Unternehmen

Freie Lehrstellen erreichen kritisches Niveau: Was Unternehmen jetzt tun müssen

Der Lehrstellenmangel verschärft sich: Demografischer Wandel und veränderte Berufspräferenzen der Generation Z führen zu einem dramatischen Rückgang der Auszubildenden. Welche effektiven Maßnahmen können die Attraktivität von freien Lehrstellen steigern?
07.05.2024 18:30
Lesezeit: 3 min
Freie Lehrstellen erreichen kritisches Niveau: Was Unternehmen jetzt tun müssen
Viele junge Menschen betrachten Ausbildungsberufe, insbesondere in Bereichen wie Handwerk oder Industrie, als weniger attraktiv (Foto: iStockphoto.com/daniromphoto). Foto: daniromphoto

Stellen Sie sich vor, eine gut etablierte Bäckerei findet plötzlich keine Lehrlinge mehr! Diese Situation ist keine bloße Vorstellung, sondern bittere Realität: Vergangenes Jahr meldeten 47-Prozent der Ausbildungsbetriebe in den Industrie- und Handelskammern (DIHK) einen beispiellosen Mangel an Auszubildenden. Ein alarmierender Trend, der branchenweit spürbar ist.

Demografischer Wandel als Herausforderung

Was sind die Gründe für die angespannte Lage? Einer der Hauptursachen ist der demografische Wandel. Die alternde Bevölkerung Deutschlands führt zu einem Rückgang junger Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten. Laut Statistischem Bundesamt wird die Zahl der 15- bis 24-Jährigen bis 2030 um weitere Millionen sinken. Unternehmen in ländlichen oder strukturschwachen Regionen spüren diese Entwicklung besonders stark.

Der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks erklärt: „Vor allem schlägt der demografische Wandel durch“. „Die Jahrgänge dünnen immer weiter aus.“ Innerhalb von 10 Jahren ist die Anzahl der Schulabgänger um 100.000 gesunken und immer mehr Beschäftigte gehen in Rente. Die Generation Z ist also zahlenmäßig zu klein, um die Lücken zu schließen.

Veränderte Berufswünsche und Bildungsziele

Junge Menschen haben heutzutage andere Karrierevorstellungen als die vorherigen Generationen. Viele streben ein Studium an und bevorzugen akademische Berufe gegenüber traditionellen Lehrberufen. Dieser Trend wird durch gesellschaftliche Werte verstärkt, die akademische Laufbahnen oft höher einschätzen als eine Ausbildung.

Dercks verweist zudem auf die „Zwischenphase nach dem Schulabschluss, in der viele junge Menschen noch nicht wissen, was sie machen sollen. Sie gehen auf Reisen, fangen ein Studium an oder bleiben erst einmal ohne Beschäftigung zuhause“.

Fehlende Attraktivität der Ausbildungsberufe

Viele Jugendliche empfinden Ausbildungsberufe, insbesondere in Branchen wie dem Handwerk oder der Industrie, zudem als weniger attraktiv. Dies liegt unter anderem an den wahrgenommenen niedrigen Einstiegsgehältern und den physischen Anforderungen einiger Berufe. Außerdem besteht eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Jugendlichen an moderne Arbeitsplätze und der tatsächlichen Situation in vielen Ausbildungsbetrieben.

Wie lässt sich die Situation am Ausbildungsmarkt verbessern?

Laut einer DIHK-Umfrage ergreifen acht von zehn Firmen gezielte Maßnahmen, um Auszubildende zu gewinnen. 61-Prozent der Betriebe erweitern ihre Praktikumsangebote, um praktische Einblicke in ihren Unternehmensalltag zu ermöglichen. Gleichzeitig verstärken 48-Prozent der Firmen ihr Angebot an Events und 26-Prozent ihre digitalen Dienstleistungen.

Zudem optimieren 16-Prozent ihre Marketingstrategien mithilfe von Ausbildungsbotschaftern und speziellen Azubiscout-Programmen, um die Vorteile der dualen Berufsausbildung hervorzuheben. Darüber hinaus sind 42-Prozent der Betriebe bereit, finanzielle Anreize wie Mobilitätszuschüsse oder Wohnunterstützung anzubieten. Um den Erwartungen der Generation Z gerecht zu werden, bieten 62-Prozent der Unternehmen eine Arbeitsumgebung mit flachen Hierarchien.

