Unternehmen

IHK-Tag 2024 in Berlin: „Dimension des Fachkräftemangels wird noch immer unterschätzt“

Beim IHK-Tag 2024 warnt DIHK-Präsident Peter Adrian vor den Folgen des Fachkräftemangels für Deutschlands Wirtschaft. Es gibt gleichzeitig wichtige Kapazitäten.
15.05.2024 08:15
Aktualisiert: 15.05.2024 09:30
Lesezeit: 2 min
IHK-Tag 2024 in Berlin: „Dimension des Fachkräftemangels wird noch immer unterschätzt“
Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK): „Wir haben in Deutschland noch so viele Potenziale, die wir nutzen können“ (Foto: dpa). Foto: Michael Kappeler

Deutschland befindet sich wirtschaftlich in einer Krise. Gleichzeitig sind mehr als 1,5 Millionen Stellen unbesetzt. Das will der IHK-Tag 2024 in Berlin deutlich machen, wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) mitteilt. „Die Dimension dieser Herausforderung wird noch immer unterschätzt. Sie birgt – ebenso wie das Thema Energie – eine große Gefahr für unsere Unternehmen“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian bei der Vorstellung eines Potenzial-Katalogs zur Verbesserung der Situation.

„Diese Lücke wird immer größer und bedroht ganz konkret unseren Wohlstand“, warnte Adrian. Er betonte, dass selbst wenn nur eine Million Stellen unbesetzt bleiben, der deutschen Volkswirtschaft Jahr für Jahr rund 50 Milliarden Euro an Wertschöpfung verloren gehen würden.

Der IHK-Tag 2024 findet diesen Mittwoch in Berlin statt. Zu den Teilnehmern gehören auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Ziel der Veranstaltung ist es, Unternehmen, Fachleute aus den IHKs sowie Experten mit Vertretern aus der Politik zusammenzubringen, um Zukunftsfragen zu diskutieren. Dabei stehen praxistaugliche Strategien zur Fachkräftesicherung im Mittelpunkt. „Wir setzen deshalb auf eine gemeinsame Kraftanstrengung. Denn klar ist: Ohne Fachkräfte keine Wirtschaft“, so Adrian weiter.

Potenziale sind bislang nicht ausgeschöpft

Der Austausch mit der Politik ist dabei essenziell. „Wir wollen die Politik auf allen Ebenen mit ins Boot holen“, erklärte Adrian. „Es gilt, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und Probleme aus dem Weg zu räumen – im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft.“

Der Präsident der DIHK wies auf die Notwendigkeit hin, alle Potenziale zu nutzen: „Wir haben in Deutschland noch so viele Potenziale, die wir nutzen können.“ Dies beginne bei einer besseren Berufsorientierung für junge Menschen und reiche bis zur Integration von Migranten und der Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand für Ältere. „Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir alle Register ziehen“, forderte Adrian.

Mobilisierung der Fachkräfte

Laut DIHK gibt es mehrere Potenziale zur Mobilisierung von Fachkräften: Die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren motiviert jährlich bis zu 270.000 Fachkräfte, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Flexible Angebote zur Weiterarbeit statt Anreize zum Aufhören seien notwendig. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) könnte die Erwerbsbeteiligung Älterer bis 2035 um 2,4 Millionen höher liegen.

Jährlich werden im IHK-Bereich etwa 60.000 Prüfungen in der Höheren Berufsbildung abgelegt. Ein Zuwachs von nur zehn Prozent würde zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von etwa einer Milliarde Euro führen. Obwohl 60 Prozent der 18- bis 64-Jährigen an Weiterbildung teilnehmen, liegt die Beteiligung bei Arbeitslosen nur bei 34 Prozent. Ein Anstieg dieses Anteils um 20 Prozent könnte ein zusätzliches Potenzial von knapp 200.000 besser qualifizierten Personen erschließen.

Deutschlands Wochenarbeitszeit liegt unter dem EU-Durchschnitt. Eine Erhöhung der Teilzeitarbeit um 2,5 Stunden pro Woche könnte etwa 1,2 Millionen zusätzlichen Vollzeitstellen entsprechen. Durch Weiterbildung sowie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung bestehen neue Möglichkeiten. Eine Verdoppelung der Produktivitätssteigerung würde etwa 450.000 Fachkräfte zusätzlich für neue Aufgaben bereitstellen.

Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund

Auch die Erwerbsmigration aus Drittstaaten könnte durch eine bessere Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes gesteigert werden. Ziel ist es, die Zahl der Erwerbsmigranten auf 100.000 zu erhöhen. Trotz Fortschritten liegt die Beschäftigungsquote von Menschen ohne deutschen Pass deutlich unter der der Deutschen. Maßnahmen zur Integration und Qualifikation könnten etwa 500.000 zusätzliche Beschäftigte mobilisieren.

Die Partizipationsquote bei Frauen mit Migrationshintergrund liegt bis zu 20 Prozentpunkte unter der von deutschen Frauen. Eine bessere Integration könnte das Erwerbspersonenpotenzial um mehrere hunderttausend Arbeitskräfte erhöhen. Durch eine praxisorientierte Berufsorientierung und den Ausbau von Konfliktbewältigungshilfen könnten laut DIHK etwa 40.000 reale Vertragslösungen vermieden werden. Eine bessere Berufsorientierung und ein verstärktes Ausbildungsmarketing könnten schätzungsweise knapp 50.000 junge Menschen zusätzlich den Weg in eine Ausbildung ebnen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Farhad Salmanian

Zum Autor:

Farhad Salmanian arbeitet bei den DWN als Online-Redakteur. Er widmet sich den Ressorts Politik und Wirtschaft Deutschlands sowie der EU. Er war bereits unter anderem für die Sender BBC und Radio Free Europe tätig und bringt mehrsprachige Rundfunkexpertise sowie vertiefte Kenntnisse in Analyse, Medienbeobachtung und Recherche mit.

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Start-up WeSort.AI: Wie künstliche Intelligenz die Mülltrennung revolutioniert
16.05.2025

Die Müllberge wachsen von Jahr zu Jahr, bis 2050 sollen es fast siebzig Prozent mehr Abfall sein. Die Brüder Johannes und Nathanael Laier...

DWN
Politik
Politik Zentralplanerisches Scheitern: Lukaschenkos Preiskontrolle lässt Kartoffeln verschwinden
16.05.2025

Die belarussische Regierung hat mit rigider Preiskontrolle einen der elementarsten Versorgungsbereiche des Landes destabilisiert....

DWN
Finanzen
Finanzen Philipp Vorndran: „Kaufen Sie Immobilien, Gold – und streuen Sie Ihr Vermögen global“
16.05.2025

Anleger müssen umdenken: Investitionsstratege Philipp Vorndran warnt im Gespräch mit Peter Frankl vor einem Kollaps des alten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen VW-Kleinaktionäre drängen auf Rückzug von VW-Chef Blume bei Porsche
16.05.2025

VW-Chef Blume steht zunehmend unter Druck: Kritik aus den eigenen Reihen bringt seine Doppelrolle ins Wanken. Wie lange kann er sich noch...

DWN
Finanzen
Finanzen Was sind alternative Investments? Whisky, Windpark, Private Equity – wie Sie abseits der Börse Rendite machen
16.05.2025

Alternative Investments gelten als Baustein für resiliente Portfolios. Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Anlageklasse? Warum sie...

DWN
Politik
Politik Dobrindt: Grenzkontrollen markieren den Beginn eines Kurswechsels
16.05.2025

Innenminister Dobrindt setzt auf strengere Maßnahmen und schärfere Grenzkontrollen – ein klarer Kurswechsel in der Migrationspolitik....

DWN
Politik
Politik Grüne kritisieren Wadephuls Aussage zu Verteidigungsausgaben als "naiv"
16.05.2025

Verteidigungsausgaben sollen auf fünf Prozent steigen – ein Vorschlag, der Deutschland spaltet. Doch wie realistisch ist dieses Ziel?...

DWN
Politik
Politik Merz warnt vor Wiederbelebung von Nordstream 2 – Geheimgespräche zwischen USA und Russland
16.05.2025

Geheimgespräche zwischen Washington und Moskau über Nordstream 2 alarmieren Berlin. CDU-Chef Friedrich Merz warnt vor einer...