizei habe dazu geraten, sich nicht als solcher zu zeigen.

Die Frage nach dem Warum

Die genauen Motive für die Tat liegen noch im Dunkeln, auch wenn Regierung und Staatsanwaltschaft sehr klar von Terror sprechen. In sozialen Netzwerken wurde nach Angaben der Bundesanwaltschaft ein Beitrag einer Person geteilt, die sich als der Angreifer ausgegeben habe und behauptete, von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) inspiriert zu sein. Zudem kursierte im Internet vielfach ein Video, das die Tat zeigen soll.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach im Zusammenhang mit dem Anschlag in Brüssel von Terror. Sie sicherte ihren Amtskollegen in Belgien und Schweden ihre Solidarität und Unterstützung zu. „Unsere Sicherheitsbehörden arbeiten im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus eng zusammen“, teilte Faeser am Dienstag mit.

Ein Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas wurde am Tag zuvor noch ausgeschlossen, am Dienstag sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dem Sender VRT: „Aber wir haben inzwischen festgestellt, dass er in seinen sozialen Medien eine Reihe von Unterstützungsbekundungen für das palästinensische Volk geteilt hat.“ Das könnte also doch eine Rolle gespielt haben.

Auch die schwedische Staatsangehörigkeit der Opfer könnte nach Angaben der Bundesstaatsanwaltschaft eine Motivation für die Tat gewesen sein. In diesem Jahr hatten Menschen in Schweden und später auch in Dänemark mehrmals Koran-Exemplare verbrannt und damit wütende Reaktionen unter Muslimen ausgelöst. Für die skandinavischen Länder hatte all das diplomatischen Ärger nach sich gezogen. Mindestens eines der Opfer soll ein schwedisches Fußballtrikot getragen haben.

Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson forderte am Tag nach dem Anschlag bessere Grenzkontrollen in der EU. Der mutmaßliche Täter habe sich vor dem Anschlag zeitweise in Schweden aufgehalten. Im Nachrichtendienst X, ehemals Twitter, kündigte Kristersson an, am Mittwoch nach Brüssel reisen zu wollen, um der Opfer zu gedenken.

Wie es nun weiter geht

Am Tag nach dem Anschlag galt in Brüssel immer noch die höchste Terrorstufe. Schulen und Behörden blieben teilweise geschlossen, die Polizeipräsenz war deutlich erhöht. Auch für das restliche Land wurde die Bedrohungsstufe hochgesetzt – auf die zweithöchste. In den nächsten Tagen wird die Aufarbeitung in dem politisch tief gespaltenen Land beginnen. Im Fokus dürfte die Frage stehen: Hätte das Attentat verhindert werden können? Gerade der mögliche Zusammenhang mit dem radikalen Islamismus weckt bei vielen Brüsselern düstere Erinnerungen.

Erst vor rund vier Wochen endete der Prozess zu den Brüsseler Terroranschlägen von 2016. Drei Selbstmordattentäter des IS hatten damals Bomben am Brüsseler Flughafen Zaventem sowie in einer U-Bahn-Station im Herzen der belgischen Hauptstadt gezündet. Sie töteten über 30 Menschen, 340 wurden verletzt. Für Fassungslosigkeit bei den Hinterbliebenen sorgten damals auch Medienberichte, wonach mehrere der Angeklagten vor den Anschlägen von den belgischen Sicherheitsbehörden überwacht worden waren – und später dennoch ihre Morde begehen konnten.

Auch bei der aktuellen Bluttat war der Täter polizeibekannt – etwa im Zusammenhang mit Menschenhandel, illegalem Aufenthalt und Gefährdung der Staatssicherheit. Im Juli 2016 wurden von einer ausländischen Polizeibehörde unbestätigte Informationen übermittelt, wonach der Mann ein islamistisches Profil habe und in ein Konfliktgebiet in den Dschihad ziehen wolle, sagte der Justizminister. Solche Informationen gebe es allerdings zuhauf. Sie seien ohne Ergebnis überprüft worden. „Darüber hinaus gab es, soweit unseren Diensten bekannt, keine konkreten Hinweise auf eine Radikalisierung“, hieß es. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Erbe aufteilen: So sichern Sie den Verbleib Ihres Partners im gemeinsamen Haus
19.07.2025

Sind Sie wiederverheiratet und haben Kinder aus früheren Beziehungen? Dann ist besondere Vorsicht geboten, wenn es darum geht, Ihr Erbe...

DWN
Finanzen
Finanzen Unser neues Magazin ist da: Kapital und Kontrolle – wem gehört Deutschland?
19.07.2025

Deutschland ist reich – doch nicht alle profitieren. Kapital, Einfluss und Eigentum konzentrieren sich zunehmend. Wer bestimmt wirklich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung: Wann Verspätungszuschläge unzulässig sind
19.07.2025

Viele Steuerzahler ärgern sich über Verspätungszuschläge, wenn sie ihre Steuererklärung zu spät abgeben. Doch nicht immer ist die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeiten nach der Schule: Warum viele keine Ausbildung beginnen
19.07.2025

Schnell Geld verdienen statt jahrelang pauken – das klingt für viele junge Menschen verlockend. Doch wer direkt nach der Schule in den...

DWN
Politik
Politik Militär statt Frieden? Was das EU-Weißbuch 2030 wirklich bedeutet
19.07.2025

Mit dem Weißbuch „Bereitschaft 2030“ gibt die EU ihrer Sicherheitspolitik eine neue Richtung. Doch Kritiker warnen: Statt...

DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Birkenstock: Von der Orthopädie-Sandale zur globalen Luxusmarke
18.07.2025

Birkenstock hat sich vom Hersteller orthopädischer Sandalen zum weltweit gefragten Lifestyle-Unternehmen gewandelt. Basis dieses Wandels...

DWN
Politik
Politik 18. Sanktionspaket verabschiedet: EU verschärft Sanktionsdruck mit neuen Preisobergrenzen für russisches Öl
18.07.2025

Die EU verschärft ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland: Mit einem neuen Sanktionspaket und einer Preisobergrenze für Öl trifft...