Politik

Warum Hisbollah den Krieg mit Israel (noch) scheut

Mit größter Spannung war sie erwartet worden: die Rede des Führers der Hisbollah, Hassan Nasrallah. Von dieser Rede erwarteten Beobachter Aufschluss darüber, ob die mächtige Hisbollah, die im Libanon ein Staat im Staate ist, der Hamas im Gaza-Streifen zur Hilfe eilen und Israel den Krieg erklären wird. Doch vor einer Eskalation schreckt Nasrallah zurück. Mit gutem Grund.
Autor
04.11.2023 13:26
Aktualisiert: 04.11.2023 13:26
Lesezeit: 3 min
Warum Hisbollah den Krieg mit Israel (noch) scheut
Ein Anhänger der Hisbollah trägt das Bild des Generalsekretärs der Miliz, Nasrallah. Noch sieht die Hisbollah von einer Eskalation ab. (Foto: dpa) Foto: Marwan Naamani

Zwar begrüßte der Hisbollah-Chef ausdrücklich den Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober, bei dem rund 1400 Menschen massakriert worden sind – dieser sei „weise, mutig und zur richtigen Zeit“ erfolgt und habe eine „neue historische Phase des Konflikts“ eingeläutet. Israel habe sich dabei als „schwach wie ein Spinnennetz“ erwiesen. Pflichtschuldig brandmarkte er auch den „großen Teufel USA“.

Doch gleichzeitig vermied es Nasrallah darüber hinaus, weiter Öl ins Feuer zu gießen. Er betonte, dass der Angriff der Hamas am 7. Oktober in eigener Verantwortung geschehene sei und die Hisbollah keine Kenntnis von den Plänen gehabt habe. Diese Behauptung lässt indes aufhorchen – und das in mehrerlei Hinsicht. Zum einen gibt es bei westlichen Nachrichtendiensten eine ganze Reihe von Hinweisen, dass die Hisbollah – wie auch der iranische Nachrichtendienst – sehr wohl von den Plänen der Hamas wusste.

Das Kalkül der Hisbollah

Zu anderen aber wird dieser Satz Nasrallahs als Hinweis verstanden, dass zumindest jetzt die Hisbollah kein Interesse habe, in eine große, offene militärische Auseinandersetzung mit Israel und dann womöglich auch mit den USA zu treten. Zwar liefern sich Kämpfer der Hisbollah an der libanesisch-israelischen Grenze einzelne Scharmützel, doch von einer direkten, großen Konfrontation sieht die Hisbollah zumindest erst einmal ab.

In den Tagen vor der Rede haben Diplomaten von sowohl westlichen wie auch arabischen Staaten sich mit Vertretern des mit der Hisbollah verbündeten Iran als auch mit der Hisbollah direkt getroffen. So sollen sich noch vor wenigen Tagen französische Diplomaten mit Angehörigen der Hisbollah-Führung in Beirut verabredet haben, um die Hisbollah davor zu warnen, in den Konflikt mit aller Macht einzutreten. Gleichzeitig haben amerikanische Vertreter deutlich gemacht, dass die Entsendung von Flugzeugträgern keine leere Drohung sei.

Diplomatische Kanäle

Auf der anderen Seite ist es offenbar den Amerikanern gelungen, Israel von einem großen Präventivschlag gegen die Hisbollah abzubringen. Einen solchen hatte ursprünglich der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant gefordert. Und: Darüber hinaus haben die USA erreicht, dass Israel selbst die Botschaft an die Hisbollah aussendet, dass es keinen Krieg mit der Hisbollah anstrebt. Diese Botschaft sei, so jüngste Berichte, in den vergangenen Tagen über die diplomatischen Kanäle westlicher und arabischer Staaten an die Schiitenmiliz übermittelt worden.

Es gibt, so vermuten Analytiker vor allem in den USA, noch einen anderen Grund für die zumindest vorläufige Zurückhaltung der Hisbollah: Die Schiitenmiliz, die nach Ansicht des amerikanischen Think Tanks Center for Strategic and International Studies (CSIS) der vermutlich am stärksten bewaffnete nichtstaatliche Akteur der Welt ist, gilt als die entscheidende Trumpfkarte des Iran. Und der Iran hat zurzeit kein Interesse, seine stärkste Karte voreilig auszuspielen.

