Der Deutsche träumt gerne mal vom großen Geld. Nicht umsonst erfreut sich das wöchentliche Lotto-Spiel immer noch größter Beliebtheit. Unter den Sportwetten nimmt der Fußball mit einem Anteil von rund 50 Prozent eine dominante Stellung ein. Die Bundesliga zieht als eine der führenden Fußballligen der Welt Millionen von Zuschauern an, die nicht nur die Spiele verfolgen, sondern auch Wetten darauf platzieren.
Da trifft es sich gut, dass am 14. Juni die Fußball-EM in Deutschland beginnt. Sehr zur Freude mancher Fans kann man bereits seit Wochen darauf wetten, etwa auf den Ausgang einzelner Gruppenspiele oder auf den EM-Gewinner.
Fußball-EM: Wettanbieter sehen England vorne
Bei den großen Anbietern zählt der EM-Gastgeber Deutschland derzeit zu den großen Favoriten, wie eine Auswertung des Fachportals „Wettbasis“ ergibt. Dies lässt sich anhand der Auszahlungsquote ermessen. Je höher die Quote, umso geringer wird die Sieges-Wahrscheinlichkeit des Landes eingeschätzt und umgekehrt. Deutschland wird mit einem Multiplikator zwischen 6,0 und 7,0 nur von Frankreich (4,5 bis 5,0) und England (4,0 bis 4,5) überboten.
Warum England ganz oben auf der Favoritenliste der Wettanbieter steht? Das dürfte nicht zuletzt an der mitreißenden Saison des Ex-BVB-Spielers Jude Bellingham liegen, der mittlerweile für Real Madrid antritt – und eine herausragende Saison spielte. Im restlichen Kader mangelt es auch nicht an großen Namen wie etwa Declan Rice von Arsenal London, Phil Foden von Manchester City und natürlich Kapitän Harry Kane von Bayern München. Topfavorit auf den Torschützenkönig gemäß den Quoten der Buchmacher ist übrigens der Franzose Kylian Mbappé, knapp vor Kane.
Komplexes Risikomanagement
Die Quoten der Wettanbieter sind nicht nur im Fußball ein guter Zukunftsindikator. Die Anbieter wollen schließlich Geld verdienen. Es ist davon auszugehen, dass sie mehr wissen als der leidenschaftliche Fan. Trotzdem kann es natürlich sein, dass der Spieler im Einzelfall einen Wissensvorsprung hat und diesen auszunutzen weiß.
Für jeden Buchmacher gibt es einen Grundsatz: Der Erwartungswert muss positiv sein, was gleichbedeutend mit einem negativen Erwartungswert für den Durchschnittsspieler ist. Nach welchen Wahrscheinlichkeits-Modellen der Wettanbieter operiert, ist von außen nicht ersichtlich. Im Einzelfall mag der Anbieter gegen die Masse der Spieler verlieren, aber über Tausende von Transaktionen sollte sich ein positiver Erwartungsgewinn materialisieren.
Trivial ist dieses Geschäftsmodell gewiss nicht. Es gibt unzählige Faktoren, die in die Auszahlungs-Quoten einfließen. Wenn zum Beispiel viel Geld überproportional auf eine Seite der Wette fließt, verändern sich automatisch die Quoten. Das hat zwei Gründe. Erstens erhöht sich in einem solchen Fall das Risiko, dass die Schwarmintelligenz schlauer ist als der Buchmacher und die Wahrscheinlichkeiten besser einschätzt. Zweitens, und das ist der Hauptgrund, muss der Anbieter sicherstellen, dass für ihn immer noch einen positiver Erwartungswert vorliegt. Je mehr Kunden auf eine Seite der Wette setzen, umso mehr muss der Anbieter die Auszahlungs-Quoten für Neuwetten anpassen – dadurch wird zugleich das Wetten auf die andere Seite attraktiver. Somit wird das Ungleichgewicht ausgeglichen.
Das Risikomanagement bei Sportwetten ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Es gibt keine Garantie dafür, dass „das Haus immer gewinnt“ wie man im Casino sagt. Denn im Gegensatz zu Roulette sind Sportwetten kein reines Spiel der Zufälle und festen Wahrscheinlichkeiten. Die Gegebenheiten können sich im Minutentakt ändern. Ein Spieler kann sich verletzen, das Team in eine Formschwäche kommen oder im Fall von Live-Wetten der Spielstand ganz anders gestalten als erwartet.
