Politik

Die Zukunft der Energiesicherheit in Zeiten geopolitischer Instabilität

Lesezeit: 6 min
24.06.2024 15:25  Aktualisiert: 20.06.2030 11:16
Unternehmen im Bereich Energiesicherheit sind aktuell stark gefordert. Sie müssen den Klimaneutralitätsplan bis 2025 verfolgen - trotz politischer Spannungen und technischer Schwierigkeiten. Welche Lösungen sie bereitstellen und welche Trends es im Bereich Energiesicherheit gibt, erfahren Sie im Folgenden.
Die Zukunft der Energiesicherheit in Zeiten geopolitischer Instabilität
Deutschland strebt an, bis 2045 klimaneutral zu sein und sich vollständig von fossilen Energieträgern zu verabschieden (Foto: iStockphoto/undefined undefined).
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Der deutsche und der europäische Energiemarkt steht vor einer historischen Bewährungsprobe. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges 2022 hat sich die Energiepolitik grundlegend gewandelt. Der abrupte Stopp russischer Energielieferungen zwang die EU zu einer raschen Neuausrichtung ihrer Strategie, die Folge: Unsicherheiten bei Energielieferungen, hohe Kosten für energieintensive Industriezweige und nicht zuletzt wenig Spielraum wegen der Energiewende.

Welche Probleme müssen Unternehmen also aktuell meistern? Wie gehen sie im Bereich Energiesicherheit mit den geopolitischen Spannungen um? Und welche innovativen Lösungsansätze zur Risikominimierung gibt es?

Europas Energie-Alptraum: Wie der Ukraine-Krieg die EU in die Dunkelheit stürzte

Seit gefühlt Ewigkeiten wird nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa hitzig über die beste Energiestrategie diskutiert. Bereits im Jahr 2015 hat die Energieunion beschlossen, einen gemeinsamen Energiemarkt zu schaffen. Doch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war plötzlich alles anders. Die EU musste schnell handeln und sich von der billigen russischen Energie verabschieden. Plötzlich war die Union schneller von russischer Energie weg, als man „Gazprom“ sagen kann.

Dieser Krieg hat gezeigt, dass die EU im Bereich Energievielfalt nicht ganz so gut aufgestellt war, wie sie dachte. Die bisherigen energiepolitischen Maßnahmen sind an ihre Grenzen gestoßen. Bereits vor dem Krieg gab es Probleme: geopolitische Spannungen, uneinheitliche Energiepolitik und fehlende gemeinsame Klimaziele führten zu einer Energiekrise. Die EU war zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht bereit dazu, die Energieabhängigkeit von Russland zu lösen und den Stecker zu ziehen.

Inzwischen steht die EU vor einem schwierigen Spagat: Kurzfristig müssen sie an neue fossile Brennstoffe rankommen, um die Energieversorgung zu stabilisieren. Langfristig möchten sie aber eine kohlenstoffarme Wirtschaft aufbauen. Das Zauberwort heißt Dekarbonisierung.

Der REPowerEU-Plan setzt auf eine schnelle Transformation des Energiesystems, doch das erfordert auch Investitionen in fossile Infrastruktur – und das könnte die grünen Träume gefährden. Diese Probleme hat die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in einem Report „Geopolitik und Energiesicherheit in Europa. Wie geht es weiter?“ beschrieben. Die EU jongliert folglich zwischen Versorgungssicherheit und dem Wunsch, keine neuen Abhängigkeiten zu schaffen.

Die Abkehr von russischer Energie bringt auch geopolitische Folgen: Die Beziehungen zu China und den USA werden komplizierter, und es gibt einen (nicht immer gewollten) Wettbewerb um Technologien und Rohstoffe.

Übrigens läuft es in Russland und den Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) im Energiesektor ebenfalls nicht so glatt. Dort sind natürlich auch die Folgen der Aufkündigung der Partnerschaft im Energiesektor zu spüren. Im Jahr 2023 wurde beim Eurasischen Wirtschaftsforum auf drei Probleme hingewiesen:

  • die Sanktionen als Grund für die Stärkung der Energiesicherheit der EAWU-Länder;
  • die Abnutzung der Erzeugungs- und Stromnetzanlagen;
  • die Ressourcenknappheit in einigen EAWU-Ländern, wie zum Beispiel in Kirgisistan.

All you need is LOFE – lieber ohne fossile Energieträger

Laut der Deutschen Energie-Agentur (dena) stehen wir hierzulande vor der doppelten Herausforderung, die Energiesicherheit zu stärken und bis 2045 gleichzeitig klimaneutral zu werden. Die Lösung? Ein rascher Abschied von fossilen Brennstoffen könnte beide Ziele erreichbar machen und uns aus der Abhängigkeit von importierten Energieträgern befreien.

