Der frühere Siemens-Chef, der auch Aufsichtsratschef von Daimler Truck ist, zeigte sich entsetzt angesichts von Berichten über eine Konferenz in Potsdam, auf der Rechtsextreme über Massendeportationen von Migranten aus Deutschland gesprochen haben sollen. „Wenn alles so stimmt, wie es berichtet wird, dann ist das ganz abscheulich“, sagte er. "Das löst bittere Erinnerungen aus und verstärkt meine Überzeugung ‚Nie wieder ist jetzt‘ muss ausgesprochen werden. Niemand darf sagen können, das habe ich nicht gewusst."
Begreiflich machen, welche Konsequenz ein Aufstieg der AfD hätte
Kaeser geht damit weiter als viele andere Top-Vertreter der Wirtschaft. Zuletzt hatten etwa die Chefs des Chip-Herstellers Infineon, des Chemiekonzerns Evonik und des Düsseldorfer Flughafens vor Rassismus und Hetze gewarnt. In den Stellungnahmen wird aber die AfD, die in Umfragen mittlerweile bundesweit bei mehr als 20 Prozent liegt, meist nicht direkt erwähnt. Jeder müsse für sich selbst entscheiden, ob er öffentlich warnen wolle, sagte Kaeser mit Hinweis darauf, dass Manager oft Leitende Angestellte eines Unternehmens seien, das ihnen nicht gehöre. „Deshalb haben eigentümergeführte Unternehmen meistens mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft“, sagte er.
“Aber führende Manager großer und global agierender Unternehmen haben meines Erachtens die Pflicht, auf die Zusammenhänge zwischen Wohlstand, Wirtschaft, Wachstum und internationaler Zusammenarbeit hinzuweisen und sie den Menschen verständlich zu erklären“, betonte er. Man müsse begreiflich machen, welche Konsequenz ein Aufstieg der AfD hätte. „Da sind wir alle gefordert – besonders die Manager, die diese wirtschaftlichen Zusammenhänge kennen“, fügte Kaeser hinzu. Es gebe eine Verantwortung der Führungskräfte.
Austritt aus EU würde deutsche Produkte überall in der Welt verteuern
Denn die Erfolgsformel des Wohlstands in Deutschland seien Exporte und der EU-Binnenmarkt. Viele kleine und mittlere Unternehmen seien als Zulieferer für die großen Exporteure erfolgreich. Der in der AfD, aber auch in der Sahra-Wagenknecht-Partei BSW diskutierte Austritt aus der EU oder gar die von Einigen angestrebte Wiedereinführung der D-Mark würden deutsche Produkte überall in der Welt verteuern und damit weniger wettbewerbsfähig machen, warnte Kaeser. Im Gegenzug würde Deutschland von billigen Auslandsprodukten überschwemmt. Die AfD schreibt in ihrem Programm zur Europawahl, dass die EU und der Euro gescheitert seien und legt eine Auflösung sowohl der Union als auch des Währungsverbundes nahe.
Kaeser warf der AfD vor, mit ihren Zielen auch den deutschen Landwirten zu schaden. „Wer sich nicht eindeutig zu der EU bekennt, gefährdet, dass Landwirte von den EU-Fördertöpfen profitieren können“, sagte er mit Hinweis darauf, dass die Bauern einen Großteil der Agrarsubventionen aus dem EU-Haushalt erhalten.
Schaden für die Marke „Made in Germany“
Der Aufsichtsratschef warnte zudem vor einem enormen Imageschaden für die Marke „Made in Germany“ durch AfD-Wahlerfolge. „Unsere Kunden und Investoren außerhalb Deutschlands beobachten sehr genau, ob Deutschland wieder sein hässliches nationales Gesicht zeigt und sich in der freien Welt isoliert“, sagte Kaeser.
Der 66-Jährige hatte bereits vor Jahren die AfD und deren heutige Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel kritisiert. So hatte er in einem Tweet am 16. Mai 2018 geschrieben: „Lieber Kopftuchmädel als Bund deutscher Mädel“. Kaeser hatte damals hinzugefügt, dass Alice Weidel mit ihrem Nationalismus dem Ansehen Deutschlands in der Welt schade.
Kaeser hatte sich in den vergangenen Jahren mehrfach zu politischen Themen geäußert und sich bei der Bundestagswahl 2021 für die Wahl der Grünen ausgesprochen. Er wandte sich in dem Interview zugleich gegen ein Verbot der AfD. „Man würde wohl nur einen Täter zum Opfer stilisieren“, warnte er. Besonders unglücklich sei, wenn führende Politiker der Ampel-Koalition ein Verbot forderten. „Es wäre besser, wenn man diese Energie für bessere Politik für unsere Bürgerinnen und Bürger einsetzen würde“, sagte Kaeser. (Reuters)