Ein gängiger Investment-Ratschlag lautet, Aktien und Anleihen miteinander zu kombinieren und den Aktienanteil mit zunehmendem Lebensalter zu verringern. Typisch ist etwa das 60/40-Portfolio aus 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen.
Doch US-Forscher stellen diesen Ratschlag in einer neuen Studie infrage. Demnach fahren Privatanleger besser, wenn sie über das gesamte Leben hinweg einzig in Aktien investieren. Ein Portfolio zu je 50 Prozent US-Aktien und globale Aktien hätte 32 Prozent mehr Vermögen aufgebaut als ein klassisches 60/40-Portfolio, wie Bloomberg über die Studie berichtet.
Die Entnahmen und somit der Konsum im Alter wären nach den Ergebnissen höher. Außerdem sei die Wahrscheinlichkeit geringer, dass das Geld nicht bis ans Lebensende reiche. Das Erbe an die Nachfahren sei größer.
100 Prozent Aktienquote: Experten sind skeptisch
Die Forscher nutzten nach eigener Aussage einen breiteren Datensatz als vorherige Studien. Grundlage waren Finanzmarktdaten für 38 Länder und einen Zeitraum von fast 130 Jahren. Aus diesen Daten zogen die Forscher mehr als eine Million Zufallsstichproben, um zu ermitteln, welche Anlagestrategie die beste Aussicht auf Erfolg hat.
Andere Experten raten gleichwohl nicht pauschal zu 100 Prozent Aktien. Etwa hält der Finanzprofessor Hartmut Walz die Strategie vor allem für junge, nervenstarke Anleger geeignet, die hohe Verluste aussitzen und psychisch ertragen könnten.
„Das eine ist, theoretisch über Verluste zu reden; das andere ist, diese zu spüren“, erklärte Walz kürzlich in einem Youtube-Interview. Unerfahrene Anleger, die starke Kursrückgänge noch nie erlebt hätten, unterschätzten möglicherweise den psychischen Druck durch Kursverluste.
Außerdem könnten Anleger andere Ziele als die Altersvorsorge verfolgen, etwa den Kauf einer Immobilie. „Was passiert, wenn ich mal einen Schicksalsschlag habe und ich möchte da ran – also das bitte ich zu bedenken“, sagte Walz.
Historisch gesehen waren Aktien die rentabelste Anlageklasse. Laut dem Global Investment Returns Yearbook 2023 rentierten sie mit 5 Prozent pro Jahr zwischen 1900 und 2022 (nach Abzug der Inflation). Die Forscher untersuchten Aktienrenditen aus 35 Industrie- und Schwellenländern. In jedem Land rentierten Aktien besser als Anleihen. Letztere warfen im Schnitt bloß 1,7 Prozent pro Jahr nach Inflation ab.
Chancen und Risiken von 100 Prozent Aktien
Aktien haben auch Risiken. Etwa gab es historisch gesehen lange Zeiträume, in denen sie nicht besser rentierten als Anleihen. Das ergab jüngst eine Studie des kalifornischen Kapitalmarktforschers Edward F. McQuarrie. Er untersuchte die Rendite von US-Aktien und -Anleihen seit dem Jahr 1792.
Demnach war die Wertentwicklung beider Anlageklassen im 19. Jahrhundert nahezu gleich. Erst im 20. Jahrhundert entwickelten sich US-Aktien deutlich besser. Die hohe Outperformance von US-Aktien im 20. Jahrhundert lasse sich daher nicht generalisieren, schreibt McQuarrie. „Zeiten der Anlagenklasse-Outperformance kommen und gehen; manchmal gibt es eine Aktien-Überrendite, manchmal nicht.“
Auch laut dem Global Investment Returns Yearbook konnte es in den 123 Jahren zwischen 1900 und 2022 durchaus lange dauern, bis Anleger mit Aktien mindestens die Inflation ausgleichen konnten. Am längsten hätten österreichische Anleger warten müssen (98 Jahre). Am kürzesten war der Zeitraum in Kanada und Dänemark (15 Jahre).
Ein breit gestreutes Portfolio aus deutschen Aktien wäre 55 Jahre im Minus gewesen – von 1913 bis Ende der Sechziger. Selbst bei einem Weltportfolio über 22 Industrieländer, für die ein durchgehender Datensatz von 1900 bis 2022 vorlag, betrug der Zeitraum 22 Jahre.
Ein Portfolio aus 100 Prozent Aktien kann zudem dramatisch einbrechen. Der maximale inflationsbereinigte Verlust lag für britische Aktien bei über 70 Prozent und für US-Aktien bei fast 80 Prozent. Ein 60/40-Portfolio aus US-Aktien hätte hingegen seit 1900 nie mehr als 50 Prozent verloren und erholte sich deutlich rascher als ein reines US-Aktienportfolio, heißt es im Yearbook.
Wie können Anleger Kursschwankungen reduzieren?
Wem die Kursschwankungen zu intensiv sind, kann wenig volatile Anlagen beimischen. Etwa bieten sich ETFs mit kurzlaufenden Bundesanleihen an, die eine Restlaufzeit von maximal einem Jahr haben. Diese sogenannten Geldmarkt-ETFs schwanken kaum im Kurs, wenn die EZB die Zinsen erhöhen sollte, und die Ausfallwahrscheinlichkeit ist bei deutschen Staatsanleihen vergleichsweise gering (Top-Rating von AAA).
In Deutschland sind nach DWN-Recherchen drei ETFs verfügbar, die in Bundesanleihen mit einer maximalen Restlaufzeit von einem Jahr investieren, mindestens 100 Million Euro Fondsvermögen aufweisen und die Anleihen tatsächlich kaufen (physische Replikation).
Es handelt sich um einen ETF der Fondsgesellschaft ishares (Ausschütter, TER von 0,13%, ISIN: DE000A0Q4RZ9), einen ETF der Sparkassen-Tochter Deka (Ausschütter, TER von 0,12%, ISIN: DE000ETFL227) und einen ETF von xtrackers (Thesaurierer, TER von 0,07%, ISIN: LU2641054551).
Eine weitere Alternative ist laut Hartmut Walz Gold. Der Preis entwickle sich häufig gegenläufig zu den Aktienkursen, erklärt er im Youtube-Interview. Statistisch lasse sich daher nachweisen, dass ein Goldanteil von 5 oder 10 Prozent die Gesamtschwankung eines Portfolios reduziere. „Das genießen viele Leute“, sagt Walz.