Was hat es tatsächlich auf sich mit dem ehemals als wirtschaftliche Hoffnungsstraße propagiertes Chinaprojekt „Neue Seidenstraße“?
10 Jahre ist es nun her, dass Xi Jinping, das Projekt seines Lebens, die Neue Seidenstraße, ins Leben rief. 10 Jahre ist es auch her, dass die Europäische Union (EU) und China gemeinsam die "Strategische Agenda 2020 für die Zusammenarbeit zwischen der EU und China" zur Förderung einer umfassenden strategischen Partnerschaft mit bilateraler Zusammenarbeit beschlossen haben.
Viel ist seitdem passiert. Die EU, aber auch Deutschland entwickeln mittlerweile ihre eigenen China-Strategien. Statt Kooperation und Vertrauen steht nun mehr denn je eine systemische Rivalität zwischen den Großmächten im Raum.
Vieles, was Chinas Politiker erwägen, beruht auf der Lektüre von Sun Tzu. Eine berühmte Schrift über die Kriegskunst, die zwar bereits 500 Jahre alt ist, dennoch bei Managern und Politikern in Asien als Pflichtlektüre Bestand hat. Die Schrift vermittelt Taktiken der Kriegsführung, wie durch kluges Handeln Bedingungen geschaffen werden können, in denen man den Feind mit möglichst geringem Gewalteinsatz besiegen kann. Es geht um die Verringerung der Widerstandskraft des Gegenübers durch geschicktes Handeln. Es geht weniger, um das Aufoktroyieren eigener Maxime, sondern mehr, um die Gunst der Vorteile in fremde Systeme zu identifizieren und für sich zu nutzen.
Was war der ursprüngliche Plan, der hinter dem Mammutprojekt stand? Zu Xis Vision gehörte die Schaffung eines riesigen Netzes von Eisenbahnen, Energiepipelines, Autobahnen und vereinfachten Grenzübergängen, sowohl in Richtung Westen durch die gebirgigen ehemaligen Sowjetrepubliken als auch in Richtung Süden, nach Pakistan, Indien und dem Rest Südostasiens. Der Plan, überschüssige Produktionskapazitäten an den Mann zu bringen, durch neue Exportmärkte und Handelsbeziehungen.
Zugleich kündigte Xi 2013 Pläne für die maritime Seidenstraße an. Um den wachsenden Seehandelsverkehr zu bewältigen, würde China in die Entwicklung von Häfen entlang des Indischen Ozeans investieren, von Südostasien bis nach Ostafrika und Teilen von Europa. Im Vordergrund wurden zu Beginn der chinesischen Initiative, wirtschaftliche Beweggründe gestellt. Doch mehr und mehr wird deutlich, dass geopolitische Interessen bei weitem überwiegen. Das lässt das Misstrauen gegenüber China zunehmend größer werden.
Die Offensive der EU - Global Gateway Strategie
Die Scheinwerfer sind für die kommenden Dekaden auf Asien gerichtet, wobei China besonders im Rampenlicht steht. Nicht nur als Wirtschaftsmotor, sondern, und vor allem wegen der sich verändernden strategischen Ausrichtung. »Hyrasia One« heißt das Multimilliarden-Euro-Projekt, welches EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen als Europas Antwort auf die Neue Seidenstraße Chinas gibt. Seit 2021 und noch bis 2027 mobilisieren die EU-Organe und die EU-Mitgliedstaaten im Verbund, Investitionen von rund 300 Mrd. EUR für nachhaltige Projekte in Partnerländern, allen voran in Afrika und Südamerika. Auf der Internetseite der Europäischen Kommission wird deutlich, worauf es Europa bei der Global Gateway Strategie ankommt: Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie internationale Normen und Standards. Es gehe aber auch um „intelligente, saubere und sichere Investitionen in hochwertige Infrastruktur“ und um „die weltweite Vernetzung von Waren, Menschen und Dienstleistungen“. Lieferkettenschwierigkeiten und Abhängigkeiten sollen weitestgehend reduziert werden in Zukunft. Die Pandemie als Lehrmeister, wie man es fortan nicht mehr haben will.
Natürlich geht es auch um Rohstoffe. So sollen bilaterale Partnerschaften mit ressourcenreichen Ländern entwickelt werden, um die Vorteile der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) zu nutzen und Investitionen entlang der Rohstoffwertschöpfungskette zu fördern. Über das wirtschaftliche Engagement hinaus geht es darum, Abhängigkeiten Afrikas zu Staaten wie China zu reduzieren. Davon zeugt auch die im Oktober 2022 von der EU unterzeichnete Finanzhilfevereinbarung über 100 Mio. EUR für den Treuhandfonds des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Armutsbekämpfung und Wachstum (PRGT). Dies ermöglicht dem IWF, zinslose Darlehen in Höhe von rund 630 Mio. EUR an PRGT-förderfähige afrikanische, karibische und pazifische (AKP-) Länder mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu vergeben.
