Nach zehn Jahren Koalition mit den Grünen will die CDU in Hessen künftig mit der SPD regieren. "Wir wollen als CDU den Versuch unternehmen, in Hessen eine Regierung mit den Sozialdemokraten zu bilden", sagte Hessens Ministerpräsident und CDU-Chef Boris Rhein am Freitag. Diese Entscheidung für das erste christlich-soziale Regierungsbündnis in Hessen seit 70 Jahren sei in den CDU-Gremien einstimmig gefallen. Die Koalitionsverhandlungen würden am Dienstag aufgenommen. "Die Schnittmengen sind derzeit mit der Sozialdemokratie einfach größer", sagte Rhein. In einer Zeit "multipler Krisen" wolle er eine Koalition aus der Mitte heraus bilden. Demnach spielte in den Sondierungsgesprächen mit SPD und Grünen die Migrationspolitik eine große Rolle. CDU-Parteichef Friedrich Merz, der die Grünen zum Hauptgegner erklärt hatte, habe auf die Entscheidung keinen Einfluss genommen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die auch hessische SPD-Landesvorsitzende ist, erklärte, dass sie auf jeden Fall im Bundeskabinett in Berlin bleiben und nicht nach Wiesbaden wechseln werde.
Für die Grünen in Hessen ist die Entscheidung der CDU ein herber Rückschlag. CDU und Grüne hatten in Hessen über die vergangenen fast zehn Jahre vergleichsweise geräuschlos miteinander regiert. Konflikte wurden zumeist hinter verschlossenen Türen und nicht auf offener Bühne ausgetragen. Bei den Grünen von Vizeministerpräsident Tarek Al-Wazir war daher darauf gesetzt worden, dass die CDU die Zusammenarbeit fortsetzen wolle. Bei der Landtagswahl am 8. Oktober war die CDU mit großem Vorsprung stärkste Kraft geworden. Eine rechnerische Mehrheit im Landtag in Wiesbaden hätte sowohl eine Fortsetzung von Schwarz-Grün als auch ein schwarz-rotes Bündnis.
RHEIN - VERNUNFT IM UMGANG MIT MIGRATION
Die CDU will laut Rhein mit der SPD ein christlich-soziales Programm schreiben, "das Vernunft und Fortschritt miteinander verbindet, ein Programm für Vernunft im Umgang mit der Migration, besonnen, nie mit Schaum vorm Mund, aber doch mit sehr klaren Entscheidungen und mit auch sehr klaren Weichenstellungen". Die Leitlinien seien sehr klar: "Wir arbeiten für einen starken Staat, wir arbeiten für eine stabile Wirtschaft und wir arbeiten für eine sanfte Erneuerung."
CDU-Fraktionschefin Ines Claus nannte als ersten Punkt die Migration. "In der neuen Regierung bekennen wir uns klar zu einer Begrenzung der Zuwanderung, zum Schutz der Binnengrenzen, zu einer echten Abschiebeoffensive, zu Integrationspflichten und wollen und werden keine weiteren Anreize für irreguläre Zuwanderung setzen", sagte Claus. Die neue Koalition werde sich zu einer aktiven Wirtschafts- und Industriepolitik bekennen, den Kommunen zur Seite stehen und ein Sicherheitspaket schnüren, das auch Videoüberwachung betreffe.
Als Signal für die Bundespolitik will Rhein die Entscheidung nicht verstanden wissen. "Aus meiner Sicht ist das auch kein Signal für Deutschland oder was auch immer", sagte Rhein. Es sei eine hessische Entscheidung. "Was der Bund macht und welche Entscheidungen im Bund getroffen werden, das muss Friedrich Merz mit dem Bundeskanzler und dem Parteivorsitzenden der Sozialdemokratie entscheiden", sagte Rhein. "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun." Auf die Entscheidung in Hessen habe CDU-Chef Merz keinen Einfluss genommen.
Rhein dankte den Grünen für die Zusammenarbeit in den vergangenen fast zehn Jahren. "Da ist extrem viel an Vertrauen und Partnerschaft gewachsen", sagte Rhein. Er sprach von einer "emotional wirklich schwierigen Entscheidung".
Die Sondierungsgespräche hatte für die Sozialdemokraten hatte Bundesinnenministerin und SPD-Landeschefin Faeser geführt, die Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Landtagswahl war. Sie sagte in Berlin, dass sie den SPD-Gremien am Abend die Aufnahme von Koalitionsgesprächen empfehlen werde. Es hätten sich in der Sondierung etliche Übereinstimmungen mit der CDU gezeigt. Für die SPD seien die Themen Bildung, Bauen, Erhalt des Industriestandorts Hessen und wohnortnahe Gesundheitsversorgung wichtig gewesen. Auch Faeser wies den Eindruck zurück, dass die Bildung der schwarz-roten Regierung ein Signal für den Bund gewesen sei. "Natürlich macht es das an manchen Stellen einfacher", sagte sie zu ihrer Arbeit als Bundesinnenministerin und mit Blick auf den Bundesrat.
Bei der Landtagswahl am 8. Oktober hatte die CDU deutlich zugelegt und war mit 34,6 Prozent der Stimmen mit großem Abstand stärkste Partei geworden. SPD und Grüne wurden mit 15,1 und 14,8 Prozent nur Dritter und Vierter. Größte Oppositionskraft im neuen Landtag in Wiesbaden ist die AfD mit 18,4 Prozent. Die FDP schaffte mit 5,0 Prozent nur knapp den Einzug in den Landtag. (Reuters)