Gold konnte sich zuletzt trotz der weiter steigenden US-Zinsen gut behaupten. Zuletzt erreichte das gelbe Edelmetall das obere Ende der Bandbreite zwischen 1.900 und 2.000 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm), bevor es wieder Richtung 1950 Dollar abverkauft wurde. Es bleibt dennoch bemerkenswert, dass der Goldpreis angesichts des 22-Jahreshochs bei den Zinsen relativ stabil bleibt.
In den letzten Monate sind die Zinsen insbesondere am langen Ende stark gestiegen, und zwar deutlich mehr, als die meisten Experten noch Anfang des Jahres erwartet hatten. Das hatte viele Anleihe-Investoren auf dem falschen Fuß erwischt. Die Inflation ist stark gesunken, erweist sich auf moderatem Niveau (in den USA bei 3,7 Prozent) aber als hartnäckiger als gedacht und die Notenbanken kämpfen mit weiteren Zinserhöhungen dagegen an.
Steigende (Real-)Zinsen sind eigentlich schlecht für Gold
Für Gold müsste sich die weltweite Straffung der Geldpolitik eigentlich negativ auswirken. Grund hierfür ist die Wechselwirkung des Goldpreises mit realen Zinsen – gemessen anhand einer Benchmark-Rendite (häufig 10-jährige US-Staatsanleihen) abzüglich der Inflationsrate. Durch die hohen Zinsen und sinkende Inflation gibt es mittlerweile wieder eine positive Realverzinsung für Anleger, die Gelder in Anleihen, Geldmarktfonds oder längerfristigen Sparkonten halten. Das war mehr als ein Jahrzehnt lang nicht der Fall, als die Realzinsen – allen voran in Nordamerika und Europa – im negativen Bereich steckten. Steigende Realzinsen sind eher schlecht für Gold, sinkenden Realzinsen beflügeln hingegen die Performance.
Die Langzeit-Korrelation von Gold und negativen Realzinsen beträgt 0,9 (beziehungsweise minus 0,9 mit positiven Realzinsen). Das deutet auf einen sehr engen kausalen Zusammenhang hin, welcher auch logisch begründbar ist. Gold läuft besonders dann gut, wenn die Realzinsen massiv im negativen Bereich sind. Das liegt daran, dass Gold keine inhärent Rendite-versprechende Anlage wie Produktivkapital (Aktien), Anleihen und Immobilien ist. All diesen drei Vermögenswerten ist gemein, dass sie laufendes Einkommen generieren können – Gold liegt als Wertspeicher einfach nur herum. In Zeiten positiver realer Zinsen parken viele Anleger ihr Geld lieber in Anleihen statt in unverzinstem Gold. Entscheidend sind die US-Zinsen. Hier ist der mit weitem Abstand größte und liquideste Anleihemarkt der Welt, außerdem wird der weltweite Goldhandel überwiegend in Dollar abgewickelt.
Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) hat bei ihrer letzten Sitzung die Leitzinsen entsprechend den Markterwartungen unverändert bei 5,25-5,50 Prozent belassen. Fed-Chef Powell schloss dabei weitere Zinserhöhungen nicht aus und signalisierte, dass die Fed noch nicht über eine Kehrtwende nachdenkt. Das Potenzial des Goldpreises wird damit gedämpft. Hinzu kommt der Risikoappetit der Anleger. Aktien sind nach der enormen Rally der ersten Jahreshälfte etwas abgekühlt, stehen aber weiter hoch im Kurs. Bitcoin erlebt bei nunmehr 36.000 Dollar wieder einen kleinen Höhenflug.
Gold gilt als sicherer Wertspeicher
Was sind die Gründe für die aktuelle Stabilität des Goldpreises trotz der Stärke des US-Dollars und der steigenden realen Anleiherenditen? Ein Aspekt ist sicherlich das Bedürfnis der Investoren nach einem sicheren Wertspeicher. Anlageberater empfehlen häufig eine standardmäßige Beimischung von 10 Prozent Gold, um das Portfolio robuster zu machen und gegen potentielle große Krisen wie Finanzcrashs, Weltkriege und Währungsreformen abzusichern. Gold wird häufig als „ultimatives Geld“, als Währung ohne Fehl und Tadel bezeichnet. Das gelbe Edelmetall ist seit Jahrtausenden wertstabil und schützt zwar nicht in jeder Wirtschaftslage, aber zumindest auf lange Sicht zuverlässig vor Inflation.
Deshalb wird Gold von Anlegern seit jeher als sicherer Hafen in (finanziellen) Krisenzeiten nachgefragt und im Moment sind die Märkte aufgrund der Ereignisse in Israel und der US-Schuldenproblematik wieder recht nervös. Es waren vermutlich diese „Safe-Haven“-Käufe, die Gold für kürze Zeit wieder über 2.000 Dollar hievten.
