Finanzen

Zinsentwicklung und Geopolitik beherrschen die Finanz- und Rohstoffmärkte

Lesezeit: 4 min
17.01.2024 16:58
Nach einem holprigen Start ins neue Jahr haben sich die Märkte wieder gefangen. Der Vielzahl der seit Jahresbeginn bereits veröffentlichten und durchaus ermutigenden Wirtschaftsdaten stehen jedoch wachsende geopolitische Risiken gegenüber, was bis auf weiteres sowohl dem Finanz- wie Rohstoffsektor die Volatilität erhalten dürfte.
Zinsentwicklung und Geopolitik beherrschen die Finanz- und Rohstoffmärkte
Bleibt Gold auch weiterhin gefragt? (Foto: dpa)
Foto: monsitj

Auch an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten erwachte der ein oder andere Sektor zum Jahresbeginn leicht verkatert. Aktienindizes, wie auch die Vertreter des Edelmetallsektors, erfuhren eine unmittelbare Neubewertung, konnten sich in den folgenden Handelstagen jedoch stabilisieren. So dürfte dieser initiale Rückgang auch eher als Rückzieher derer gewertet werden, die sich in den vorangegangenen Rallys zu stark engagiert hatten, nun per Gewinnmitnahmen Druck aus dem Kessel ließen und damit auch die zuvor sehr umfangreichen Positionierungen mit Blick auf schon in Kürze bevorstehende umfassende Zinssenkungen ein wenig zurücknahmen. Geprägt wurde die gesamte erste Handelswoche von schwankenden Wetten darüber, wann die US-Notenbank mit der Senkung der Zinssätze beginnen wird. Dies dürfte auch in diesem Jahr das vorherrschende Thema bleiben, wobei der Schwerpunkt auf der Frage liegt, inwieweit sich die Inflation verlangsamen und sich den Zielen der Zentralbank nähern wird. Anleihehändler lassen sich von dem Rückgang der Zinssenkungswetten derzeit nur wenig beirren, sie sehen diese Entwicklung eher als eine Gelegenheit, sich hohe Renditen für Staatsanleihen zu sichern, bevor die Fed ihre Politik lockert.

Datenflut zum Jahresauftakt

Mit dem am 03.01. veröffentlichten Protokoll der Dezember-Sitzung der US-Notenbank erhielten die Marktteilnehmer die ersten Hinweise auf den bevorstehenden Zinspfad der Federal Reserve, gefolgt vom mit ebensolcher Spannung erwarteten US-Arbeitsmarktbericht und den ersten Verbraucherpreisdaten in diesem Jahr. Dabei deutete das Sitzungsprotokoll der Fed darauf hin, dass die Zinssätze noch "für einige Zeit" auf ihrem restriktiven Niveau verharren könnten, bis ein dauerhafter Rückgang der Inflation zu erkennen ist. Die Entscheidungsträger räumten jedoch ein, dass die Zinssätze wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht haben und sie 2024 mit Zinssenkungen beginnen werden. Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass die Teilnehmer hinsichtlich der Inflationsentwicklung optimistischer geworden sind und "deutliche Fortschritte" festgestellt haben. Jedoch gab der Ausschuss keinen Hinweis darauf, dass die Lockerung bereits im März beginnen könnte, was die Händler dazu veranlasste, ihre Wetten zu zügeln: Statt im März ist die erste Zinssenkung nun für Mai voll eingepreist.

Der kurz darauf folgende Bericht über die Beschäftigungszahlen außerhalb der Landwirtschaft (NFP), der immer ein Großereignis für die Märkte darstellt, bestätigte die sowohl zuvor gewonnene Einschätzung aus dem Fed-Protokoll als auch die wöchentlichen Arbeitsmarktdaten des Vortages. Beide zeigten, dass die Unternehmen im Dezember vermehrt neue Mitarbeiter einstellten, sich die Lohnzuwächse weiter abkühlten und die Arbeitslosenquote stabil blieb. Was mit den Aussichten auf ein anhaltendes Wachstum und eine nachlassende Inflation übereinstimmt. Und auch nachdem die jüngsten Verbraucherpreisdaten dieses Jahres etwas besser ausgefallen sind als erwartet, deuten diese doch darauf hin, dass die US-Notenbank noch einiges zu tun haben wird, bevor sie eine Zinssenkung in Erwägung ziehen kann. Immerhin stieg der Verbraucherpreisindex im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 % und damit so stark wie seit drei Monaten nicht mehr, während die Preise ohne Nahrungsmittel und Energie mit 3,9 % nur geringfügig weniger als erwartet zurückgingen. Die Marktreaktionen darauf hielten sich sehr in Grenzen, was auch zeigt, wie sich die Bedeutung dieses noch vor kurzem enorm bedeutsamen Datenpunktes reduziert hat.

