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Geld für Ungarn: EU-Parlament will Kommission bei Freigabe stoppen

Lesezeit: 3 min
24.10.2023 15:04  Aktualisiert: 24.10.2023 15:04
Justizreformen in Ungarn: EU-Kommission will 13,5 Milliarden Euro Fördergeld für Ungarn freigeben. Sie waren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in dem Land eingefroren worden. Das EU-Parlament ist von Ungarns Anstrengungen nicht überzeugt und vermutet einen Deal mit Orbán.
Geld für Ungarn: EU-Parlament will Kommission bei Freigabe stoppen
Auftritt mit Putin: Auf diesem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichten Foto begrüßt Russlands Präsident Wladimir Putin (r) den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán vor ihren Gesprächen am Rande des Seidenstraßen-Gipfels in Peking am 17. Oktober. Orbán nahm als einziger EU-Regierungschef daran teil. (Foto:dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP | Grigory Sysoyev)
Foto: Grigory Sysoyev

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Ungarns Ministerpräsident ist der Troubleshooter innerhalb der EU und wird immer mehr zum Außenseiter unter den 27 Regierungsschefs. Mit dem systematischem Abbau von Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Demokratie testet Victor Orbán seit Jahren die Grenzen des innerhalb der Union Möglichen, pflegt eine aggressive Anti-Brüssel-Rhetorik und will EU-Sanktionen gegen Russland nicht mittragen. Vor allem wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit hatte die EU Fördergeld für das Land in Milliardenhöhe eingefroren und Maßnahmen zur deren Wiederherstellung gefordert. Nun hat die EU-Kommission offenbar beschlossen, dass Ungarn auch die letzten Vorgaben erfüllt oder zumindest den richtigen Weg eingeschlagen hat und will die Mittel freigeben. Die EU-Parlamentarier sind da anderer Meinung und fordern die Kommission auf, die Auszahlung zu verschieben und noch einmal genauer hinzuschauen. Sie vermuten sogar, dass Ungarn sich die Kommission durch Erpressung gefügig macht.

Parlamentarier sprechen von „kosmetischen Reformen“

Ungarn hätte mitnichten alle verlangten Bedingungen erfüllt, um eingefrorene Fördergelder von der EU-zu erhalten, konstatierten die Haushälter von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen im EU-Parlament am Montag in einer gemeinsamen Pressekonferenz in Brüssel.

Konkret geht es um eine Summe von 13,5 Milliarden Euro, die die Kommission bisher wegen Verstößen der Regierung gegen die Rechtsstaatlichkeit zurückgehalten hatte. Ungarn musste nachweisen, dass es Reformen angeht und auch durchführt und hat der Kommission Antworten auf ihre diesbezüglichen Fragen vorgelegt. Die Kommission hat einen Monat Zeit, diesen zu prüfen. Bis Mitte November muss die Entscheidung für oder gegen die Freigabe der Milliarden fallen. Das Geld könnte bis in spätestens zwei Wochen ausgezahlt sein.

Die Parlamentarier sind der Auffassung, dass es sich bei den jüngsten Berichten der Ungarn allenfalls um kosmetische Reformen handelt. Bei allen anerkannten ersten positiven Schritten zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Justiz, reichten sie nicht aus. „Von den vier Meilensteinen, die noch zu erfüllen waren, wurden theoretisch zwei erfüllt, in der Praxis kein einziger“, sagte Daniel Freund (Grüne/Deutschland), der für das Parlament Einblick in die Unterlagen hatte. „Es wäre deshalb im Moment sogar schädlich, die Mittel freizugeben.“

Mehr Unabhängigkeit für ungarische Justiz versprochen

Die neuralgischen Punkte betreffen die höchsten Gremien der ungarischen Justiz. Nach Angaben der Ungarn sollen der Nationale Justizrat und dessen Unabhängigkeit weiter gestärkt werden. Allerdings laufen derzeit die Wahlen für dieses Gremium und erst deren Ausgang werde zeigen, wie ernst die Regierung es mit dieser Ankündigung meint. Die Frage sei, ob die Wahlen frei sind und ob es dann wirklich eine unabhängige Justiz gebe, oder ob die Kandidaten unter fragwürdigen Bedingungen von Orbán ernannt werden, sagte Freund. Die Kommission sollte die Ergebnisse dieser Wahl zumindest abwarten, um zu sehen, ob Orbán seine Ankündigung wahr macht.

