Politik

Zukunft der Landwirtschaft: Bedroht die Politik den deutschen Mittelstand?

Lesezeit: 7 min
15.01.2024 17:38  Aktualisiert: 15.01.2024 17:38
Die Bauern-Proteste gegen die Beschlüsse der Ampel-Regierung gehen weiter. Doch nicht nur das, mittlerweile haben sich Spediteure, Handwerker, Gastronomen, Bäcker, Winzer, Metzger und Vertreter zahlreicher anderer Berufsgruppen den Demonstrationen der Landwirte angeschlossen. Ist der deutsche Mittelstand in Gefahr?
Zukunft der Landwirtschaft: Bedroht die Politik den deutschen Mittelstand?
Bauern-Proteste: Landwirte protestieren mit ihren Traktoren gegen die Pläne der Ampel-Regierung (Foto: dpa)
Foto: Andreas Arnold

Es demonstrieren nicht nur die Bauern, inzwischen gehen weitere Berufsgruppen gegen die Pläne der Ampel-Regierung auf die Straße. Welches Ziel haben die Demonstranten? Welche Gefahren sehen die Landwirte? Und stehen viele Betriebe deswegen wirklich vor dem Aus?

Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen mit dem Vorstandsvorsitzenden von „Landwirtschaft verbindet Bayern“, Claus Hochrein, am Rande einer Demonstration in Würzburg. Er ist Landwirt aus Unterfranken und besitzt einen Mischbetrieb aus Weinbau, Biogas und Mutterkuhhaltung.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Hochrein, wie groß ist Ihre Weinanbaufläche?

Claus Hochrein: 18 Hektar. Da baue ich Silvaner, Weißburgunder, Müller-Thurgau und Bacchus an. Das ist Weißwein. Und Acolon, Regent, Spätburgunder, Domina. Das ist Rotwein. Ist das eine private Frage oder kommt das mit ins Interview?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Diese Frage darf gerne Teil des Interviews bleiben, es ist doch interessant, was es alles gibt und wer bei den Protesten mitmacht: Waldbauern, Viehbauern, Weinbauern …

Claus Hochrein: Ja, ich bin relativ breit aufgestellt, was das Ganze angeht. Und da bin ich froh, denn in der momentanen Lage, wenn man nur ein Standbein hat, funktioniert das nicht mehr richtig. Das sieht man an den Schweinefarmen, die sind in den letzten drei Jahren sehr schnell in Existenznöte gekommen. Wenn ein Sektor nicht funktioniert und ich habe mich nur auf diesen einen spezialisiert, dann wird es schwierig.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Zurück zu Ihrer Organisation: Wie ist der LSV organisiert?

Claus Hochrein: Wir sind deutschlandweit aufgestellt und haben überall - unterschiedlich starke - Landesverbände. Die Vorstände werden von den Mitgliedern demokratisch gewählt. Die jeweiligen Landesverbände sind unterschiedlich stark und insgesamt ist unsere Vereinigung im Vergleich etwa zum Bauernverband relativ klein. Dafür sind wir gut vernetzt, haben über WhatsApp, Facebook und Instagram eine sehr große Reichweite und können schnell für Demonstrationen mobilisieren. Das macht unserer Schlagkraft aus. Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass das bei uns alles friedlich und demokratisch abläuft. Ich denke, wir haben in den letzten Tagen bewiesen, dass wir lauter anständige Unternehmer sind, die keinen Krawall machen, sondern unsere Botschaft nach außen tragen wollen.

Einheit im Protest: Handwerker, Gastronomen und Bauern gemeinsam für ihre Forderungen

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?

Claus Hochrein: Wir vom LSV zusammen mit dem Deutschen Bauernverband fordern weiterhin, die Steuerbefreiung für Fahrzeuge mit grünen Nummernschildern zu bewahren. Diese Zusage, und das ist wirklich nur eine Zusage, da ist ja noch nichts endgültig beschlossen, ist jetzt da. Der Agrardiesel hingegen soll weiterhin abgeschafft werden, wenn auch stufenweise. Das ist für uns ein fauler Kompromiss, darauf lassen wir uns nicht ein. Das ist absolut inakzeptabel.

