So richtig verstehen will Angela Langwald das Schreiben noch nicht, das ihrer Wohnungsbaugenossenschaft jüngst ins Haus flatterte. Sechs Millionen Euro waren für die Sanierung von 150 Wohnungen in Gera eingeplant. Ein Außenaufzug, Südbalkons, moderne Grundrisse, solche Dinge. Doch seit Anfang des Jahres stehen die beiden Häuser in der thüringischen Stadt unter Denkmalschutz. Eines davon sei ein Rundbau, das sei noch eher verständlich, so die Chefin der Genossenschaft. Aber das angrenzende Haus? „Das ist eine typisch graue Waschbetonplatte. Wir wollten sie eigentlich anmalen. Aber jetzt bleibt sie so."
Alleine zwischen 1970 und 1990 sind auf dem Gebiet der ehemaligen DDR laut Statistischem Bundesamt 1,9 Millionen Wohnungen neu gebaut worden. Der Großteil davon in typisierter Plattenbauweise in großen Wohnsiedlungen an den Stadträndern. Die Platte erfreute sich damals großer Beliebtheit. Heute sind viele Wohnungen nicht mehr auf der Höhe der Zeit und - wenn nicht schon passiert - sanierungsbedürftig. Für Denkmalschützer bedeutet das auch: Der Originalbestand, der auch Zeugnis der DDR-Alltagskultur ist, droht zu verschwinden.
In den vergangenen Jahren sind daher immer wieder Wohnkomplexe oder Gebäude in Plattenbauweise unter Denkmalschutz gestellt worden: in Rostock etwa ein Terrassenhaus im Stadtteil Evershagen, eine Hochhaussiedlung in Neubrandenburg, ein Eckhaus in Bernau bei Berlin oder ein Wohnhaus im Dresdner Stadtteil Gorbitz. Im vergangenen Sommer kamen Teile der in den 1960er-Jahren geplanten sozialistischen Großstadt Halle-Neustadt hinzu. Im Februar 2024 folgte dort ein weiterer Wohnblock.
Kampf um „die letzten Exemplare"
Dass industrialisierte Alltagsarchitektur aus DDR-Zeiten unter Denkmalschutz gestellt wird, ist zwar kein neues Phänomen, wie der Bauhistoriker Mark Escherich erklärt. Der zweite Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee in Berlin sei etwa schon 1990 - damals noch auf DDR-Initiative - als Ensemble unter Schutz gestellt worden. Nach der Wende hätten sich die Denkmalschützer aber zunächst auf die Rettung der Altstädte fokussiert. Lange Zeit seien nur ikonische Bauwerke aus der Nachkriegszeit in die Denkmallisten eingetragen worden.
Die universitäre Szene habe schon früh gefordert, die Bestände systematisch zu erfassen und eine Art „Arche-Noah-Besatzung" zu erhalten, die ein repräsentatives Bild der DDR-Alltagskultur widerspiegelt. „Aber damit waren wir die jungen Wilden. Richtig gegriffen hat das lange Zeit nicht", sagt Escherich, der seit 2021 auch die Denkmalschutzbehörde in Erfurt leitet. Inzwischen sei aber eine Verknappung eingetreten, immer weniger Objekte seien noch im Originalzustand. „Jetzt geht es um die letzten Exemplare."
Höhere Akzeptanz und „Ostalgie"
Ähnliches berichtet sein Kollege Klaus Jestaedt vom Amt für Denkmalpflege in Leipzig: „Es ist schon deutlich geschrumpft, was überhaupt noch als DDR-Platte erkenntlich ist. Was nicht übersaniert wurde, keine neuen Dächer, Wärmedämmung oder Anstriche bekommen hat." Lange Zeit seien die Großplattensiedlungen ab den 1970er-Jahren nicht im Fokus der Denkmalpflege gestanden. Vor 30 Jahren sei es noch undenkbar gewesen, solche Bauten unter Schutz zu stellen. Heute sei die Akzeptanz aber deutlich höher: „Das hat auch etwas mit Ostalgie zu tun und damit, dass DDR-Themen gerade ein bisschen gehypt sind."
Von dieser steigenden Akzeptanz berichten auch Landesdenkmalämter: In Berlin hätten sich etwa Bürgerinitiativen und Nachbarschaftsvereine gegründet, um sich beim Erhalt ihres Wohnumfeldes einzubringen, so das dortige Amt. Auch das Thüringer Landesdenkmalamt berichtet von positiven Rückmeldungen, „dass endlich die bauliche und architektonische Leistung der Bürger der ehemaligen DDR eine entsprechende Wertschätzung erfährt und differenzierter betrachtet wird". Es gebe aber auch kritische Stimmen.
Energetisches Sanieren und Denkmalschutz im Konflikt
Eine solche Stimme ist Frank Emrich, der Geschäftsführer des Verbands Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Er könne verstehen, dass man historische Entwicklungen für künftige Generationen sichtbar machen wolle. „Es gibt auch Fassadengestaltungen, die das wirklich wert sind." Ein Beispiel sei eine Giebelfassade mit einer aufgehenden Sonne in Gera. Insgesamt stünden etwa fünf Prozent der 265.000 Wohnungen, für die der Verband steht, unter Denkmalschutz.
Aber er beobachte mit Sorge, dass der Denkmalschutz nun vermehrt große Wohnblöcke in den Blick nehme. „Das ist eine neuere Entwicklung. Und das findet in der Regel dann statt, wenn man irgendetwas an dem Gebäude machen will und es einen Bauantrag gibt." Emrich spricht von einem Zielkonflikt: zum einen werde Klimaneutralität gefordert, energetische Sanierungen, Wärmedämmung, Barrierefreiheit und vieles mehr. „Aber wie sollen wir das machen, wenn jetzt auch noch der Denkmalschutz kommt?" Am Ende litten auch die Mieter, wenn sie etwa höhere Heizkosten als eigentlich nötig bezahlen müssten.
Sorge vor einem „leeren Denkmal"
Denkmalpfleger Escherich möchte solche Bedenken ein Stück weit ausräumen. „Es geht in den meisten Fällen um Denkmalensembles und die groben städtebaulichen Merkmale: die Fassadenbilder, Kubaturen, Freiflächen und Gartenanlagen." Auch eine äußere Wärmedämmung sei in so einem Zusammenhang noch machbar, sofern die Außenansicht nicht zu sehr leide. In seltenen Fällen gehe es um Einzeldenkmale, bei denen auch die Innengestaltung unter Schutz steht.
Auch bei den beiden Wohnblöcken in Gera, die eigentlich saniert werden sollten, geht es laut Landesdenkmalamt vor allem um die Außenansichten. Ein Innenaufzug sei denkbar, veränderte Grundrisse - bis auf in einer Musterwohnung - auch. Den plant nun auch die Genossenschaft vor Ort. Wärmedämmung sei ohnehin kein Thema, weil die Platten noch eine gute Kerndämmung hätten, so Chefin Langwald. Aber in Städten wie Gera, wo alles andere als Wohnungsnot herrscht, gehe es auch um Wohnkomfort. Schon jetzt stehe die Hälfte der Wohnungen leer. „Wenn wir gar nichts machen, haben wir ein leeres Denkmal da stehen."