Auf der makroökonomischen Ebene beschäftigten die Märkte in der vergangenen Woche gleich zwei wichtige Ereignisse: Als erstes stand am Dienstag der US-Verbraucherpreisindex an, tags darauf dann die in diesem Jahr letzte Zinsentscheidung der Fed, samt der darauffolgenden Pressekonferenz ihres Vorsitzenden Jerome Powell. Nachdem der mit großer Spannung erwartete US-Arbeitsmarktbericht der Vorwoche per leicht gesunkener Arbeitslosenquote sowie erwartbar und erklärbar mäßig erhöhten Neueinstellungen Hinweise darauf gab, dass der Arbeitsmarkt insgesamt noch gesund ist und weiterhin die Möglichkeit einer sanften Landung besteht, zeigte sich der Anstieg der Inflation hinsichtlich der für den Zinspfad entscheidenden Kernrate sowohl im Monats- wie Jahresvergleich mit plus 0,3 % bzw. 4,0 % unverändert, was die Märkte bezüglich des möglicherweise bereits erreichten Zinstopps zuversichtlich stimmte.
Powell überrascht
Vor der letzten Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank am Mittwoch, von der im Grunde jeder wusste, dass sie die Geldpolitik unverändert lassen würde, konnte man durchaus davon ausgehen, dass sich die Fed angesichts des starken Rückgangs der Anleiherenditen unwohl fühlen würde. Dadurch hatten sich die finanziellen Bedingungen bereits gelockert, was der Federal Reserve gewissermaßen vorausgegriffen hat. Man konnte deshalb antizipieren, dass sich Powell weit weniger dovish äußern würde, als in seinen Kommentaren zum Monatsbeginn - und damit die Aussicht auf eine baldige Zinssenkung wieder dämpfen würde. Stattdessen kam das gesamte Paket des FOMC, bestehend aus seinem standardmäßigem Kommuniqué, den vierteljährlichen "Dot Plots", die die Einschätzung über die zukünftige Zinsentwicklung sämtlicher Ausschussmitglieder wiedergeben, sowie Powells 45-minütige Pressekonferenz, dem Versprechen einer frühzeitigen Zinssenkung erstaunlich nahe.
Insbesondere die Dot Plots überraschten, denn bei deren letzter Veröffentlichung im September ging noch eine Mehrheit davon aus, die Zinsen in diesem Jahr noch einmal anzuheben. Dies trug zu einem sprunghaften Anstieg der Renditen bei, der auf der Vorstellung "höher für länger" beruhte. Die Verschiebung innerhalb von drei Monaten ist verblüffend. Die Prognosen für die längerfristigen Zinssätze haben sich nicht wesentlich geändert, aber die Vorhersagen des Ausschusses für das nächste Jahr deuten nun darauf hin, dass man sehr schnell handeln will. Vor drei Monaten glaubten 10 Mitglieder, dass der Leitzins Ende nächsten Jahres immer noch über 5 % liegen würde. Jetzt glauben das nur noch drei. Der Medianwert ist um ganze 50 Basispunkte gesunken, und ein Ausreißer glaubt sogar, dass er unter 4 % fallen wird. Die Mitglieder scheinen auch zuversichtlich zu sein, dass im nächsten Jahr keine Rezession bevorsteht.
Powell selbst zeigte sich in seiner Pressekonferenz so klar und dovish, wie nie. Dabei bezeichnete er die laufende Geldpolitik als „weit im restriktiven Bereich“ (nicht nur „restriktiv“, wie noch kürzlich) und erklärte ausdrücklich, dass die Fed mit Zinssenkungen beginnen müsse, "lange bevor" die Inflation ihr Ziel von 2 % erreicht, und dass ein Verzicht darauf sogar zu einer Überschreitung führen und die Wirtschaftstätigkeit zu sehr bremsen könnte. Zudem sei die Fed sehr konzentriert auf das Risiko, die Zinsen zu lange auf einem zu hohen Niveau zu halten (nachdem sie zuvor versucht hatte, den Markt davon zu überzeugen, dass sie die Zinsen "länger hoch" halten könnte). Des weiteren räumte Powell ein, im Ausschuss bereits darüber diskutiert zu haben, wann mit Zinssenkungen begonnen werden könnte - ein deutlicher Unterschied zu seinen bisherigen Dementis, dass der Ausschuss "auch nur darüber nachdenke". Die Richtung seiner Äußerungen war unmissverständlich. Der Schwenk der Fed führte dazu, dass die Märkte und Ökonomen ihre Prognosen für das nächste Jahr eilig umschrieben. Die Anleger rechnen nun mit sechs Zinssenkungen um jeweils einen Viertelpunkt im Jahr 2024 durch die Fed, doppelt so viel, wie die drei Zinssenkungen, die in den Prognosen der Zentralbank angenommen wurden. An der Wall Street war Goldman Sachs einer der Ersten, der mit einem schnelleren und stärkeren Zinssenkungsreigen herauskam. Die Bank sieht nun einen vierteljährlichen Rhythmus von Zinssenkungen vor, der im März beginnt und in einem Zielbereich von 3,25 % bis 3,5 % gipfelt.