2022 war das Jahr, in dem die Energiepreise in die Höhe schossen und der Energieverbrauch trotz alledem um über 5 Prozent sank – der niedrigste Stand seit 1990. Trotzdem machten fossile Energieträger immer noch 80 Prozent des Primärenergieverbrauchs aus. Besonders Gebäude, Industrie und Verkehr scheinen ohne Erdöl und Erdgas nicht auskommen zu wollen.

Energieeffizienz ist der Schlüssel – das bedeutet weniger Verbrauch, mehr Unabhängigkeit und mehr Geld für andere Investitionen. Vielleicht für mehr Solarpaneele oder eine große Party, um den Abschied von fossilen Brennstoffen zu feiern!

Die großen Hebel, um Deutschlands Energiesicherheit zu erhöhen und gleichzeitig auf dem Weg zur Klimaneutralität voranzukommen, sind klar: Das Land braucht energieeffizientere Industrie und Verkehrsmittel, eine Wärmewende in Gebäuden, einen rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien und Innovationskraft für neue Technologien ohne Ende.

Allerdings lastet bereits großer Druck auf den Unternehmen, die für die Energiesicherheit verantwortlich sind. Deutschland strebt an, bis 2045 klimaneutral zu sein und sich vollständig von fossilen Energieträgern zu verabschieden.

Megatrends der globalen Energiewende: früher und jetzt

Der WWF hat bereits im Jahr 2022 einen Report zum Thema Megatrends der globalen Energiewende veröffentlicht und dabei sieben Haupttrends in der globalen Energiewirtschaft identifiziert:

  1. Ende der fossilen Ära: Der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas ist unerlässlich, trotz schleppender Umsetzung.
  2. Erneuerbare Energien sind die Gegenwart: Wind- und Solarenergie sind vielerorts kostengünstiger und dominieren den Ausbau neuer Stromkapazitäten.
  3. Erneuerbare Energien sind unumkehrbar: Sinkende Kosten und steigende fossile Brennstoffpreise machen Erneuerbare zur Schlüsseltechnologie.
  4. Dezentralisierung der Energie: Kleine, dezentrale Erzeugungsanlagen fördern eine gerechtere Verteilung und nutzen regionale Potenziale.
  5. Elektrifizierung der Energiewende: Erneuerbare Energien werden zum universellen Energieträger, insbesondere im Verkehr, Wärme und Industrie.
  6. Wasserstoff für spezielle Aufgaben: Grüner Wasserstoff wird in Industrien und Mobilitätssektoren eingesetzt, wo elektrische Lösungen nicht ausreichen.
  7. Digitalisierung als Schlüssel: Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind entscheidend für ein effizientes, zuverlässiges Energiesystem.

Auch Unternehmen außerhalb der Branche bestätigen, dass die Energiewelt derzeit stark von Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung geprägt ist. Laut einer aktuellen Studie des Beratungs- und IT-Dienstleisters Adesso steht die Dekarbonisierung im Zentrum der deutschen Energiewirtschaft und -politik - vor allem aufgrund des Klimawandels. Besonders betont wird die Bedeutung von kohlenstoffarmen Energielösungen wie Solar- und Windenergie sowie der zunehmenden Elektromobilität.

Die Stromwirtschaft in Deutschland erfährt einen grundlegenden Wandel hin zur Dezentralisierung. Früher wurde Energie hauptsächlich über zentrale Großkraftwerke bereitgestellt, heute jedoch speisen 90 Prozent der erneuerbaren Energien in die Verteilnetze ein.

Die Digitalisierung revolutioniert den Energiesektor durch virtuelle Kraftwerke, Smart Grids, intelligente Messsysteme und IoT-Anwendungen. Diese digitalen Lösungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Überwachung, Steuerung und Optimierung von Energieprozessen und sind unverzichtbar für eine vollständige Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen. Hier finden Sie weitere Informationen über Digitalisierungstechnologien im Energiesektor.

Intelligente Netze („Smart Grids“)

Ein „intelligentes Stromnetz“ verbindet sämtliche Akteure vom Stromerzeuger bis zum Verbraucher durch Kommunikationstechnologie. Durch Smart Grids werden moderne Messsysteme („Smart Meter“) integriert, die nicht nur den Verbrauch messen, sondern auch Netzstabilität verbessern und automatisierte Abstimmung von Erzeugung und Verbrauch ermöglichen.

Intelligente Messsysteme

Intelligente Messsysteme zielen darauf ab, die Effizienz zu steigern und eine sichere, standardisierte Kommunikation in den Energienetzen zu gewährleisten. Diese Systeme bieten zahlreiche Vorteile: Sie erhöhen die Transparenz beim Energieverbrauch, reduzieren die Notwendigkeit für manuelle Ablesungen vor Ort und ermöglichen variable Stromtarife, einschließlich dynamischer Tarifmodelle. Zudem verbessern sie die Integration dezentraler Energieerzeuger und flexibler Lasten ins Netz, erleichtern deren Steuerung und könnten langfristig sogar verschiedene Versorgungsbereiche wie Wasser, Gas und Heizwärme zusammenfassen. Als sichere Plattform dienen sie auch als Basis für zusätzliche energiefremde Dienstleistungen, wie etwa Smart-Home-Anwendungen. Langfristig sollen intelligente Messsysteme den Verbrauchern eine aktive Rolle als Prosumer ermöglichen, indem sie nicht mehr nur passiv Strom verbrauchen, sondern auch erzeugen und verkaufen können.