Über den bevorstehenden Zeitplan gehen die Meinungen in den jeweiligen Research-Abteilungen auseinander: so rechnen die Strategen der Bank of America und von Barclays mit einer ersten Kürzung im April, die Deutsche Bank geht davon aus, dass die Rückführung im Juni beginnt, und Morgan Stanley meint, dass die Entscheidungsträger den Märkten viel Zeit geben wollen, sich vorzubereiten, und erst im September handeln werden. Laut JPMorgan könnte die Fed die Zinsen stärker senken, als sie ankündigt, was zu einer Rallye bei Staatsanleihen mit kürzeren Laufzeiten führen würde. Nach eigenen Angaben kauft JPMorgan dementsprechend kurzlaufende Anleihen und ist den 30-jährigen Pendants untergewichtet.

Inflation auch in Europa weiter Thema

Die Europäische Zentralbank hat immer betont, dass es nicht so einfach sein wird, die Inflation auf ihr 2 %-Ziel zu senken, und die jüngsten Daten bestätigen dies. Das jährliche Verbraucherpreiswachstum in der Eurozone ist im Dezember erneut auf 2,9 % gestiegen und hat sich damit erstmals seit acht Monaten wieder beschleunigt. Damit ist die Aussicht auf das Erreichen eines Ziels, das nach dem Ergebnis von 2,4 % im November so nahe schien, nun wieder ein wenig entrückt. Die gute Nachricht ist, dass der Posten „Energie“ eine geringere Belastung darstellt als früher. Die sogenannte Kerninflation, bei der schwankende Faktoren wie Energie herausgerechnet werden, ist ein weiterer Grund für Wachsamkeit. Diese hat sich zwar gegenüber Oktober verlangsamt, liegt aber mit 3,4 % immer noch deutlich über dem Ziel der EZB. In Frankreich, Italien und Spanien geht man davon aus, dass die Inflation dort bis zum nächsten Jahr auf 2 % oder weniger sinken wird. Die Deutsche Bundesbank rechnet damit, dass es hierzulande viel länger dauern wird.

Geopolitische Risiken steigen

Auf die sich weiter verschärfende Risikolage im Roten Meer reagieren die Märkte insgesamt recht gelassen. Allerdings meiden seit den Angriffen der USA und Großbritanniens auf Ziele im Jemen immer mehr Öltanker das südliche Rote Meer. Das wird zuvorderst die Treibstoffströme für eine Weile unterbrechen, wobei der wirkliche (buchstäbliche) Sprengstoff in der Dauer dieser Weile liegt. Die Spannungen zwingen schon jetzt viele Frachtschiffe dazu, den wichtigen Handelskorridor zu meiden. Das bedeutet, dass zusätzliche Meilen auf der Suche nach sichereren Gewässern, weit weg von den Raketenangriffen der Houthi, zurückgelegt werden müssen. Seit Ende Dezember ist der Verkehr um das Kap der Guten Hoffnung in Afrika nach Angaben von IMF PortWatch sprunghaft angestiegen. Anfang Januar sank das Transitvolumen im Suezkanal im Vergleich zum Vorjahr um 28 %. Auch die Preise für die Containerschifffahrt sind aufgrund der Umleitungen bereits spürbar in die Höhe geschnellt. Der Handel mit Raffinerien aus Indien und dem Nahen Osten nach Europa ist seit Russlands Angriff auf die Ukraine stark angestiegen, und die Umleitungen um Afrika verlängern die Fahrtzeiten um mindestens zwei Wochen. Das erhöht die Kosten und wird, eben bei einer längeren „Weile“, die Inflation wieder anschieben. Umso mehr, falls die Luftangriffe der USA und Großbritanniens eine Eskalation auslösen sollten, die die Ölproduktion und die Exportinfrastruktur direkt gefährdet. Wie verwundbar diese Anlagen sind, hat der Angriff der Houthis auf saudi-arabische Produktionsstätten im Jahr 2019 deutlich gezeigt. Die globale Referenzsorte Brent stieg seit Anfang des Jahres in der Spitze um 6,8 % an - die Anleger versuchen, die Wahrscheinlichkeit eines umfassenderen Konflikts einzuschätzen.

Gold als sicherer Hafen

Angesichts dessen bleibt Gold auch in seiner Funktion als Versicherung in unruhigen Zeiten gefragt – zusätzlich zur ungebrochenen Nachfrage vor allem der Schwellenländer und angesichts vorhandener Zinssenkungsfantasie. Zwar stürzte das gelbe Edelmetall nach seiner Jahresendrally, die es bis kurz unter die 2.100 Dollar-Marke heran führte, noch einmal um gut 4 % ab, konnte sich in der Region um 2.000 Dollar aber stabilisieren und sein Aufwärtsmomentum wieder aufnehmen. Die Anleger scheinen sich nun wieder darauf zu besinnen, das Gold dazu neigt, sich in turbulenten Zeiten gut zu entwickeln und die Risiken von unter geopolitischen Unsicherheiten volatileren Vermögenswerten auszugleichen. Unterstützend wirken zudem die Daten vom Freitag, die zeigten, dass die US-Erzeugerpreise im Dezember unerwartet gesunken waren, was die Renditen vor allem der kurzlaufenden Staatsanleihen sinken ließ. Außerdem rechnen Händler laut dem Fed Watch Tool der US-Börse CME, und entgegen den Aussagen einiger Notenbank-Beamten, immer noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 81 %, dass die Fed die Zinsen bereits im März senken könnte.

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

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