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Neue Architektur: Im Windschatten vom Alexanderplatz tut sich was

Lesezeit: 4 min
10.01.2024 13:35  Aktualisiert: 10.01.2024 13:35
Lange Zeit war die Hochhaus-Frage in Berlin ein Tabuthema. Die Hauptstadt hatte einige wenige Standorte hierfür genehmigt, die City-West am Kurfürstendamm etwa und der Alexanderplatz im Osten. Inzwischen sind Hochhäuser fast das einzige, an denen noch gebaut wird in der Krise. Und auch die lange verpönte zeitgenössische Architektur mit gläsernen Fassaden hat sich bemerkenswerte Freiräume erkämpft. Berliner Bauten sind plötzlich nicht mehr nur langweilig. Es gibt Neues an der Berliner Banane - wie ein lange unbeachtet gebliebenes Areal in Mitte heißt.
Neue Architektur: Im Windschatten vom Alexanderplatz tut sich was
Die aufstrebende Bank N26 und der Impfstoff-Hersteller Biontech aus Mainz haben sich bereits im VoltAir-Haus der Swiss Life Büroflächen gesichert. J.Mayer H. und Partner sind die Planer, die die Architekturkritiker derzeit begeistern. (Foto: Stirling Elmendorf)
Foto: Stirling Elmendorf

Krimi-Enthusiasten und Fans der Fernsehserie „Babylon Berlin" wissen natürlich nur zu gut, das die Berliner Kriminalpolizei einst ihr Hauptquartier gleich jenseits des verruchten Alexanderplatzes in der „Roten Burg" hatte. Von dort rückte in den 20er-Jahren immer wieder Ernst Gennats legendäres Mordauto zu Tatorten im Sündenbabel Berlins aus - der Kripo-Kommissar hatte damit die Verbrechensaufklärung revolutioniert. Doch wo stand eigentlich dieses riesige Polizei-Gebäude mit seinen Kuppeltürmen?

Die Filmproduzenten nutzen als Kulisse einfach das Rote Rathaus, noch heute Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Das alte Polizeipräsidium ist im Krieg zerstört, in den 50er-Jahren abgerissen und damit aus dem städtischen Gedächtnis gelöscht worden. Das Grundstück, auf dem es einst stand, wurde von Stadtplanern nach der Wiedervereinigung geringschätzig als „Banane am Alex" bezeichnet und mit einem gleichfalls rosa-roten Gebäude bebaut: dem Shopping-Mall „Alexa." Es wurde, wirklich wahr, zum hässlichsten Gebäude Berlins gewählt. Doch neuerdings tut sich gleich nebenan was - im Windschatten des Alexanderplatzes.

Gleich angrenzend an das Shopping-Center der Architekten Ortner & Ortner (und deren abgebrochenem, schon im Untergeschoss steckengebliebenen Kolben-Hochhaus) ist dort endlich der Architekt Jürgen Mayer H. zum Zuge gekommen. Er hat sein Büro in Berlin. Dass ihn nur Experten kennen, ändert sich gerade.

Seitdem der gebürtige Stuttgarter im spanischen Sevilla seine Setas de Sevilla über der Altstadt aufgespannt hat, wird er als Rising Star der Architekten-Szene gefeiert. Ihm ist jedenfalls mit einem als Hybridkonstruktion aus Holz, Beton und Stahl errichteten Parasol für Sevilla eine neue Stadtpostkarte geglückt. In Berlin, so sagen viele, habe er hingegen zu Zeiten des früheren Senatsbaudirektors Hans Stimmann (SPD) gewissermaßen unter Berufsverbot gelitten. So wie auch die international gefeierte irakische Architektin Zaha Hadid und andere große Baumeister, die sich dem Gestaltungsdiktat Stimmanns einfach nicht beugen mochten.

Wie eine Kamarilla das Bauen in Berlin bestimmte

Legendär vor allem der Streit Günter Behnischs, dem Deutschland das Olympiastadion in München verdankt. Als Behnisch, der Altmeister seiner Zunft, am Brandenburger Tor gleich neben dem „Hotel Adlon" eine gläserne Fassade für die Akademie der Künste gegen jahrelangen Widerstände durchboxen wollte, löste dies in den Zeitungen eine Grundsatz-Debatte über Berlins Aussehen aus. Behnisch obsiegte nur, weil mit Jürgen Klemann vorübergehend mal ein Bausenator der CDU über das Diktum der sogenannten „Kritischen Rekonstruktion“ hinwegsetzte und die Akademie der Künste als Bauherr partout nicht bereit war, Zensur zu üben.

Der berühmte US-Architekt Frank Gehry, dem die Welt einige der spektakulärsten Museen der Welt zu verdanken hat, ließ sich (rechts neben der Akademie der Künste) in Stimmanns Korsett aus Traufhöhe und steinernen Lochfassaden pressen. Dem DZ-Gebäude am Pariser Platz ist heute leider nicht anzusehen, dass der eigentliche Gehry-Bau quasi im Inneren des Bankhauses versteckt ist. Man brauchte starke Verbündete damals für herausragende Gebäude, so wie auch Daniel Libeskind für sein Jüdisches Museum in Kreuzberg.