Das Gute ist: Wir sind nicht allein. Viele Vertreter anderer Berufsgruppen stellen sich neben und demonstrieren mit uns: Handwerker, die HOGA, also der Hotel- und Gaststättenverband, verschiedenste Spediteure, also da gibt es ja auch unterschiedliche Verbände und Organisationen, aber der größte Verband mit über 98.000 Lkw hat ja auch zu den Demonstrationen aufgerufen,

der Wirtschaftsverband Bayern mit über 5,7 Millionen Mitgliedern, nur in Bayern, hat sich quasi auf der Bühne neben die Bauern gestellt und gesagt: Das, was ihr macht, ist richtig, die Politik ist absolut fehlgeleitet, wir können diese gestiegenen Kosten, zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7 Prozent auf 19 Prozent im Hotel- und Gaststättengewerbe und auch die Energiekosten nicht mehr stemmen. Aber auch überbordende Bürokratie stellt für viele eine riesige Belastung, ein riesiges Problem dar.

Ich laufe jetzt gerade durch Würzburg und da sind Zimmerer mit dabei, es sind Gebäudereiniger mit dabei, es sind die Bäcker mit dabei, die Metzger sind mit dabei, der fränkische Weinbauverband ist mit dabei, der Bauernverband ist mit dabei, es sind aber auch zwei große Krankenhausbetreiber mit dabei, das Juliusspital in Würzburg ist ja Altenheim, Krankenhaus, aber auch Weinbaubetrieb und Ackerbaubetrieb. Und die stehen auf unserer Seite und unterstützen uns mit Sprechchören, die können wir ja nicht beeinflussen, aber die Sprechchöre schreien halt die ganze Zeit: „Ampel weg, Ampel weg!“ und „Wir haben die Schnauze voll.“ Also ruhig, friedlich, aber laut und bestimmt, also es funktioniert eigentlich wirklich sehr gut.

Existenzbedrohung: Warum Agrardiesel-Abschaffung und grünes Nummernschild die Bauern auf die Straße treiben

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sollte die Regierung diese vorgeschlagenen Maßnahmen durchziehen, wäre das für Sie und andere Landwirte tatsächlich existenzgefährdend?

Claus Hochrein: Also diese zwei Punkte - Abschaffung des Agrardiesels und des grünen Nummernschildes - haben das Fass jetzt zum Überlaufen oder, wie ich in Berlin gesagt habe, fast schon zum Zerbersten gebracht. Dass wir in den letzten Jahren bereits deutschlandweit für die Branche 2 Milliarden (Euro, Anmerkung der Redaktion) Einsparungen hinnehmen mussten, das haben die Bauern zum größten Teil geschluckt. Düngeverordnung, Kürzungen bei der Sozialversicherung, da gibt es verschiedenste Punkte, die ich jetzt aufzählen könnte. Aber jetzt ist das Fass tatsächlich übergelaufen.

Und diesmal sind wirklich alle Bauern betroffen und deswegen stoßen die Proteste auch auf eine derart breite Zustimmung. Bei den anderen Maßnahmen waren immer nur gewisse Branchen betroffen, beispielsweise die Halter von Schweinen und andere Nutztierhalter. Aber diesmal geht es alle an, auch die ganz kleinen, die vielleicht nur ein bisschen Wald und ihren Waldschlepper mit grüner Nummer haben. Gut, deren Existenz ist wahrscheinlich nicht wirklich bedroht, weil das für die meisten nur ein Nebenerwerb ist. Den großen Ackerbaubetrieben geht es hingegen wirklich an die Substanz.

