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Deindustrialisierung: Deutschlands Unternehmen sterben still

Lesezeit: 3 min
06.06.2024 16:00  Aktualisiert: 06.06.2030 16:00
Allein letztes Jahr sind 176.000 Unternehmen geschlossen worden. Doch nur ein kleiner Teil dieser Schließungen resultiert aus Insolvenzen. Die meisten Firmen geben auf – fast unbemerkt. Übrig bleiben leerstehende Gebäude, Geschäfte und ungenutzte Flächen – für wie lange weiß keiner. Zukunft ungewiss! Verantwortlich ist ein „toxischer Cocktail“, wie ein aktueller Schließungsreport belegt. Dieser Niedergang beeinträchtigt den Kern der Volkswirtschaft erheblich.
Deindustrialisierung: Deutschlands Unternehmen sterben still
Industrie in der Krise: 176.000 Firmen im Jahr 2023 aus Deutschland verschwunden. Kleine und mittelgroße Unternehmen sind besonders betroffen. (Foto: dpa)
Foto: David Ebener

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Der aktuelle Schließungsreport von Creditreform und dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) dokumentiert das fortschreitende Verschwinden der Industrie. Oft bleibt dies unbemerkt.

Laut der Untersuchung verschwanden 2023 rund 176.000 Unternehmen vom Markt. Insbesondere der Maschinenraum Deutschlands – die Industrie und die Bauwirtschaft – ist betroffen.

Doch nur elf Prozent dieser Schließungen erfolgten aufgrund von Insolvenzen! Für die Bevölkerung auffällig werden Schließungen vor allem in den Innenstädten, wenn der Herrenausstatter, der Lieblingsfriseur oder das italienische Restaurant schließt. „Verwaiste Ladenlokale und leere Schaufenster treffen die Menschen wirtschaftlich und emotional“, erläutert Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter Wirtschaftsforschung bei Creditreform.

„Leises“ Industriesterben: Unternehmensschließungen nehmen zu

Noch schwerwiegender sind jedoch die Schließungen von Baufirmen, Chemieunternehmen, Technologiedienstleistern, Maschinenbauern, Fahrzeugherstellern und Elektrotechnikbetrieben, deren Verschwinden kaum bemerkt wird. „Die Schließungen in der Industrie treffen den Kern unserer Volkswirtschaft“, so Hantzsch, der die Entwicklung als alarmierend beschreibt: „Die industrielle Basis schwindet.“ Gründe für Schließungen sind wirtschaftliche Schwierigkeiten, gescheiterte Unternehmensnachfolgen oder persönliche Gründe wie Tod, Alter oder Krankheit. Besonders wirtschaftliche Probleme treiben die aktuelle Entwicklung an. Der Bericht nennt hohe Energie- und Investitionskosten, unterbrochene Lieferketten, Personalmangel und politische Unsicherheiten als Ursachen.

Kleine und mittelgroße Unternehmen besonders betroffen

Besonders betroffen sind kleine und mittelgroße Betriebe. „Für die Wirtschaft ist das ein toxischer Cocktail“, betont Hantzsch. Während große Unternehmen in den Diskussionen um eine mögliche Deindustrialisierung im Vordergrund stehen, sterben viele kleinere Betriebe und hochspezialisierte Unternehmungen leise, jedoch mit ebenso gravierenden Folgen. „Derzeit bestimmen Turbulenzen bei prominenten und großen Unternehmen die Diskussion um eine mögliche Deindustrialisierung“, so Hantzsch. „Das leise Sterben vieler kleinerer Betriebe und hochspezialisierter Unternehmungen ist aber mindestens genauso folgenschwer.“

Im verarbeitenden Gewerbe steigen die Schließungszahlen besonders stark. 11.000 Fälle bedeuten ein Plus von 8,7 Prozent und den höchsten Stand seit 2004. Forschungsintensive Wirtschaftszweige wie die Chemie- und Pharmaindustrie, der Maschinenbau und technologieintensive Dienstleister sind besonders häufig betroffen. „Die Zahl der Schließungen in forschungsintensiven Wirtschaftszweigen steigt mit plus 12,3 Prozent deutlich stärker an als in weniger forschungsintensiven Bereichen“, heißt es in der Studie.

Domino-Effekt: Sinkende Gründungszahlen und Investitionen

Damit einhergehen auch sinkende Zahlen bei Existenzgründungen: Im Jahr 2023 waren in Deutschland geschätzt rund 329.000 Existenzgründungen zu verzeichnen. Dies waren rund 10.000 weniger als im Vorjahr (minus drei Prozent). Damit sinkt erneut die Anzahl der Gründungen gegenüber dem Vorjahr. 2022 ging die Zahl der Unternehmensgründungen um 13 Prozent zurück, im verarbeitenden Gewerk sogar um 16 Prozent. „Der Effekt ist stark, weil den Schließungen stagnierende Gründungen gegenüberstehen“, erklärt Sandra Gottschalk, Wissenschaftlerin im ZEW-Forschungsbereich Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik. „Wenn der Bestand nicht nachwächst, steigt die Zahl der Schließungen überproportional.“

Dies hat auch Auswirkungen auf Investitionen und Arbeitsplätze. Während 2017 durch neu gegründete Firmen im verarbeitenden Gewerbe noch 65.000 vollzeitäquivalente Beschäftigtenstellen entstanden, waren es zuletzt nur noch 47.000. Die Investitionsausgaben sanken in diesem Zeitraum von 1,3 Milliarden auf 873 Millionen Euro. Eine hohe Schließungsdynamik zeigt sich auch in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Während es im Baugewerbe ein Plus von 2,4 Prozent auf rund 20.000 Betriebe gibt, liegt die Aussteigerrate im Grundstücks- und Wohnungswesen bei 14 Prozent. „Der Immobiliensektor steckt in der Krise“, heißt es in der Studie. Seit 2020 steigen die Zahlen stark – sowohl bei freiwilligen Schließungen als auch bei Insolvenzen.

Besserung bei Händlern und konsumnahen Dienstleistern

Positiver sieht es bei Händlern und konsumnahen Dienstleistern aus. Zwar verzeichnet diese Gruppe weiterhin die meisten Schließungen, aber die Zahlen sind rückläufig. Im Handel verschwanden 2023 rund 37.000 Unternehmen, bei konsumnahen Dienstleistern wie Gastgewerbe, Krankenhäuser, Arztpraxen, Friseure und Reinigungen waren es etwa 51.000 Betriebe. Beide Bereiche verzeichneten einen Rückgang von jeweils knapp einem Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Das Sorgenkind ist jetzt die Industrie“, resümiert Hantzsch von Creditreform.

Wenn das Sterben der Industriebetriebe auf dem Niveau weiter geht und damit auch forschungsintensive Branchen weiter schrumpfen, könnten notwendige Innovationen ausbleiben, die wiederum Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sind. Ein toxischer Kreislauf für den deutschen Wirtschaftsstandort, der sich unter den anhaltend hohen Energiekosten fortsetzen wird – solange „Deindustrialisierungsminister“ Habeck nicht mit wirksamen Maßnahmen gegensteuert, wie durch die Wiedereinführung des Strompreisdeckels für energieintensive Unternehmen.

Für ihre Untersuchung greifen die ZEW-Ökonomen auf das Mannheimer Unternehmenspanel zu. Es basiert auf der Unternehmensdatenbank von Creditreform und ist die umfangreichste Datenbasis zur Gesamtheit der Unternehmen in Deutschland. Aufgrund des hohen Detaillierungsgrads lassen die Daten auch Einblicke in einzelne Branchen zu.

 

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


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