Die in Ansätzen objektiv messbare fußballerische Qualität einer Mannschaft kann durch Kampfgeist und emotionales Spiel des Gegners ausgeglichen werden – ganz zu schweigen vom Einfluss der Zuschauer. Heimvorteil ist ein statistisch erwiesenes Phänomen, genauso wie der Glückssträhnen-Effekt.
Große Auswahl an Sportwetten
Bei einschlägigen Anbietern wie bwin, bet-at-home, Tipico und Bet365 kann auf alles Mögliche gewettet werden – nicht nur auf Sieg, Niederlage und Unentschieden. Sehr beliebt sind sogenannte „Over/Under-Bets“. Für das Eröffnungsspiel der EM – Deutschland gegen Schottland – kann man zum Beispiel darauf setzen, dass es mehr oder weniger als 2,5 Tore geben wird. Glaubt man an ein offensives Spiel mit Toren auf beiden Seiten? Dann bietet es sich an eine „Über 2,5 Tore“-Wette (Quote zum Redaktionsschluss bei bwin: 1,68) mit „Beide Teams treffen“ (Quote: 2,30) zu kombinieren. Solche Wetten kann man auch speziell für eine Halbzeit tätigen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass dies keine Wett-Empfehlung ist, sondern lediglich ein Beispiel.
Mit der Einführung von Live-Wetten hat der Markt in den vergangenen Jahren noch einmal einen deutlichen Wandel erfahren. Die Möglichkeit, dynamisch im Spielverlauf Wetten abzuschließen, hat die Attraktivität von Sportwetten enorm gesteigert. Klassische Wetten, die vor Beginn eines Sportereignisses platziert werden, wirken im Vergleich geradezu langweilig. Mittlerweile werden deutlich mehr als die Hälfte aller Sportwetten während des Spiels platziert. Laut dem Deutschen Sportwettenverband (DSWV) liegt der Marktanteil bei 60 bis 70 Prozent.
Auf diesem Weg lässt sich bei Fußballspielen in Echtzeit beispielsweise darauf wetten, welche Mannschaft oder sogar welcher Spieler das nächste Tor schießt und wie das Endergebnis ausfällt. Für den Anbieter ist es ein Bombengeschäft, denn die Sportbegeisterten sind durch das laufende Match zusätzlich aufgeheizt und zu höheren Geldeinsätzen bereit. Zugleich wird dadurch das Risikomanagement aber noch viel kniffliger.
Die dunklen Seiten der Sportwetten: Wettbetrug und Spielsucht
Die Corona-Krise hat der rasant wachsenden Sportwetten-Industrie einen Dämpfer verpasst. Inzwischen werden wieder deutlich mehr Wetten platziert. Der Markt ist in Deutschland knapp 2 Milliarden Euro schwer. Diese Summen bleiben bei den Anbietern hängen – die Wetteinsätze und Auszahlungen liegen um ein Vielfaches höher. Sportwetten machen inzwischen grob 10 Prozent der Umsätze in der gesamten Glücksspiel-Branche aus. Während Sportwetten für viele eine unterhaltsame und spannende Ergänzung zum Fußball sind, gibt es auch Kontroversen und ethische Bedenken, die mit diesem Phänomen einhergehen.
Leider wird die Branche immer wieder von Wettskandalen heimgesucht. Im Fußball sind solche Skandale seltener als in anderen Sportarten, aber sie gibt es. Das bekannteste Beispiel in Deutschland dürfte der Skandal rund um den Zweitliga-Schiedsrichter Robert Hoyzer sein, der sich 2005 abspielte. 2009 flog eine internationale Wettbande aus Berlin auf. Laut Ermittlungen der Staatsanwalt wurden mindestens 200 Fußballspiele manipuliert, davon 32 in Deutschland. Die Wettmafia soll Spieler, Trainer und Schiedsrichter bestochen haben, um Spielausgänge zu beeinflussen. Der Fall wurde nie vollständig aufgeklärt.
