Politik

Israel: Bodentruppen in den Gaza-Streifen vorgedrungen

Lesezeit: 3 min
28.10.2023 12:04  Aktualisiert: 28.10.2023 12:04
Israels Armee ist Berichten zufolge in den Gazastreifen eingedrungen. Die Palästinenser kündigen massive Gegenwehr an.
Israel: Bodentruppen in den Gaza-Streifen vorgedrungen
Rauch steigt nach einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen auf, vom Süden Israels aus gesehen. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Drei Wochen nach Massakern islamistischer Terroristen hat die israelische Armee ihre Angriffe auf den Gazastreifen weiter verstärkt. In der Nacht zu Samstag stießen erneut Bodentruppen in den Norden des abgeriegelten Küstengebiets vor. Anders als bei begrenzten Einsätzen dieser Art in früheren Nächten zogen sich die Panzerverbände jedoch zunächst nicht wieder zurück.

Die israelische Armee rief die noch im Norden des Gazastreifens verbliebenen Menschen erneut dringend auf, sich im Süden in Sicherheit zu bringen. Das «Zeitfenster» schließe sich schnell, hieß es. Den Beginn einer erwarteten großen Bodenoffensive bestätigte die Armee nicht.

Hilfsorganisationen beklagten, dass der Ausfall fast aller Telefon- und Internetverbindungen die Hilfe für Opfer des Krieges noch schwieriger mache. Es war die Rede von Panik und Chaos.

Israel geht gegen Hamas vor

Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Samstag, Israel schreite «in den Kriegsphasen voran». In der Nacht «sind israelische Truppen in den Norden des Gazastreifens vorgedrungen und haben den Bodeneinsatz ausgeweitet», sagte er. Beteiligt seien Infanterie, Panzertruppen, Ingenieurkorps und Artillerie. Die Bodentruppen seien immer noch vor Ort. Unter den israelischen Soldaten gebe es keine Opfer. Hagari sagte, es seien mehrere ranghohe Kommandeure der islamistischen Hamas getötet worden, die auch von EU und USA als Terrororganisation eingestuft wird. Darunter sind nach Militärangaben auch ein Hamas-Marinekommandeur sowie der für Luftangriffe zuständige Hamas-Anführer Asem Abu Rakaba. Seit dem blutigen Terrorangriff der Hamas vor drei Wochen mit mehr als 1400 Toten greift Israel den Gazastreifen verstärkt aus der Luft und zu Land an.

Militante Palästinenser schossen auch am Samstag wieder Raketen aus dem Gazastreifen auf israelische Städte. In israelischen Ortschaften im Grenzgebiet heulten mehrmals Warnsirenen, wie die Armee mitteilte. Auch im Großraum Tel Aviv gab es erneut Raketenalarm, ebenso in der Küstenstadt Aschkelon. In der Wüstenstadt Beerscheva traf nach Polizeiangaben eine Rakete ein Gebäude. Es gab zunächst keine Berichte zu Verletzten.

Neue Gefechte an Israels Grenze zum Libanon

An Israels Grenze zum Libanon kam es auch am Samstag wieder zu Gefechten. Mehrere Panzerabwehrraketen und Mörsergranaten seien vom Libanon aus auf Israel abgefeuert worden, teilte die israelische Armee mit. Die israelische Armee habe zurückgeschossen und militärische Einrichtungen der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah angegriffen. An der Grenze zwischen Israel und dem Libanon kommt es seit Beginn des Gaza-Kriegs zunehmend zu Zwischenfällen. Auf beiden Seiten gab es bereits Todesopfer. Die Hisbollah ist wie die Hamas mit Israels Erzfeind Iran verbündet.

Die Kommunikation innerhalb des Gazastreifens über das Internet und Telefone brach fast völlig zusammen. Auch die Verbindungen nach außen waren am Samstag nur mit Satellitenhandys und von hohen Gebäuden im Süden des Gazastreifens mit israelischen SIM-Karten möglich. Schuld sei die heftige Bombardierung durch die israelische Armee, teilte das im Westjordanland ansässige palästinensische Unternehmen Paltel mit. Auch die Organisation Netblocks, die für die Beobachtung von Internetsperren bekannt ist, bestätigte auf der Plattform X einen Zusammenbruch der Internetverbindungen im Gazastreifen.

Die israelische Armee kündigte an, sie werde eine Verstärkung der humanitären Hilfslieferungen für die palästinensische Bevölkerung zulassen. «Für die Einwohner des Gazastreifens, die in das Gebiet südlich von Wadi Gaza gegangen sind, weiten wir die humanitäre Hilfe aus», sagte Armeesprecher Hagari. Man werde im Verlauf des Tages die Einfuhr von Lastwagen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten in den Süden des Küstenstreifens ermöglichen. «Wer sich in diesem Gebiet aufhält, wird diese erhalten», sagte Hagari. Ob die Lieferungen tatsächlich möglich wurden, war zunächst unklar. Seit dem Hamas-Überfall auf Israel sind nur noch rund vier Prozent der Versorgungsgüter in normalen Zeiten in den Gazastreifen gelangt.

