Die eigentliche Bedrohung für die Weltwirtschaft besteht darin, dass der Iran ein vollständiges Ölembargo der islamischen OPEC-Mitgliedstaaten gegen all jene Länder anstrebt, die Israel im Gaza-Krieg unterstützen. Denn dies hat Saudi-Arabien im Jahr 1973 ebenfalls getan, als Israel und die islamische Welt Krieg gegeneinander führten.
Am 6. Oktober 1973 rückten die ägyptischen Streitkräfte auf die Sinai-Halbinsel und die syrischen Streitkräfte auf die Golanhöhen vor. Beide Gebiete waren von Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert worden. Sie griffen am heiligsten Tag des jüdischen Glaubens, Jom Kippur, an mehreren Punkten an, um Israel auf diese Weise zu überrumpeln.
Die verheerenden Folgen des Ölembargos von 1973
Eine Zeit lang sah es nach einer Niederlage für Israel aus, denn Ägypten und Syrien erhielten militärische Unterstützung von Saudi-Arabien, Marokko und Kuba und eine breitere Unterstützung von Algerien, Jordanien, Irak, Libyen, Kuwait, Tunesien und Nordkorea. Der Krieg endete am 25. Oktober 1973 mit einem von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstand.
In der Folge des relativ kurzen Krieges, den erneut Israel gewonnen hatte, starteten die OPEC-Mitglieder sowie Ägypten, Syrien und Tunesien ein Öl-Embargo gegen die USA, das Vereinigte Königreich, Japan, Kanada und die Niederlande, weil diese Staaten Israel mit Waffen, nachrichtendienstlichen Mitteln und Logistik unterstützt hatten.
Das Embargo trieb die Ölpreise in extreme Höhen, was durch die zunehmende Drosselung der Ölproduktion durch die OPEC-Mitglieder in diesem Zeitraum noch verschärft wurde. Bis zum Ende des Embargos im März 1974 hatte sich der Ölpreis annähernd vervierfacht. Unter diesem Einfluss stiegen auch die Gaspreise drastisch.
Zwar konnten die OPEC-Staaten mit dem Ölembargo gegen Israel und all jene Staaten, die das Land im Krieg unterstützt hatten, nicht erreichen, dass Israel die eroberten Gebiete wieder zurückgab. Doch die extrem hohen Energiekosten schadeten vor allem den westlichen Staaten und ließen die weltweite Konjunktur einbrechen.
Machtverschiebung auf dem Ölmarkt
Zudem verschob sich die Macht auf dem Ölmarkt von den großen Verbrauchern im Westen zu den großen Produzenten, schreibt Simon Watkins, ein ehemaliger leitender Devisenhändler bei Credit Lyonnais und der Bank of Montreal, geopolitischer Analyst und Finanzjournalist. In diesem Sinne hätten die OPEC und die anderen arabischen Staaten den Krieg damals gewonnen.
Das Ende des Ölembargos im Jahr 1974 brachte Watkins zufolge auch eine Wende in der Außenpolitik der USA. In seinem neuen Buch über den globale Ölmarkt schreibt er, dass die USA unter Außenminister Henry Kissinger nun im Nahen Osten das einzige Ziel verfolgten, dass die dortigen Ölproduzenten sie und ihre Verbündeten nie wieder erpressen können.
Dabei bemühten sich die USA, den Anschein zu erweckten, auf der Seite der verschiedenen Elemente der arabischen Welt zu stehen, so Watkins. In Wirklichkeit aber hätten die Amerikaner versucht, deren bestehende Schwächen auszunutzen, um sie gegeneinander auszuspielen. Diese Strategie war jahrzehntelang erfolgreich.
Erst in jüngster Zeit ist es Russland und dann China gelungen, mehrere wichtige Ölländer des Nahen Ostens aus dem Einflussbereich der USA zu lösen. Dazu gehören auch Iran und Saudi-Arabien, die beiden wichtigsten Länder der Region, die sich im März unter chinesischer Vermittlung auf die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen einigten.
Das drohende Öl-Embargo 2023 gegen den Westen
Genau 50 Jahre nach dem Beginn des Jom-Kippur-Kriegs begann am 7. Oktober der aktuelle Nahost-Krieg mit den Hamas-Angriffen auf Israel. Und besteht die Gefahr, dass es zu einer Ausweitung des Konflikts kommen könnte. Das wäre der perfekte Zeitpunkt für den Iran, um auf ein erneutes Ölembargo gegen die Unterstützer Israels zu drängen.
Wie könnte ein Ölembargo aussehen? Nach der jüngsten Einschätzung der Weltbank würde ein Rückgang des weltweiten Rohölangebots um 6 bis 8 Millionen Barrel pro Tag – ein Szenario, das mit der Ölkrise von 1973 vergleichbar wäre – zu einem Preisanstieg um bis zu 75 Prozent auf 140 bis 157 Dollar pro Barrel führen.
Allerdings würde eine Ausweitung des Embargos, wie sie vom Iran gefordert wird, wahrscheinlich zu einem viel größeren Verlust der weltweiten Ölversorgung führen, als die Weltbank berechnet hat. Watkins kommt in seiner Zusammenstellung der durchschnittlichen Ölproduktion in den islamischen OPEC-Staaten auf insgesamt 24 Millionen Barrel pro Tag:
- Algerien – 1 Million Barrel pro Tag
- Iran – 3,4 Millionen Barrel pro Tag
- Irak – 4,1 Millionen Barrel pro Tag
- Kuwait – 2,5 Millionen Barrel pro Tag
- Libyen – 1,2 Millionen Barrel pro Tag
- Saudi-Arabien – 9 Millionen Barrel pro Tag
- VAE – 2,9 Millionen Barrel pro Tag
Damit entspricht die Gesamtproduktion der islamischen OPEC-Mitglieder etwa 30 Prozent der derzeitigen durchschnittlichen globalen Gesamtproduktion von etwa 80 Millionen Barrel pro Tag. Noch aus einem anderen Grund wäre ein heutiges Ölembargo um ein vielfaches schlimmer als die Ölpreiskrise von 1973.
Im Jahr 1973 reagierte die Sowjetunion auf die Ölpreiskrise, indem sie ihre Exporte in den Westen erhöhte. Für die Sowjetunion brachten die verstärkten Ölexporte zu extrem hohen Preisen massive Einnahmen, die ihre wirtschaftliche Lage insgesamt deutlich verbesserten. Zudem stärkte die Sowjetunion auf diese Weise ihren politischen Einfluss.
Für den Westen bedeuteten die Ölimporte aus Russland damals eine willkommene Linderung des ökonomischen Leids, die unter den heutigen Umständen nicht zu erwarten ist. Denn der Westen hat im Rahmen des Ukraine-Kriegs Öl-Sanktionen gegen Russland verhängt und sich auf diese Weise selbst von russischem Öl abgeschnitten.