Die Kundengruppe der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zeichnet sich nicht nur durch eine bemerkenswerte Heterogenität der Geschäftsmodelle, Unternehmensgrößen und finanziellen Bedürfnisse aus, sondern auch durch eine auffällige Abwesenheit im Produktportfolio traditioneller Banken. Dies ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass nach Angaben des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) 99,3 Prozent aller Unternehmen in Deutschland zum Mittelstand zählen, die Hälfte aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stellen und für knapp 50 Prozent der gesamten Nettowertschöpfung in Deutschland verantwortlich sind.
Ein bekanntes Sprichwort unter Bankern lautet bekanntlich: Kredit bekommt nur derjenige, der es eigentlich gar nicht braucht. Das sind vor allem Konzerne, die sich auch relativ einfach über den Kapitalmarkt (Anleihen, Aktien) finanzieren können. Für den Mittelständler oder Solo-Selbstständigen geben Banken hingegen nur selten Kredite - und dann auch nur gegen gute Sicherheiten. Die obige Banker-Weisheit unterstreicht ein größeres Problem - das klassische Bankgeschäft ist nicht auf KMUs ausgerichtet.
Ein „One Size Fits All“-Ansatz funktioniert nicht
Ob der Malermeister um die Ecke oder der Maschinenbauer am anderen Ende der Stadt - kein Segment der Wirtschaft ist so vielfältig und heterogen wie der deutsche Mittelstand. Diese Diversität stellt Banken vor eine erhebliche Herausforderung. Mit der Folge, dass sich der Mittelstand in einer Sandwichposition zwischen dem Retail-Mengengeschäft einerseits und der individuellen Betreuung von Großunternehmen andererseits befindet. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob diese Diskrepanz nicht ein breites Anwendungsfeld für Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet, um Lösungen für die Herausforderungen des Mittelstands zu entwickeln.
Die Londoner Kreditplattform „Iwoca“, die seit 2015 auch auf dem deutschen Kreditmarkt für kleine und mittlere Unternehmen aktiv ist, liefert aktuelle Daten, die die finanziellen Herausforderungen des Mittelstands unterstreichen. Demnach befürchten fast 90 Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen in Deutschland Liquiditätsengpässe und benennen den Zugang zu Finanzierungen über ihre Hausbank als ihr dringendstes Problem.
Diese Situation verdeutlicht zwei wesentliche Punkte. Zum einen zeigt sich, dass traditionelle Banken bei der Kreditvergabe an KMU nach wie vor restriktiv agieren. Zum anderen macht die Vielfalt der Geschäftsmodelle, Unternehmensgrößen und Finanzierungsbedürfnisse im deutschen Mittelstand deutlich, dass ein „one size fits all“-Ansatz für das gesamte Segment nicht praktikabel ist.
„Das wird er auch niemals sein“, sagt Paul Weber, Gründer und Geschäftsführer der Deutschen Firmenkredit Partner (DFKP). Seit 2019 begleitet sein Team Mittelständler bei der Suche nach der passenden Finanzierung. Derzeit gehören rund 150 Banken, Sparkassen und Spezialfinanzierer dem DFKP-Netzwerk an, das allein im Jahr 2023 mehr als 223 Millionen Euro erfolgreich an kleine und mittlere Unternehmen vermitteln konnte.