Opferzahlen im Gazastreifen steigen weiter

Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen stieg seit Kriegsbeginn vor drei Wochen nach Darstellung des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 7703. Rund 20 000 Menschen wurden demnach verletzt. Die Zahlen konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden. Die Zerstörungen an Infrastruktur und Gebäuden waren immens und größer als bei früheren Konflikten zwischen Hamas und Israel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) äußerte sich sehr besorgt über Bombardierungen auch in der Nähe großer Krankenhäuser. Israel wirft der Hamas vor, Kommandozentralen seines als «Metro» bezeichneten Tunnelsystems unter Krankenhäusern angelegt zu haben.

Angesichts der immer heftigeren israelischen Angriffe auf die Hamas stieg auch die Sorge um das Leben der 229 von der Hamas in den Gazastreifen verschleppten Israelis, von denen einige auch eine zweite Staatsbürgerschaft haben, darunter auch die Deutsche. Am Samstag demonstrierten rund 600 Menschen in Tel Aviv mit einem Solidaritätslauf für die Geiseln. In New York organisierten jüdische Gruppen eine Kundgebung im Grand Central Terminal für eine Feuerpause. Udi Gori, ein Angehöriger eines Verschleppten, forderte in der BBC eine humanitäre Feuerpause, um die Geiseln frei zu bekommen. Wenn Israel die Hamastunnel bombardiere, könne es sein, dass sie auch Geiseln töten, sagte Gori.

Meirav Leshem Gonen, Mutter einer Geisel, sagte dem israelischen Armeesender am Samstag: «Ich verstehe nichts von Strategie, ich verstehe etwas von Mutterschaft - und ich habe das Gefühl, dass dies ein Krieg ist, den wir schon verloren haben. Wie kann man sicherstellen, dass meine Tochter und die anderen Geiseln wirklich lebend nach Hause kommen?» Große propalästinensische Demonstrationen gab es am Samstag in London und der Türkei.

Deutsch-Israelische Gesellschaft kritisiert deutsche UN-Enthaltung

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft hat die Enthaltung Deutschlands bei einer Abstimmung über eine UN-Resolution zur humanitären Lage in Gaza scharf kritisiert. «Wie kann Deutschland sich bei einer UN-Resolution enthalten, die als alleiniges Ziel hat, Israels Recht auf Selbstverteidigung zu delegitimieren? Deutschland hätte klar mit Nein stimmen sollen», sagte der Präsident der Gesellschaft, Volker Beck, laut Mitteilung vom Samstag. Die UN-Vollversammlung in New York hatte am Freitagabend eine Resolution zur Verbesserung der humanitären Situation und für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen verabschiedet. 120 Länder stimmten dafür, 14 dagegen, 45 enthielten sich, darunter Deutschland. Vor allem Länder des sogenannten globalen Südens werfen dem Westen auch im Hinblick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Doppelmoral vor.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Robert Habeck sollte endlich die Kehrtwende vollziehen - im Heizungskeller Deutschlands
03.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Finanzen
Finanzen Wirtschaftsstandort in der Kritik: Deutsche Ökonomen fordern Reformen
03.05.2024

Deutschlands Wirtschaftskraft schwächelt: Volkswirte geben alarmierend schlechte Noten. Erfahren Sie, welche Reformen jetzt dringend...

DWN
Politik
Politik Rheinmetall-Chef: Deutschland muss Militärausgaben um 30 Milliarden Euro erhöhen
03.05.2024

Armin Papperger, der CEO von Rheinmetall, drängt darauf, dass Deutschland seine Militärausgaben um mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Indische Arbeitskräfte im Fokus: Deutschland öffnet die Türen für Fachkräfte
03.05.2024

Die Bundesregierung strebt an, einen bedeutenden Anteil der indischen Bevölkerung nach Deutschland zu holen, um hier zu arbeiten. Viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie lege ich mein Geld an – wichtige Tipps für Anfänger
03.05.2024

Die Tipps zur Geldanlage können wirklich spannend sein, besonders wenn es darum geht, die eigenen finanziellen Ziele zu erreichen und eine...

DWN
Politik
Politik Die Bundesregierung macht Russland für den Cyberangriff auf SPD verantwortlich
03.05.2024

Im Januar des Vorjahres wurden die E-Mail-Konten der SPD von Hackern attackiert. Die Bundesregierung gibt nun "eindeutig" Russland die...

DWN
Finanzen
Finanzen Der komplette Guide zur Bankvollmacht: Sicherheit und Flexibilität im Finanzmanagement
03.05.2024

Eine Bankvollmacht kann entscheidend dafür sein, Sicherheit und Flexibilität in Ihren finanziellen Angelegenheiten zu gewährleisten....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Fleischersatz auf dem Vormarsch: Deutschland erlebt Produktionsboom
03.05.2024

Vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte gewinnen in Deutschland an Beliebtheit: Produktion verdoppelt sich seit 2019. Fleischkonsum...