Trumpfkarte Irans

Tatsächlich käme für den Iran eine direkte militärische Konfrontation mit Israel und in Folge womöglich mit den USA zur Unzeit, nämlich zu früh. Iran braucht – zumindest noch – die Hisbollah als Drohung für einen Gegenschlag, sollte Israel oder die USA versuchen, mit militärischen Mitteln das iranische Programm zum Bau einer Atombombe zu stoppen. Die Hisbollah, die nach Schätzungen des auf Sicherheitsfragen spezialisierten Fachmagazins „Jane´s Intelligence Review“, über rund 25.000 aktive Kämpfer und etwa 30.000 Reservisten verfügt, wäre ein für Israel eine ungleich größere Bedrohung als die Hamas.

Es ist dabei nicht weniger die Zahl der Hisbollah-Kämpfer, die Israel Sorgen bereitet, sondern ihre Bewaffnung. Nach Einschätzung von Sicherheitskreisen verfügt die Miliz über rund 140.000 andere schätzen sogar 200.000 Raketen. Ein erheblicher Teil dieser Raketen könnte jeden Winkel Israels erreichen. Selbst das hochentwickelte Raketenabwehrsystem der Israelis wäre dann mit der Abwehr so vieler Raketen überfordert.

Doch alle Beteiligten sind sich darüber im Klaren, dass es für eine einstweilige Entwarnung noch viel zu früh ist. Denn in den nächsten Tagen dürfte der Druck auf die Hisbollah steigen, doch noch im großen Umfang militärisch einzugreifen. Dann nämlich, wenn sich eine totale Niederlage der Hamas im Gazastreifen abzeichnet.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Polens künftiger Präsident Nawrocki droht mit Blockade gegen Regierungschef Tusk: Was bedeutet das für Polen?
06.06.2025

Karol Nawrocki stellt sich offen gegen Donald Tusk – und kündigt Widerstand an. Welche Folgen hat das für Polens politische...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: Russland startet schwersten Angriff seit Monaten
06.06.2025

Im Ukraine-Krieg eskaliert die Lage erneut: Russland greift massiv an, Kiew wird erschüttert. Droht nun ein Gegenschlag – oder ist das...

DWN
Politik
Politik Merz bei Trump: Was der USA-Besuch des Bundeskanzlers wirklich brachte
06.06.2025

Der Kanzler trifft den US-Präsidenten in Washington. Freundliche Worte gab es viele – doch was bleibt nach dem Besuch von Merz bei Trump...

DWN
Finanzen
Finanzen Studie: Hohe Kosten für Einführung des digitalen Euro
06.06.2025

Die Einführung des digitalen Euro wird nach einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC erhebliche Kosten für europäische Banken...

DWN
Politik
Politik Putins Gaskasse bleibt gefüllt – weil Frankreich und Belgien blockieren
06.06.2025

Während Brüssel russisches Flüssiggas verbieten will, stellen sich ausgerechnet Frankreich und Belgien quer – und sichern damit weiter...

DWN
Finanzen
Finanzen Fondsmanager warnt: „Gold ist noch immer unterbewertet“
05.06.2025

Der Goldpreis explodiert – doch laut Fondsmanager Erik Strand ist das Edelmetall noch immer unterbewertet. Die wahre Blase?...

DWN
Panorama
Panorama Stromanbieterwechsel 2025: Neue Fristen ab 6. Juni – wichtige Tipps
05.06.2025

Ein Stromanbieterwechsel soll ab dem 6. Juni deutlich schneller gehen – das klingt gut, hat aber Tücken. Welche Chancen und Risiken...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut wächst: Jede sechste Rentnerin in Deutschland lebt in Altersarmut
05.06.2025

Die neuen Zahlen zur Altersarmut in Deutschland sind alarmierend: 2,1 Millionen Rentnerinnen und 1,3 Millionen Rentner leben unterhalb der...