Märkte im Rally-Modus
Was die zweijährige Rendite betrifft, die am stärksten auf kurzfristige Zinssenkungen reagiert, so zeigte ihre Entwicklung im Minutentakt, wie die Anleihehändler überrumpelt wurden. Nach einem Sturzflug bei der Veröffentlichung des Dot Plots fiel sie im weiteren Verlauf der Pressekonferenz von Powell noch einmal deutlich. Auch bei der Rendite 10-jähriger Staatsanleihen, der entscheidenden Benchmark für Finanztransaktionen in aller Welt, gab es eine dramatische Veränderung. Nachdem sie im Anschluss an die FOMC-Sitzung im September knapp die 5 %-Marke überschritten hatte, ist sie nun wieder deutlich unter 4 % gesunken. Dies deutet stark darauf hin, dass der Höhepunkt des laufenden Zyklus erreicht ist. Die Verschiebung bei den Anleihen schwächte vorhersehbar den Dollar.
Die Auswirkungen der jüngsten Entscheidung der Federal Reserve in Kombination mit Powells vorausgegangenen Kommentaren spiegel sich in verblüffenden Bewegungen wider, zumindest hinsichtlich ihrer Ausprägungen: so gewann der europäische Stoxx-600-Index seitdem in der Spitze 1,7 %, der S&P-500 legt um 0,6 % zu, und setzte damit seine schon zuvor Powell-induzierte Rally ab dem 08.11. spektakulär fort. Dessen Rekordhoch bei 4.808 Punkten vom 04.01.2022 ist damit nur noch einen Wimpernschlag entfernt. Wall Street-Größe Goldman Sachs hat seine Prognose für US-Aktien bereits zum zweiten Mal innerhalb der letzten vier Wochen angehoben und sieht nun neue Rekorde im Jahr 2024. Die Prognose liegt nun bei 5.100 Punkten, nach 4.700 Punkten von vor einem Monat. Bank of America und Oppenheimer Asset Management erwarten ebenfalls neue Höchststände im kommenden Jahr. Der deutsche Leitindex erreichte sein All-Time-High am vergangenen Donnerstag, und das, obwohl bei der EZB-Sitzung des gleichen Tages weitgehend Einigkeit in der Erwartung herrschte, die Leitzinsen später zu senken, als es die Finanzmärkte derzeit einpreisen. Währenddessen sind die Anleihen weltweit weiterhin auf Talfahrt, wobei die wichtigsten europäischen Wertpapiere zweistellige Kursverluste hinnehmen mussten.
Edelmetalle zünden wieder
Zu den üblichen Verdächtigen in Sachen Preistreiber, wie sinkende Anleiherenditen, locker agierende Zentralbanken und ein nachgebender US-Dollar, kommt den Edelmetallen derzeit abermals ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis zugute. Nach mehreren Angriffen auf internationale Handelsschiffe im Roten Meer haben verschiedene Frachtschifffahrtsunternehmen beschlossen, ihre Transitfahrten durch das Gebiet zu stoppen. Ein deutlicher Hinweis auf die eskalierende Sicherheitslage in der Region. Schon nach Powells Rede sind die Gold- und Silberpreise stark angestiegen, mit diesem zusätzlich stützenden Faktor ist es durchaus möglich, dass diese Entwicklung für einen sich weiter beschleunigenden Auftrieb sorgt. In den letzten Jahren bildete der Bereich um 2.070 USD eine Art Obergrenze für das gelbe Edelmetall. Anfang dieses Monats wurde sie kurz durchbrochen, was eine große Verkaufswelle auslöste. Jetzt nähert es sich ihr wieder an. Auch in der laufenden Woche stehen wieder Inflationsdaten ins Haus. Am Dienstag werden die Verbraucherpreisdaten der Euro-Zone erwartet, am Freitag folgt der für die Fed bedeutsame PCE-(Kern-)Deflator sowie die durch die Uni Michigan erhobene fünfjährige Inflationserwartung der Verbraucher.