Claudia Neumann, Leiterin einer Ausbildungsabteilung, betont die Bedeutung innovativer Ansätze zur Lösung des Lehrstellenmangels: „Wir erkennen, dass traditionelle Methoden allein nicht mehr ausreichen, um die Bedürfnisse und Interessen der heutigen Jugend zu erfüllen. Daher setzen wir verstärkt auf digitale Lernplattformen und eine enge Zusammenarbeit mit Schulen und Universitäten, um ein realitätsnahes und ansprechendes Ausbildungsumfeld zu schaffen. Unser Ziel ist es, Ausbildung attraktiver zu gestalten und junge Talente nicht nur zu gewinnen, sondern sie auch langfristig für unsere Industrie zu begeistern.“

Aktion statt Reaktion: Die Rolle der Politik bei der Schaffung von Lehrstellen

Es ist außerdem entscheidend, dass die Politik die Schaffung von Ausbildungsplätzen aktiv fördert und unterstützt. Um Lehrstellen attraktiver zu gestalten, sind gezielte Maßnahmen notwendig. Diese könnten durch finanzielle Anreize für Unternehmen, die Ausbildungsplätze bereitstellen, umgesetzt werden, oder durch Fördermittel für innovative Ausbildungsprogramme.

Zudem ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Schulen, Unternehmen und staatlichen Einrichtungen erforderlich, um die Aktualität der Ausbildungsinhalte und ihre Ausrichtung auf die Arbeitsmarkterfordernisse zu gewährleisten. Solche politischen Initiativen sind essenziell, um eine nachhaltige Basis für zukünftige Fachkräfte zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken.

Der gesetzlichen Ausbildungsgarantie, die seit 2020 in Kraft ist, stehen Unternehmen skeptisch gegenüber. Diese Regelung garantiert, dass jeder junge Mensch in Deutschland das Recht auf eine Berufsausbildung hat. Trotzdem gibt es wesentlich mehr offene Ausbildungsplätze als Bewerber.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

 

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ifo-Geschäftsklima: Deutsche Unternehmen trotzen globalen Risiken
24.04.2025

Während weltweit wirtschaftliche Sorgen zunehmen, überrascht der Ifo-Index mit einem leichten Plus. Doch der Aufschwung ist fragil: Zwar...

DWN
Finanzen
Finanzen Aktive ETFs: Wie US-Finanzriesen Europa erobern und was das für Anleger heißt
24.04.2025

Amerikanische Vermögensverwalter drängen verstärkt auf den europäischen Markt für aktiv gemanagte ETFs, da hier im Vergleich zu den...

DWN
Politik
Politik Meloni wird Trumps Brücke nach Europa
24.04.2025

Giorgia Meloni etabliert sich als bevorzugte Gesprächspartnerin Donald Trumps – und verschiebt das diplomatische Gleichgewicht in Europa.

DWN
Politik
Politik Rot-Grüner Koalitionsvertrag für Hamburg steht
24.04.2025

SPD und Grüne wollen in Hamburg weiter gemeinsam regieren – trotz veränderter Mehrheitsverhältnisse. Der neue Koalitionsvertrag steht,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Warum irische Firmen im deutschen Green-Tech-Boom Milliardenwachstum anstreben
24.04.2025

Irlands Green-Tech-Firmen erobern den deutschen Markt – mit strategischem Fokus auf Energie, Infrastruktur und Digitalisierung.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Der Goldpreis fällt – Ist der Gipfel bereits überschritten?
24.04.2025

Nach einem historischen Rekordhoch hat der Goldpreis nun zum zweiten Mal in Folge deutlich nachgegeben – ein möglicher Wendepunkt am...

DWN
Politik
Politik USA und China: Handelsgespräche stehen still – Trump setzt weiter auf Eskalation
24.04.2025

Washington und Peking liefern sich einen erbitterten Handelskrieg – von Verhandlungen fehlt jede Spur. Trumps Strategie setzt weiter auf...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: Trump glaubt an Deal mit Moskau – und kritisiert Selenskyj
24.04.2025

Donald Trump sieht eine Einigung mit Russland zum Greifen nah – und gibt Präsident Selenskyj die Schuld an der Fortdauer des Krieges....