Kennen Sie Oranienburg? Die kleine Kreisstadt liegt am Oberlauf der Havel nördlich der Berliner Stadtgrenze. Das Schloss Oranienburg ist bei Touristen besonders beliebt, drumherum liegt der idyllische Schlosspark. Möglicherweise haben Sie schon einmal im Zusammenhang mit dem KZ Sachsenhausen von der kleinen Stadt gehört, ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust steht in Oranienburg.
Doch deutschlandweit bekannt wurde das Städtchen erst jetzt - ganz unverhofft und vor allem ungewollt. Innerhalb einer Woche ist das kleine Oranienburg zum beschämenden Symbol für die Herausforderungen der Energiewende geworden. Die Stadtwerke hatten am 11. April die überraschten Bürgerinnen und Bürger darüber informiert, dass ab sofort keine neuen Netzanschlüsse mehr möglich seien. Wie bitte? Echt jetzt? Kein Strom mehr in Oranienburg?
Keine Wärmepumpe, keine Ladestation mehr!
Was wie eine Zeitungsente oder ein verspäteter Aprilscherz anmutet, ist in Oranienburg nun bittere Realität. Die Stadt kann keine neuen Netzanschlüsse mehr genehmigen. Keine Wärmepumpen, keine Ladestationen – nichts! In einem Land, das sich selbst gerne als Vorreiter in Sachen grüner Technologie sieht und sich als Hochtechnologieland begreift, gibt es plötzlich keine Steckdosen mehr.
Angeblich fehlen dem Hochspannungsnetz in Oranienburg Kapazitäten für neue Hausanschlüsse, die Versorgungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft, teilte Peter Grabowsky, Geschäftsführer der Stadtwerke, lapidar mit. Der Fehler liegt wohl beim Betreiber des Hochspannungsnetzes, dort waren angeblich bereits vor mehr als einem Jahr zusätzliche Kapazitäten angefragt worden. Geändert hat sich daraufhin nichts, niente, nada! Der Antrag wurde abgelehnt und ist vermutlich in irgendeiner Behörde im digitalen Papierkorb verschwunden.
Die Konsequenzen dieses Engpasses sind dramatisch. Nicht nur neue Netzanschlüsse sind betroffen, sondern auch bestehende Industrie- und Gewerbegebiete leiden unter dem Mangel an Stromkapazität. Es drohen nun sogar Produktionsausfälle, wirtschaftliche Einbußen und - nicht unwichtig - ein Rückgang der Lebensqualität. Die Situation hat ernsthafte Auswirkungen auf das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger. "Ein herber Einschnitt für den Wirtschaftsstandort", sei das laut Christian Streege vom Regionalcenter Oberhavel der Industrie- und Handelskammer (IHK). Und er geht noch weiter, eine solche Stromknappheit sei "ein Totschlagargument für den Standort" - eine bittere Erkenntnis, aber leider wahr.
Einzelfall oder drohen weitere "Blackouts"?
In einer Zeit, in der die Energiewende oberste Priorität hat, ist eine solche Fehlplanung einfach nur peinlich. Gerade jetzt müssen kommunale Behörden und Energieversorgungsunternehmen enger denn je zusammenarbeiten, um eine zuverlässige und nachhaltige Stromversorgung zu gewährleisten – erst recht, weil Energie in diesen schwierigen Zeiten ein rares und leider auch teures Gut geworden ist.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat darauf hingewiesen, dass die Netzbetreiber und Stadtwerke verpflichtet sind, eine rechtzeitige Erweiterung der Strominfrastruktur sicherzustellen. Diese Botschaft muss endlich überall ankommen, um zukünftige Engpässe zu vermeiden.
Warum das in Oranienburg anscheinend nicht geschehen ist, solle nun dringend aufgeklärt werden, sagt die Bundesnetzagentur. Sie betont gleichzeitig, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Aber Einzelfall hin oder her, für die Oranienburger gehen erst einmal (im übertragenen Sinne) die Lichter aus – peinlich und inakzeptabel. Noch ist es nur eine Stadt, die im "Dunkeln" sitzt, aber droht so ein Engpass auch in anderen Städten und Gemeinden? Was, wenn die Stadtwerke Ihrer Gemeinde ähnlich schlecht planen? Droht dann auch bei Ihnen zuhause und vielleicht auch bei mir ein Blackout?
Zugegeben, Blackout mag in diesem konkreten Fall etwas übertrieben sein, aber manchmal stellen wir uns in Deutschland an wie in einem Entwicklungsland. Die renommierte Energieökonomin Claudia Kemfert hat absolut recht, wenn sie sagt, dass hier falsch geplant, dass der erhöhte Strombedarf viel zu spät erkannt wurde. Oranienburg sei eine wachsende Stadt, das sei kein Geheimnis, das hätten die Stadtwerke wissen müssen. Und weiter: Die Versäumnisse dort könne man nicht der Wärmewende anlasten.
Mag sein, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht die Ursache für den Stromengpass ist, aber: In einer Zeit, in der der Umgang mit Energie so wichtig ist, in der Energie so wertvoll ist und in der die Energiewende gelingen soll, werden leider immer noch zu viele Anfängerfehler gemacht! Die Begeisterung für den Ausbau von Windkraft, Solarstrom und Co. wird nicht größer, wenn die Menschen in diesem Land sich um die alltägliche Stromversorgung sorgen müssen.
Eine gute Nachricht - mit Haken
Liebe Leserinnen und Leser, das darf in einem Hochtechnologieland, das wir bleiben wollen, und in einem Industrieland mit großem Energiedurst, das wir sind, nicht passieren. Insgesamt muss der Engpass in Oranienburg ein Weckruf für die gesamte Politik sein. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Infrastruktur der steigenden Nachfrage gewachsen ist. Viele Jahre lang wurden der Ausbau des Schienennetzes, flächendeckender Mobilfunk und eine nachhaltige Energieversorgung in unserem Land vernachlässigt. Die unzureichende Stromversorgung in Oranienburg sollte uns allen Mahnung sein, Investitionen in die Zukunft Deutschlands sind dringend nötig.
Aber wissen Sie was? Es gibt auch ein wenig Hoffnung für die kleine Stadt nördlich von Berlin mit ihrem idyllischen Schlosspark. Die Stadt baut nun ein neues Umspannwerk mit größeren Kapazitäten. Dieses soll dann die wachsenden Bedarfe sicherstellen. Der Haken an der Geschichte: Dieses soll erst 2026 fertiggestellt sein. Na, herzlichen Glückwunsch!