Der Wegfall des Agrardiesels und einen zusätzliche Kfz-Besteuerung würden bei mir mit etwa 12.000 Euro zu Buche schlagen. Und dabei möchte ich noch gar nicht wissen, was mich die Düngeverordnung an Geld kostet; edes Jahr durch spätere Düngung, durch niedrige Erträge, durch schlechtere Erträge, durch Einlagerungsgebühren, die ich jetzt abgeben muss. Das sind Dinge, die die Bauern jetzt wieder einen. Und auch das Handwerk demonstriert mit. Briefträger laufen auf der Demo mit, bei uns laufen Rentner mit, die sagen, dass sie ihre gestiegenen Strom- und Spritkosten nicht mehr zahlen können. Die CO2-Steuer und die Lkw-Maut drücken auf die Lebensmittelpreise und da sagen die Leute einfach: es geht nicht mehr, wir packen es nicht mehr.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Politik argumentiert mit Sparzwängen, gerade nach den jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

Claus Hochrein: Ich habe in München auf der Bühne schon ganz klar gesagt, dass, wer es nicht schafft, mit Steuereinnahmen, die von 480 Milliarden auf, also legen Sie mich nicht fest, also auf 930 Milliarden im Jahr 2023 gestiegen sind, was quasi einer Verdoppelung gleichkommt, zu Rande zu kommen und einen Haushalt aufstellt, der nicht rechtskräftig, illegal ist, da muss ich sagen, die können es einfach nicht. Sie haben es ja auch schon vorher gesagt gekriegt: „Der Haushalt ist illegal“, und sie schlagen alle Warnungen in den Wind und machen es trotzdem. Und dann sagt das Bundesverfassungsgericht: „Freunde, der Haushalt geht nicht, der ist nicht rechtskräftig.“ Und dann stellen sie Bundestagsabgeordnete hin, die sagen: „Ja, wenn nicht geklagt worden wäre, dann hätten wir jetzt die Probleme nicht.“ Dann frage ich mich, was habt ihr denn für ein Rechtsverständnis? Das geht so nicht.

Das sind einfach Sachen, die kann ich nicht nachvollziehen. Ich kann in meinem Betrieb ja auch kein Geld ausgeben, das ich nicht habe. Und dann mit Sondervermögen oder mit zusätzlichen Krediten hantieren, das kann nur einer machen, der, ich sage mal, noch nie Verantwortung für etwas getragen hat. Das fehlt mir halt einfach in der Politik. Leute, die selbst mal gearbeitet haben, die eine vernünftige Ausbildung oder ein Studium vorzuweisen haben, aber es werden ja immer mehr Leute, die nicht Eins und Eins zusammenzählen können, die noch nicht mal eine abgeschlossene Schul- oder Ausbildung haben, und die sitzen dann im Bundestag und wollen uns erklären, wie wir unsere Höfe zu führen haben. Also wir entfernen uns immer weiter von der Realität.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie sehen Sie die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland?

Claus Hochrein: Ich habe große Angst, dass in den nächsten Jahren gerade diese kleinen Strukturen, die Familienbetriebe, Betriebe, von denen eine Familie leben kann, dass gerade diese Betriebe nach und nach aussterben werden. Weil sie gerade nach solchen Maßnahmen und der ständigen Gängelung, Überwachung, Kontrolle, einfach sagen, ich höre erst mal mit der Tierhaltung auf und dann lasse ich den Betrieb einfach auslaufen. Oder ich verpachte jetzt schon.

Das war zwar teilweise schon vorher so, dass Bauern, wenn sie in Rente gegangen sind, verpachtet haben, weil der Junior nicht weitermachen wollte. Aber jetzt gibt es Betriebsleiter mit Ende 40, Anfang 50, die sagen, ich schmeiße hin, ich habe keinen Bock mehr. Ich kann mir auch keinen neuen Schlepper mehr leisten. Ich habe gar nicht die Kraft für eine Ersatzinvestition, weil ich meine Rücklagen auffresse, wenn ich weitermache. Und dann ziehe ich lieber gleich konsequent den Schlussstrich und sage, ich höre jetzt auf, bevor ich in zehn Jahren meine ganzen Rücklagen aufgefressen habe. Und damit dann nichts mehr fürs Alter habe. Also das sind schon Hausnummern, wo ich sage, da schnaufe ich schon. Und ich sehe einen riesigen Strukturwandel, der war ja schon mal da in den 80er, 90er Jahren, aber ich sehe den Strukturwandel in den nächsten Jahren noch extremer. Gerade in Bayern, wo wir kleine Strukturen haben, oder auch in Baden-Württemberg, da sehe ich in den nächsten Jahren noch extreme Veränderungen.

