Politik

Staatsakt: Steinmeier erwartet "härtere Jahre" - werden Bewährung bestehen

Mehr politische Prominenz geht kaum: Zur Feier des Grundgesetzes versammelt sich die Spitze des Staates. Der Bundespräsident beschwört das Zusammenstehen der Demokraten. Gänsehaut-Momente gibt es auch.
23.05.2024 22:42
Aktualisiert: 23.05.2024 22:42
Lesezeit: 3 min
Staatsakt: Steinmeier erwartet "härtere Jahre" - werden Bewährung bestehen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach seiner Rede beim Staatsakt zwischen (l-r), Britta Ernst, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Elke Büdenbender, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD). (Foto: dpa) Foto: Michael Kappeler

Zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Menschen in Deutschland auf schwierigere Zeiten eingestellt und zugleich ihren Willen zur Selbstbehauptung beschworen. Bei einem Staatsakt in Berlin rief er am Donnerstag dazu auf, die Errungenschaften von Freiheit und Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. „Unsere Demokratie ist wehrhaft. Wer heute unsere liberale Demokratie bekämpft, muss wissen, dass er es dieses Mal mit einer kämpferischen Demokratie und mit kämpferischen Demokratinnen und Demokraten zu tun hat“, sagte Steinmeier

Ein Land in einer Zeit der Bewährung

Der Bundespräsident betonte: „Für mich steht fest: Wir leben in einer Zeit der Bewährung. Es kommen raue, auch härtere Jahre auf uns zu. Die Antwort darauf können und dürfen nicht Kleinmut oder Selbstzweifel sein.“ Falsch wäre es auch, von einer bequemeren Vergangenheit zu träumen oder täglich den Untergang des Landes zu beschwören. Dies lähme nur. „Wir müssen uns jetzt behaupten – mit Realismus, mit Ehrgeiz. Das ist die Aufgabe der Zeit. Selbstbehauptung ist die Aufgabe unserer Zeit!“

Steinmeier wies in diesem Zusammenhang auf die Bedrohung durch Russland hin. Niemand wisse, wann der Machthunger von Kremlchef Wladimir Putin gestillt sei. Für ihn sei zwingend: «Wir müssen mehr tun für unsere Sicherheit. Wir müssen in unsere Verteidigung investieren. Wir müssen unser Bündnis stärken. Und wir brauchen dafür die finanziellen Mittel.» Es brauche aber auch eine starke Gesellschaft. „Eine starke Gesellschaft, die um den Wert der Freiheit weiß und die bereit ist, Bedrohungen der Freiheit entgegenzutreten, die um ihren Zusammenhalt weiß.“ Militärische Sicherheit und gesellschaftliche Widerstandskraft gehörten zusammen.

Enorme Aufgaben seien auch der Klimawandel, die soziale Sicherung und die Wirtschaftskrise. Alle diese Herausforderungen lösen aus Steinmeiers Sicht Konflikte aus. „Wir müssen uns darauf einrichten: Wir werden in den nächsten Jahren nicht weniger Streit haben, vielleicht eher mehr. Der Kampf um finanzielle Ressourcen wird härter werden, und damit natürlich auch der Streit um das, was wichtig ist.“

Aufruf zu Zusammenarbeit und Engagement

Steinmeier rief die demokratischen Parteien zur Zusammenarbeit auf, wo das gemeinsame Ganze berührt oder bedroht sei. „Die Gemeinsamkeit der Demokraten - sie ist gefragt, wenn die Demokratie angefochten ist.“ Zugleich verbreitete Steinmeier Zuversicht: „Ich bin fest überzeugt: Wir werden diese Zeit der Bewährung bestehen.“

Der Bundespräsident machte deutlich, dass er jetzt nicht nur die politisch Verantwortlichen in der Pflicht sieht. „Was wir jetzt brauchen, sind Bürgerinnen und Bürger, die nicht sagen `Was kümmert mich das?´, sondern die sagen `Ich kümmere mich´.“ Davon gebe es viele Millionen in unserem Land.

Gesamte Staatsspitze beim Staatsakt

An dem Staatsakt im Freien zwischen Reichstag und Kanzleramt nahmen die Spitzen der fünf Verfassungsorgane teil. Neben dem Bundespräsidenten sind dies die Präsidentinnen und Präsidenten von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht - Bärbel Bas (SPD), Manuela Schwesig (SPD) und Stephan Harbarth - sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Unter den rund 1100 Gästen waren auch die früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) sowie Altbundespräsident Joachim Gauck. Für die Sicherheit und Verkehrsführung sorgten rund 1000 Polizistinnen und Polizisten.

Steinmeier wurde während seiner Rede immer wieder von Beifall unterbrochen. Im Anschluss applaudierten ihm die Gäste des Staatsaktes stehend.

Gänsehaut-Moment mit Margot Friedländer

Steinmeier würdigte das Grundgesetz als ein „großartiges Geschenk“ für Deutschland nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. „Ich bin überzeugt: Diese Verfassung gehört zu dem Besten, was Deutschland hervorgebracht hat.“ Den zentralen Satz in Artikel 1 - „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ - nannte der Bundespräsident einen „Fixstern“. Einen Gänsehaut-Moment erlebten die Gäste, als die 102 Jahre alte Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, die dem Tod im Konzentrationslager nur knapp entronnen war, eben diesen Satz in einer eingespielten kurzen Sequenz zitierte.

Andere Prominente zitierten weitere Grundrechte, die Journalistin Jessy Wellmer zum Beispiel Artikel 5 („Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“), der in Ghana geborene Koch Nelson Müller Artikel 3 („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“) und der Unternehmer Michael Otto Artikel 14 („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“)

Erinnerung an Friedliche Revolution 1989

Steinmeier erinnerte in seiner Rede auch an die Friedliche Revolution in der DDR vor 35 Jahren, die letztlich dazu führte, dass das bis dahin nur in Westdeutschland geltende Grundgesetz zur Verfassung für ganz Deutschland wurde. „Das Grundgesetz und die Friedliche Revolution, sie haben die zweite deutsche Demokratie, oder ich sollte besser sagen, sie haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Wir feiern zusammen, weil wir zusammengehören.“

Einen dezenten Hinweis darauf, dass 1989/90 vieles nicht so gelaufen ist, wie sich das die Menschen in Ostdeutschland vorgestellt hatten, gaben Katharina Thalbach und Andreja Schneider. Sie ließen eine musikalische Zeitreise von 1949 bis 1989 mit der Kinderhymne von Bertolt Brecht ausklingen - die sich manche Ostdeutsche als neue gesamtdeutsche Nationalhymne gewünscht hätten. Vergeblich. Und so endete der Staatsakt mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“.

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