Das Polster der deutschen Industriebetriebe wird dünner: Die Reichweite des Auftragsbestands sank im August auf den tiefsten Stand seit mehr als zwei Jahren, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Sie nahm auf 7,1 Monate ab, nachdem sie im Juli noch 7,2 Monate betragen hatte. Das ist der niedrigste Wert seit Juni 2021. Die Reichweite gibt an, wie viele Monate die Betriebe bei gleichbleibendem Umsatz ohne neue Aufträge theoretisch produzieren müssten, um die vorhandenen Bestellungen abzuarbeiten.
"Der Bestandsrückgang resultiert auch aus gesunkenen Neuaufträgen", sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG, Alexander Krüger. Diese fielen im August um 0,7 Prozent im Vergleich zum Vormonat und damit zum zweiten Mal in Folge, weil vor allem die Nachfrage nach Waren "Made in Germany" aus dem Ausland nachließ. Verglichen mit dem Vorjahresmonat gab es sogar ein reales Minus von 4,7 Prozent. "Eine Trendwende bei der Produktion wird damit weiter aufgeschoben", sagte Krüger. Unter einem schwachen Auftragsbestand werde auf Dauer auch die Investitionstätigkeit leiden.
Die einzelnen Branchen entwickeln sich sehr unterschiedlich. "Der Rückgang im Vormonatsvergleich kam insbesondere durch die negative Entwicklung der Auftragsbestände in der Automobilindustrie zustande", erklärten die Statistiker. Diese sanken im August um 2,8 Prozent. Der Rückgang im Maschinenbau von 1,0 Prozent beeinflusste das Gesamtergebnis ebenfalls negativ. Einen Zuwachs verzeichneten hingegen die Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen mit 1,4 Prozent.
Die exportlastige Industrie hat ihre Produktion zuletzt vier Monate in Folge gedrosselt. Ein Grund dafür ist die maue Weltkonjunktur. So schwächelt etwa das Exportgeschäft mit China. Zudem haben viele Zentralbanken ihre Leitzinsen im Kampf gegen die Inflation kräftig heraufgesetzt, was die Finanzierungskosten nach oben treibt und die Nachfrage nach deutschen Waren dämpft.
Rezessionsrisiko in Deutschland bei 73 Prozent
Die Gefahr einer Rezession in Deutschland bleibt einer Studie zufolge sehr groß. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt im Zeitraum Oktober bis Dezember bei 73 Prozent, wie das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) am Mittwoch zu seinem Indikator mitteilte. Anfang September lag sie mit 74,0 Prozent sogar noch ein wenig höher.
Der nach dem Ampelsystem arbeitende Indikator - der Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt - steht damit weiter auf "rot". Das signalisiert eine "akute" Rezessionsgefahr. Mögliche Folgen des Nahostkriegs auf die wirtschaftliche Entwicklung sind dabei in den Daten noch nicht abgebildet, weil diese vor dem Angriff auf Israel erhoben wurden.
"Die deutsche Wirtschaft schafft es weiterhin nicht, sich freizuschwimmen", sagte IMK-Konjunkturexperte Peter Hohlfeld. "Das Verharren der Rezessionswahrscheinlichkeit auf hohem Niveau deutet darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal allenfalls geringfügig zunimmt." Viele Experten gehen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt von Europas größter Volkswirtschaft in der zweiten Jahreshälfte schrumpfen dürfte.
Der marginale Rückgang der Rezessionsgefahr beruht den Angaben zufolge darauf, dass die Auftragseingänge aus dem In- und dem Ausland zuletzt deutlich gestiegen sind. Besonders ausgeprägt fiel der Zuwachs bei Vorleistungs- und Konsumgütern aus. Negative Impulse von den Finanzmärkten verhinderten jedoch, dass sich dieser positive Trend nennenswert auf die Prognose auswirken konnte. So hätten die Aktienkurse in den vergangenen Wochen um knapp vier Prozent nachgegeben. Außerdem erschwerten die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen.
Für das laufende Jahr erwarten die Düsseldorfer Forscherinnen und Forscher einen Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung von 0,5 Prozent. Das IMK rechnet auch im kommenden Jahr nicht mit einem kräftigen Aufschwung. Das Bruttoinlandsprodukt werde dann um 0,7 Prozent wachsen, heißt es in der kürzlich veröffentlichten Prognose. Damit ist das IMK deutlich pessimistischer als noch im Frühjahr mit 1,2 Prozent angenommen. (Reuters)