Und das ist ja etwas, das der Verbraucher eigentlich gar nicht will. Wir wollen ja alle eine klein strukturierte, familiengeführte Landwirtschaft. Und das muss dann aber auch wirtschaftlich möglich sein. Und das ist es in Zukunft, glaube ich, nicht mehr.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wird es den großen Agrarkonzernen besser ergehen?

Claus Hochrein: Ich habe Angst, dass es immer mehr wird wie in den neuen Bundesländern, dass dann Aktienkonzerne und andere große Unternehmen die Flächen einfach aufkaufen, Verwalter draufsetzen und das dann als Landwirtschaft betiteln. Also da muss man einfach ganz klar sagen, das sind Abschreibungsobjekte, das hat mit klassischer Landwirtschaft, mit Urproduktion im klassischen Sinn eigentlich nichts mehr zu tun. Und da muss man schon wirklich sagen, es wird schwierig. Es gibt im Osten auch große Familienbetriebe, die das wirklich gut machen, aber die stehen halt wirklich unter Druck von Unternehmen, von DAX-Unternehmen, von Privatleuten, die wirklich ihr Geld loswerden müssen, die dann einfach sagen, ja, wir kaufen halt im großen Stil Fläche, weil wir sonst unser Geld nicht unterbringen. Und die Gefahr besteht, dass das irgendwann immer weiter in den Westen herüberschwappt und dann auch in den Süden. Das sind schon sehr große Gefahren, dass man im Endeffekt Fläche zu Kapitalanlagen macht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Baggern da die Lobbys im Hintergrund?

Claus Hochrein: Also diese Verschwörungstheorie mache ich definitiv nicht auf. Ich glaube einfach, dass diese Politik, die wir momentan durch die Ampel erleben, unkoordiniert und unüberlegt ist. Gerade, was diesen Green Deal anbelangt, der in Brüssel mit Franz Timmermanns auf den Weg gebracht worden ist, ohne Abwägung der Folgen. Denn wenn ich bis 2030 10 Prozent der Fläche europaweit stilllegen will, 30 Prozent extensivieren will, dann frage ich mich, wie sich Europa und Deutschland und auch die einzelnen Bundesländer zukünftig selbst versorgen wollen. Das ist dann nicht mehr zu schaffen. Schon durch die Dürre der letzten Jahre sind die Ernteerträge in Europa stark zurückgegangen. Wir haben Selbstversorgungsgrade bei Obst und Gemüse, die liegen bei etwa 30 Prozent. Zwar hatten wir die ganze Zeit Milch- und Fleischüberschüsse, die haben wir inzwischen nicht mehr, gerade noch so um die 100 Prozent. Und es hören ja immer mehr Tierhalter auf. Die Schweinehaltung hat ja im letzten Jahr extrem gelitten.

Wir bekommen unsere Ferkel gar nicht mehr alleine in Deutschland nachgezüchtet. Da sind der Selbstversorgungsgrad und die Ernährungssouveränität extrem gefährdet. Und wenn man das so macht wie bei Energie oder bei innerer und äußerer Sicherheit, dass man dann auf Partner setzen muss, auf die man sich vielleicht nicht wirklich verlassen kann, dann wird die Selbstversorgung unseres Landes mal wirklich schwierig werden. Aber ich muss jetzt Schluss machen, denn ich muss noch mal auf die Bühne.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Hochrein, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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