Hans Stimmann, tatsächlich Maurer von Beruf, war einst vom putzigen Lübeck ins verschlafene West-Berlin aufgebrochen, um dort in Folge der Wiedervereinigung völlig unvermittelt und unvorbereitet im Mittelpunkt des architektonischen Weltgeschehens zu stehen. Eine Schar gleichgesinnter Architekten hatte es ihm angetan , die er durch die IBA 1987 in West-Berlin kennengelernt hatte. Dann fiel die Mauer. Und Stimmann schwang sich damals auf, epochal zu bestimmen, wer künftig in Berlins Innenstadt zum Zuge kommt und wer nicht. Immer wieder entschied so die gleiche Kamarilla (nur in unterschiedlichen Besetzungen), wer für welchen Wettbewerb eingeladen und wessen Beitrag schließlich prämiert wurde. Die Auftragsvergabe durch die jeweiligen Bauherren, eingeschüchtert durch Stimmanns teils rüdes Auftreten, war dann meist Formsache.

Stimmanns eiserner Griff verliert an Kraft

Stimmanns eiserner Griff lässt allmählich nach. Nicht etwa aus Überzeugung seiner Nachfolger(innen) im Amt, sondern weil das visionäre Bauen in der Hauptstadt weitgehend eingeschlafen ist und kaum mehr große wegweisende Entscheidungen anstehen. Glück hat manchmal ein Bauherr, dessen hübsches Projekt in der Nische der Berliner Bezirkszuständigkeit verbleibt und gar nicht erst auf den Tisch der übergeordneten Senatsbauverwaltung landet. Außerdem verbreitet sich allmählich die Erkenntnis: Wer jetzt noch bauen möchte für den Markt, sollte mehr darauf achten, dass das Gesamtpaket für den künftigen Eigentümer auch äußerlich ansprechend ausfällt.

Wenn man zum Beispiel Firmen wie Biontech mit seiner Berlin-Repräsentanz anlocken will oder das trendige Bankhaus N26, dann muss man als Projektentwickler schon mehr zu bieten haben als schnöden Gewerbebau. Im Fall der AGB Real Estate GmbH, die an jener Banane einen eher wenig beachtetes Grundstück bebaut hat, ist dies gleich in beiden dieser Fälle gelungen. Dabei stehen große Flächen des unterdessen an die Swiss Life verkauften Bürogebäudes immer noch leer.

Gleichwohl hat Ulf Meyer, Architektur-Kritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", befunden, dass Mayers Glashaus in seiner orthogonalen Geometrie Berlin „gut zu Gesicht steht angesichts des ästhetischen Stillstands in der Hauptstadt." Durch Staffelungen und Spiegelungen werde „der Block spielerisch aufgelöst" - und bleibt dennoch ein Bürohaus für eine junge Generation, die post-Corona Tischtennisplatten und Lümmelsofas zwischen ihren Schreibtischen zu schätzen wissen. Eigentlich sollte der Block auch zum Action-Parcours und Kaufhaus des Erlebnis-Produzenten Jochen Schweizer werden, doch dann strickte Mayer H. - dessen angehängtes H. für seinen zweiten Vornamen Hermann und zugleich „bessere Erkennbarkeit" steht - einfach die Pläne um.

Ein neugieriger Blick auf sein neues Berliner Aushängeschild aus der S-Bahn zum Bahnhof Alexanderplatz beim nächsten Berlin-Besuch wird sich lohnen. Zumal sich im bananenartigen Wurmfortsatz des Alexanderplatzes noch andere wundersame Dinge abspielen. So soll direkt an der die Spree überquerenden Jannowitzbrücke ein neues Hochhaus entstehen und in überraschender Weise aus der Reihe den Planwerks Innenstadt tanzen. „Central Tower" soll der Turm heißen und statt der anfänglich im Genehmigungsverfahren erlaubten 68 Meter nun sogar über 110 Meter emporschießen dürfen. Ursprünglich einmal als Hotel-Standort geplant, dürfte es nun ein Bürohaus mit fantastischem Fernblick in beide Richtungen der Spree werden.

Hochhäuser dürfen gerne auch höher ausfallen

Höhere Hochhäuser: Eine faustdicke Überraschung, die auf einer merkwürdigen Pressekonferenz verkündet wurde. Denn eigentlich war an jenem Standort keiner der von Hans Kollhoff in seinem Masterplan über das Gelände verstreuten und locker dahin gewürfelten Hochhäuser vorgesehen. Den Betrachtern schien es so, als versuche sich der Baustadtrat von Berlin-Mitte, Ephraim Gothe (SPD), einer der letzten getreuen Statthalter Stimmanns, mit Händen und Füßen gegen den evidenten Lauf der Dinge zu stemmen. Denn einerseits betonte Gothe in Anwesenheit der slowakischen Investoren-Gruppe HB Reavis, dass Berlin gar keine Wolkenkratzer brauche. Andererseits verkündete er der überraschten Presse, die Ausnahme von der Ausnahme, auch wenn ihm dies so sehr Unbehagen bereitete.

Womöglich hat die wieder in Berlin bestimmende CDU baupolitische Pfähle eingeschlagen und das Fundament für neue Hochhäuser gelegt - anlässlich einer Parteiklausur in Warschau Ende des Jahres. Der Schmerz über verpasste Chancen der Hauptstadt könnte langsam abklingen.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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