Die Abhängigkeit Chinas am Beispiel Afrikas
Wie die Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigt, spielen Staatsanleihen am freien Kapitalmarkt und Kredite aus China ab 2010 eine maßgebliche Rolle für den afrikanischen Kreditboom. In einzelnen Jahren machen sie jeweils rund ein Viertel bis fast die Hälfte der Kreditaufnahme afrikanischer Staaten aus. Gleichzeitig fällt auf, dass sie an chinesische Geldgeber deutlich höhere Zinsen als an andere öffentliche Finanzinstitute wie die Weltbank zurück zahlen müssen. China setze im Schnitt 3,2 Prozent an Zinsen an. Bei den übrigen öffentlichen Gläubigern liege der Schnitt bei nur 1,1 Prozent. Dies habe dazu geführt, dass immer mehr Länder, die von der Volksrepublik Kredite für den Bau von Infrastruktur aufgenommen haben, diese nicht mehr planmäßig bedienen können. Als Folge dessen habe die chinesische Regierung in den letzten Jahren die Vergabe von Rettungskrediten erheblich erhöht. Durch die Vergabe immer neuer Kredite verstricke Peking die Schuldnerländer in immer stärkere Abhängigkeiten und stärke so seine geopolitische Position. Ganze 46 afrikanische Länder haben sich Chinas Plan angeschlossen. Wie Focus berichtet, waren 2020 76 von 120 Partnerländern beim Seidenprojekt verschuldet und mussten die Ratenzahlung aufschieben. Manche Partner wie Kenia halten sich nicht mehr an Abmachungen und veröffentlichen die eigentlich geheimen Kreditverträge mit China. 3,6 Milliarden Dollar soll demnach der Bau der Eisenbahntrasse zwischen Nairobi und Mombasa kosten, natürlich kreditfinanziert.
Eine Investitionsblase die bald platzt?
Als einziges G7-Land hatte Italien im Jahr 2019 seine Mitwirkung am chinesischen Mammutprojekt mit Tinte ratifiziert. Zuvor war Griechenland mit dem Hafen von Piräus in das Projekt eingebunden. Doch nun, nach nur vier Jahren läuft das „Memorandum of Understanding“ aus und Italien verkündete bereits die Absicht, nicht länger Partner sein zu wollen. Die Abkehr von dem Projekt nach genau 10 Jahren bedeutet für China einen großen Gesichtsverlust.
Doch die Entwicklung der Volksrepublik, vor allem in den vergangenen Jahren, wirkt immer abschreckender auf demokratische Staaten. In einer Studie aus dem Jahr 2021 wurden über einhundert Schuldenfinanzierungsverträge analysiert, die China mit ausländischen Regierungen unterzeichnet hat und es ist festzustellen, dass die Verträge häufig Klauseln enthalten, die eine Umstrukturierung mit der als "Pariser Club" bekannten Gruppe von zweiundzwanzig großen Gläubigernationen einschränken. Außerdem behalte sich China das Recht vor, jederzeit die Rückzahlung zu verlangen, was Peking die Möglichkeit gibt, die Finanzierung als Instrument zur Durchsetzung von wichtigen chinesischen Themen wie Taiwan oder der Behandlung der Uiguren zu nutzen.
Es gibt vieles, was die Neue Seidenstraße sein könnte, je mehr man darüber nachdenkt. Manche Kritiker sehen zum Beispiel den Versuch Chinas, Einfluss in den Balkanländern zu gewinnen, die wie Serbien auf einen EU-Beitritt hoffen, um darüber mehr Mitspracherecht in Europäische Angelegenheiten zu bekommen. Die problembehaftete Initiative Chinas hat bisher geschätzt 1 Billion Dollar gekostet. Dafür gab es Einfluss in Asien, Afrika und Lateinamerika. Mit dem Geld und Investitionen hat China die Loyalität und die Unterstützung vieler autoritärer Staatsführer gekauft. Insgesamt beteiligen sich laut Freedom House, einer Nichtregierungsorganisation, 52 Länder mit den niedrigsten Demokratie-Werten weltweit an Xis Projekt. Doch die finanzschwachen Partner scheinen nun zum Problem für China und das Projekt zu werden. Auch die eigene Wirtschaft des Landes steckt in Schwierigkeiten. Insolvenzen staatlicher Unternehmen hatten Einfluss auf das Finanzsystem. Freedom House schätzt, dass die Kosten der Verschuldung Chinas, also die geschätzten Zinsen für Kredite das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) stark übersteigen. Die Riesenprojekte haben ihr Ziel in vielen Fällen verfehlt. Zugleich drohen ebenfalls die Partner mit Kreditausfällen. Die Schuldenübernahme der Partnerländer in Milliardenhöhe war in dieser Größenordnung mit Sicherheit nicht einkalkuliert. Die Investitionsblase Neue Seidenstraße könnte bald platzen.