Zuletzt war der Basketballprofi Jontay Porter aus der amerikanischen Spitzenliga NBA in die Schlagzeilen geraten. US-Wettanbietern war aufgefallen, dass in einem bestimmten Spiel auffällig viele und hohe Wetten auf Porter abgeschlossen wurden, so etwa „Unter 5,5 Punkte“. Porter hatte sich in dem fraglichen Spiel nach kurzer Zeit wegen einer angeblichen Augenverletzung auswechseln lassen. Eine Person, die 80.000 Dollar auf schlechte Zahlen von Porter gesetzt hatte, stand laut Untersuchungen mit dem Profi in Kontakt. Die NBA sah den Wettbetrug als erwiesen an und sperrte Porter lebenslänglich.
Bis zu einem gewissen Grad liegt es in der Hand der Wettanbieter, solche Skandale schon im Vorhinein zu verhindern. Je weniger Spezialwetten oder kuriose Über-/Unter-Wetten erlaubt sind und je weniger Live-Wetten möglich sind, umso schwieriger und unattraktiver wird der Wettbetrug. Auch sind Spiele in den unteren Ligen offensichtlich anfälliger für Manipulation als in der absoluten Spitzenklasse, wo zumindest die Spieler keinen Anreiz haben, ihre Karriere zu riskieren. Hier macht ein eingeschränktes Wettangebot weniger anfällig für Manipulationen, wobei große Wetten auf Dritt- oder Viertliga-Spiele ohnehin misstrauisch beäugt werden.
Interne Systeme sollen solche Auffälligkeiten erkennen und frühzeitig Alarm schlagen, wenn auf bestimmte Partien ungewöhnlich viele Wetten abgeschlossen werden oder die Einsätze untypisch hoch sind. Unternehmen wie „Sportradar“ haben sich komplett auf diese Form der Betrugsprävention spezialisiert. Die Buchmacher können die betroffenen Wetten dann von der Seite nehmen, bevor das Spiel überhaupt begonnen hat. Dann kann niemand mehr darauf setzen und bereits bezahlte Einsätze werden erstattet.
Ein relativ niedriges Limit – der Maximalbetrag pro Wette – ist eine besonders effektive Vorbeugungsmaßnahme gegen Betrug. Das hat auch aus moralischer Perspektive Vorteile. Verluste durch Sportwetten haben schon unzählige Existenzen ruiniert. Was Spielsucht angeht, sind Sportwetten in gewisser Hinsicht noch viel schlimmer als Automatenspiele und Roulette. Bei letzterem wissen die allermeisten Spieler, dass sie langfristig nur verlieren können. Bei Sportwetten hingegen ist es sehr viel leichter, sich die Illusion aufrechtzuerhalten, dass man gegen den Buchmacher gewinnen kann.
Glücksspielstaatsvertrag beschränkt Sportwetten
Mit der steigenden Popularität von Sportwetten verschwimmen die Grenzen zwischen der Wett-Industrie und dem Sport auf dem Platz. Wettanbieter nehmen eine immer größere Rolle als Sponsoren und Werbepartner ein und sind in den sozialen Medien dauerpräsent. In Bezug auf die jüngere Zuschauerschaft, die zum Beispiel durch die zukaufbaren Ingame-Packs im Videospiel „FIFA Ultimate Team“ schon für Glücksspiel desensibilisiert wurde, ist das durchaus problematisch.
Die Bekämpfung von Spielsucht ist eines der Hauptziele des Glücksspielstaatsvertrages. Die Regulierung von Sportwetten in Deutschland war lange Zeit ein komplexes Thema. Bis vor Kurzem gab es keine klare gesetzliche Grundlage für Online-Sportwetten, was zu einer rechtlichen Grauzone führte. Im Juli 2021 trat der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der eine einheitliche Regulierung von Online-Glücksspiel und damit auch Sportwetten in Deutschland festsetzte. Wettanbieter müssen nun eine deutsche Lizenz besitzen, die mit strengeln Regeln bezüglich Spielerschutz einhergeht. Besonders restriktiv ist das monatliche Einahlungslimit von 1.000 Euro, womit der deutsche Staat womöglich etwas über das Ziel hinausgeschossen ist.
Anbieter, die illegal operieren oder dies in der Vergangenheit taten, können unter Umständen von den Spielern auf einer Rückerstattung ihrer Verluste verklagt werden. An deutschen Gerichten laufen Tausende solcher Verfahren, wobei es eines davon aktuell bis zum Bundesgerichtshof geschafft hat. Angeklagt wird hier mit Betano ausgerechnet ein Sponsor der Fußball-EM.