Eine weitere Ankündigung sei noch schwieriger zu überprüfen: Sie betrifft die Stärkung der Unabhängigkeit der Kuria, des obersten Rechtssprechungsorgans in Ungarn. Wie es heißt, soll der Kuria-Präsident künftig unabhängig sein. Doch damit sei kein Problem gelöst, kritisieren die EU-Parlamentarier. Der aktuelle Kuria-Präsident sei unter fragwürdigen Umständen auf seinen Posten gelangt, neue Regeln erlauben ihm eine unbefristete Amtszeit, solange die Regierungspartei Fidesz eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament hält. Sein jetziges Mandat laufe zudem noch für sieben Jahre. Ob die Unabhängigkeit dieses Gremiums danach tatsächlich gestärkt wird, könne also allenfalls nach der nächsten Wahl festgestellt werden, so Freund weiter. Deshalb sollten die Mittel eingefroren bleiben, bis eine Wirkung der Justizreform tatsächlich erkennbar sei.

Die volle Erfüllung der von der Kommission selbst festgelegten Meilensteine ist nicht verhandelbar, betonte auch die ungarische Abgeordnete Katalin Czeh (Renew). Über die Wahlen des Justizrates seien in Ungarn Unwahrheiten verbreitet, die Bedingungen der Verhandlungsprozesse beeinflusst worden. „Die ungarischen Bürger machen sich Sorgen um die Demokratie und die Zukunft ihres Landes.“

Erpressung mit Veto-Recht bei EU-Haushalt

Orbán versuche darüber hinaus die EU mit seinem Veto-Recht bei der Revision des langfristigen EU-Haushalts (MFR) zu erpressen, falls er seine Fördergelder nicht bekommt. Der MFR muss noch in diesem Jahr verabschiedet werden und erfordert Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten. An ihm hängt auch die versprochene langfristige 50-Milliarden-Euro-Hilfe für die Ukraine, die ab Januar benötigt wird. „Hier darf die EU-Kommission auf keinen Fall nachgeben“, warnt Czeh, „sonst haben wir es in Zukunft mit immer neuen Geldforderungen zu tun.“

„Orbán scheint zu glauben, dass er die EU als Cash-Maschine verwenden kann und dafür nur kosmetische Reformen anbieten muss“, sagt der Niederländer Thijs Reuten (S&D). Ungarn versuche, maximale Förderung für minimale Bemühungen zu bekommen. „Fachleute in Ungarn sagen, wenn die Mittel fließen, werde die Regierung danach jede Gelegenheit nutzen, um die Entwicklung wieder zurückzudrehen.“

Das EU-Parlament kann in dieser Frage nur indirekt auf die Entscheidung von EU-Justizkommissar Didier Reynders Einfluss nehmen. „Wir hoffen, dass unsere heutigen Signale gehört werden. Die Kommission ist uns Rechenschaft schuldig“, sagt Daniel Freund. „Wir werden uns die Analysen genau ansehen“, sagt Petri Sarvamaa (EVP/Finnland). „Wenn Ungarn Geld bekommt, bevor die MFR-Situation geklärt und verabschiedet wird, müssen wir uns Sorgen machen.“

Thijs Reuten wählt deutlichere Worte. „Die Rechtsstaatlichkeit ist Grundlage der Europäischen Union, wenn die Regeln nicht eingehalten werden, wird das Parlament bissig sein“, warnte der Niederländer. „Ich würde als Kommission da keinen Konflikt mit dem Parlament suchen.“

Unterdessen macht der ungarische Ministerpräsident weiter mit seinen Provokationen. Als einziger EU-Regierungschef auf dem Seidenstraßen-Gipfel in China posierte er dort vergangene Woche demonstrativ freundlich mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Und während er auf die EU-Fördermilliarden wartet, die er braucht, um seine Wirtschaft zu sanieren, startet er den Auftakt des Europa-Wahlkampfs seiner Partei mit scharfen Attacken gegen Brüssel.


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