„Rahmenbedingungen, Angebote und Zinsen ändern sich schnell, was Banken bei der effizienten und profitablen Betreuung von KMU vor zusätzliche Herausforderungen stellt“, so DFKP-Chef Weber, der aus einem elterlichen Druckereibetrieb kommend schon früh eine Leidenschaft für den Mittelstand entwickelt hat. Webers Fazit: „Die Zeiten, in denen Banken individuell auf die Bedürfnisse des KMU-Segments eingehen konnten, sind leider vorbei.“
„Einbindung von KMU ins Bankgeschäft seit jeher schwierig“
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Christina Bannier sieht es ähnlich. „Die Einbindung der kleineren mittelständischen Unternehmen in das Bankgeschäft erweist sich seit jeher als schwierig.“ Auf der einen Seite stehe das Unternehmen selbst mit seinen Anforderungen wie Zahlungsverkehr, Liquiditätsmanagement und Kreditbedarf, auf der anderen Seite der Unternehmer mit seinen individuellen finanziellen Bedürfnissen. „Beide Bereiche unterliegen in der Regel unterschiedlichen steuerlichen Aspekten und teilweise auch regulatorischen Anforderungen und können schnell sehr komplex werden“, erläutert Bannier. „Aus diesem Grund haben sich in der Vergangenheit meist unterschiedliche Teams von Experten getrennt um beide Bereiche gekümmert, häufig auch mit wechselnder organisatorischer Zuordnung.“
Für die Inhaberin des Lehrstuhls für Banking & Finance an der Universität Gießen sind die Bedürfnisse von Unternehmen und die der Unternehmer jedoch eng miteinander verbunden. „Für die betreuende Bank wäre es ein enormer Vorteil, wenn sie beide Betreuungsseiten und damit auch die Expertenteams zusammenbringen könnte, um ein Optimum an Betreuungsqualität für den Kunden und gleichzeitig auch die Effizienz für die Bank heben könnte. Leider gelingt dies meistens nicht.“
Wie KI die Komplexität im Mittelstands-Banking überwinden kann
Doch genau darin liegt für die Wirtschaftswissenschaftlerin das Potential von KI: „Damit wäre es möglich, diese Komplexität zu überwinden und ganz unterschiedliche Expertise zusammenzubringen, um maßgeschneiderte KMU-Produkte anbieten zu können.“ Dadurch könne ein wesentlich kleineres Team an Experten eine größere Palette von Beratungssituationen managen und effiziente Produktlösungen entwickeln. Dazu seien allerdings drei Dinge notwendig, so Bannier.
Erstens müsse das notwendige Expertenwissen kontinuierlich in das System eingespeist werden, wobei die Zusammenführung von Erfahrungen aus dem Firmenkundengeschäft und dem Private Banking entscheidend sei. Zweitens müsse die KI-Technologie sorgfältig eingesetzt werden, wobei menschliche Experten in komplexen Entscheidungssituationen unverzichtbar blieben, um die Vorschläge der KI zu bewerten und anzupassen. „Trotz der Möglichkeiten, die KI bietet, ist die Rolle des menschlichen Beraters im sensiblen Bankgeschäft unverzichtbar.“ Drittens erfordere die Integration von KI in das Bankgeschäft eine enge Abstimmung mit den Regulierungsbehörden, um Risikomanagementsysteme anzupassen und regulatorische Anforderungen proaktiv zu erfüllen, ohne die Effizienzvorteile von KI zu gefährden.
Persönliche Betreuung von KMUs ist gefragt
Doch noch ist die Realität eine andere. „De facto werden Geschäftskunden heute meist aus Call Centern betreut. Viele KMUs landen zudem in der Teambetreuung und keiner ist mehr verantwortlich. Das ist schlecht für alle Beteiligten“, kritisiert DFKP-Chef Weber. Für ihn liegt die Lösung in einem festen Ansprechpartner, der eine Beziehung zum Unternehmen aufbauen kann und den Kunden und seinen Markt versteht. „Sowas gab es bislang nur im Large Cap oder Investment Banking – wir machen das schon heute im KMU-Segment.“ Genau diese Verbindung ließe sich durch KI deutlich pushen.
Der Gründer der DFKP-Finanzierungsberatung sieht in Künstlicher Intelligenz daher eine große Chance für das Mittelstandsbanking. „Mit KI können wir die Effizienz in der individuellen Betreuung von Mittelständlern weiter steigern und den jeweiligen Unternehmen noch schneller Finanzierungslösungen anbieten, die genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.“
Für den ehemaligen Investmentbanker Weber liegt der Schlüssel der Technologie darin, genau die Herausforderungen zu meistern, vor denen Banken bei der Betreuung kleinerer Mittelständler noch immer stehen: „Mit KI kann unser Finanzierungsberater die Lücke zwischen den standardisierten Angeboten der Großbanken und den individuellen Anforderungen des Mittelstands noch besser schließen.“
Entscheidend dabei sei die Datenanalyse in diesem Prozess. „Die Herausforderung besteht darin, aus einem Meer von Daten die Informationen herauszufiltern, die es ermöglichen, den Finanzbedarf des einzelnen Mittelständlers genau zu verstehen. KI kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.“ Die Technologie unterstütze und beschleunige eine fundierte Analyse von Geschäftsmodellen, Cashflows und Finanzierungsstrukturen und optimiere damit die zielgerichtete Beratung und Produktentwicklung, so Weber. „Unser Ansatz ist schon immer, eine Brücke zwischen digitalem und persönlichem Bankerlebnis zu schlagen, KI wird hierbei ein zusätzliches wichtiges Werkzeug werden.“