Ein Teil dieser Kriegsprämie ist schon wieder verloren gegangen – eine weitere Eskalation, zu der es hoffentlich nicht kommt, würde dem Goldpreis weiteren Auftrieb geben. „Es gibt sicherlich Szenarien, in denen der Preis in Rekordhöhen steigen könnte", sagte Tom Palmer, CEO des Bergbaukonzerns Newmont Gold, im Gespräch mit der Financial Times. „Leider sind diese Szenarien für unsere Gesellschaft nicht so gut.“
Außerdem entfachen Spekulationen über eine mögliche goldgedeckte BRICS-Währung die Phantasie nach oben, was bisher jedoch kaum ein Faktor in der Preisentwicklung war. Glaubt man Finanzexperten, so könnte eine neue BRICS-Goldwährung den Preis des gelben Edelmetalls schlagartig nach oben katapultieren.
Lesen Sie dazu aus unserem aktuellen Magazin: Wie realistisch ist eine neue BRICS-Währung?
Der globale Süden kauft zuletzt vermehrt Gold. Eine wachsende Schmucknachfrage aus China zeigt das genauso wie die Mittelzuflüsse in asiatische Gold-ETFs. Westliche Anleger hingegen trennen sich in erheblichem Maße von ihren Anteilen an börsengehandelten Goldfonds. Global betrachtet wurde nun vier Monate in Folge Kapital aus Gold-ETFs abgezogen. In Mengen gerechnet flossen seit Jahresanfang über 200 Tonnen Gold aus physisch besicherten ETFs ab.
Unterdessen hat Newmont Gold den größten Übernahme-Deal in der Geschichte der Branche abgeschlossen. Für 19 Milliarden Dollar wurde die australische Gesellschaft Newcrest Mining gekauft. Newmont festigt damit seinen Status als Marktführer in der Goldschürfung. „Die Hälfte der weltweit führenden Goldminen wird in unserem Portfolio sein“, erklärt Palmer. Durch den Deal stärkt der Konzern auch seine Position im attraktiven Kupfermarkt. Das Timing der Akquisition deutet indes darauf hin, dass Newmont den derzeitigen Goldpreis als relativ niedrig einstuft. Die Minenfirmen und damit auch viele Goldaktien sind im Prinzip eine gehebelte Wette auf den Goldpreis – in beide Richtungen.
Zentralbanken setzen Kaufrausch fort
Abgesehen von der geopolitischen Risikoprämie muss es noch weitere Faktoren geben, die den Goldpreis im aktuellen Zinsumfeld stabilisieren. Die Nachfrage der Anleger ist es momentan nicht. „Die große Frage ist im Moment, wer den Preis hochhält ... Ich denke, es sind die Zentralbanken“, meint Adrian Ash, Leiter des Research bei BullionVault, einer der weltweit größten Plattformen für Handel und Lagerung von Edelmetallen.
2022 erwarben Zentralbanken mit netto 1.136 Tonnen weltweit so viel Gold wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen vor mehr als 70 Jahren. Dieser Trend setzte sich in diesem Jahr fort. Die Zentralbanken haben in diesem Jahr, angeführt von den Schwellenländern, ihre Goldreserven um 800 Tonnen erhöht, 14 % mehr als im Vorjahreszeitraum, wie World Gold Council errechnet. Spitzenreiter ist China mit 181 Tonnen, dahinter folgt Polen mit 105 Tonnen. Alleine im dritten Quartal stockten die Notenbanken um 337 Tonnen auf. Wenn es im vierten Quartal so weiter geht, dann werden die Käufe der Notenbanken auch dieses Jahr ein neues Rekordniveau erreichen. Das hat eine gewisse Symbolwirkung. Die Zentralbanker betrachten Gold bei um die 1.900 Dollar scheinbar als preiswert.
Der Zinsgipfel scheint in den USA vorerst erreicht und die Zinsen werden wohl noch länger auf diesem Niveau bleiben. Anleihen sind wieder ein attraktives Investment. Gold neigt zu langen Bullen- und Bärenzyklen, aktuell befinden wir uns in einer Seitwärtsphase. Die wichtige Marke von 2.000 Dollar wurde bislang nicht nachhaltig geknackt, auch wenn es zu Beginn des Ukraine-Kriegs im Frühjahr 2022 kurze Zeit danach aussah. Für Goldanleger könnte die große Zeit erst dann kommen, wenn wieder eine neue Niedrigzinsphase eingeleitet wird. Dann wäre ein Ausbruch in neue Bandbreiten drin. Genauso dürfte man sich aber auch nicht wundern, wenn wir vorher Preisrückgänge Richtung 1.700 bis 1.800 Dollar sehen.
Unabhängig davon muss man sich als Anleger bewusst sein, dass der Goldpreis stark durch das Papiergold beeinflusst wird. Global werden rund 80- bis 100-mal mehr Wert an Goldderivaten (Futures) am Terminmarkt gehandelt als tatsächliches physisches Gold. Das macht den Goldmarkt anfällig für Manipulationen. Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds-Gruppe, kommentiert das in seinem täglichen Marktreport folgendermaßen: „Im Hinblick auf die hohen Gold-Zentralbankkäufe im laufenden Jahr, aber vor allem im dritten Quartal 2023 (337 Tonnen), stellt sich die Frage, welche Rolle „dritte Hände“ im US-Future-Markt spielen.“