IoT-Anwendungen in Energiebranche

Das Internet der Dinge (IoT) verbindet physische Objekte mit dem Internet, ermöglicht Unternehmen, Energieeffizienz zu steigern und Nachhaltigkeit zu fördern. IoT-Geräte bieten Echtzeitdaten für automatisiertes Energiemanagement, optimierten Betrieb und minimierte Verschwendung, z.B. durch intelligente Beleuchtungs- und HLK-Systeme, vorausschauende Wartung und präzise Energieaudits, schreibt melita.io.

Virtuelle Kraftwerke

Virtuelle Kraftwerke verbinden verschiedene erneuerbare Energiequellen und Speicher zu einem Netzwerk, das zentral gesteuert wird, schreibt enercity. Sie optimieren die Stromerzeugung nach Bedarf und tragen zur Flexibilität und Sicherheit in der grünen Stromproduktion bei, was die Energiewende unterstützt.

Energieforschung in Deutschland: aktuelle Schwerpunkte

Die Forschungspolitik gibt auch Aufschluss über Trends im Energiesektor. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat ein neues Forschungsprogramm entwickelt, um die Energiesicherheit zu stärken. Dieses Programm konzentriert sich auf mehrere Schlüsselbereiche der angewandten Energieforschung:

  1. Entwicklung eines widerstandsfähigen und effizienten Energiesystems (Mission Energiesystem).
  2. Förderung einer klimaneutralen Wärme- und Kälteversorgung (Mission Wärmewende).
  3. Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien (Mission Stromwende).
  4. Förderung einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft (Mission Wasserstoff).
  5. Beschleunigung des Transfers von Forschungsergebnissen in die Praxis (Mission Transfer).

Ein zentrales Ziel dieser Forschungspolitik ist die Schaffung eines klimaneutralen Energiesystems durch die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien in allen Sektoren. Dies erfordert die Integration und Optimierung von Stromnetzen, Digitalisierung, Wasserstofftechnologien sowie die Verknüpfung verschiedener Sektoren.

Zusätzlich zur Umstellung auf klimaneutrale Energieträger liegt ein weiterer Fokus auf der Reduktion von CO2-Emissionen, Energiebedarf und Ressourcenverbrauch. Die angewandte Energieforschung soll dazu beitragen, Infrastrukturen, Gebäude, Wohnviertel und industrielle Prozesse energie- und ressourceneffizienter zu gestalten.

Energiewende: Unternehmen fordern mehr politische Unterstützung

Unternehmen aus anderen Branchen beteiligen sich auch daran, um das Konzept eines klimaneutralen Deutschlands in die Realität umzusetzen. Eine Umfrage im Auftrag von BayWa r.e. zeigt, dass 95 Prozent der deutschen Unternehmen bereit sind, sich aktiv an der Energiewende zu beteiligen, wie pv-magazine.de berichtet. Über 2.500 Unternehmensentscheider in Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich wurden befragt, wobei 500 Unternehmen aus Deutschland teilnahmen.

Deutsche Unternehmen sind bereits intensiv in die Umsetzung der Energiewende innerhalb ihrer eigenen Betriebe involviert. Dennoch sehen sie neben den Verbrauchern auch politische Organisationen in der Pflicht. Die Mehrheit der Unternehmensentscheider nennt nationale Regierungen (21 Prozent), internationale Organisationen (20 Prozent) sowie regionale Organisationen wie die EU (19 Prozent) als Hauptverantwortliche für die Weiterentwicklung der Energiewende.

Zusammenfassung

Der Ukraine-Krieg hat einen Wendepunkt für die EU markiert, die jahrzehntelang von russischen Energielieferungen abhängig war. Der plötzliche Entschluss, sich von fossilen Brennstoffen zu lösen, hat die Europäische Union angetrieben, ihre Energiesicherheit zu stärken und gleichzeitig ehrgeizige Klimaziele zu verfolgen. Dieser Schritt hat zu einem verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien und der Digitalisierung des Energiesektors durch intelligente Netzwerke und IoT-Technologien geführt. Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Deutschland sind dabei entscheidend, diesen Wandel voranzutreiben und setzen auf eine Zukunft ohne fossile Energieträger.

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Iana Roth ist Redakteurin bei den DWN und schreibt über Steuern, Recht und HR-Themen. Zuvor war sie als Personalsachbearbeiterin tätig. Davor arbeitete sie mehrere Jahre als Autorin für einen russischen Verlag, der Fachliteratur vor allem für Buchhalter und Juristen produziert.


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