Immobilien

Überraschung beim Zensus: So wohnt und lebt Deutschland tatsächlich

Früher hieß die Vermessung Deutschlands mal Volkszählung. Die letzte hat 2022 stattgefunden und ganz überraschende Ergebnisse zutage befördert. Für den Zensus wurden bundesweit bei Haus­ei­gen­tü­mern und Ver­wal­tern Daten zu Mieten, Leer­ständen und Ener­gie­ef­fi­zienz abge­fragt. Wie wohnen und heizen die Deutsch­en also? Die DWN haben sich den Report angesehen
27.06.2024 11:56
Lesezeit: 5 min
Überraschung beim Zensus: So wohnt und lebt Deutschland tatsächlich
Anna-Maria Toska, Erhebungsbeauftragte beim Zensus 2022: In Deutschland wurde stichprobenartig Alter, Familienstand, Wohn- und Arbeitssituation abgefragt (Foto. dpa). Foto: Daniel Karmann

Stefan Evers, CDU-Finanzsenator von Berlin, wird den Tag verfluchen, als ihm sein Team den neuen Zensus vorgelegt hat. Berlin hat demnach deutlich weniger Bürger als gemeinhin angenommen. Das reißt nicht nur ein neues Loch in die Finanzen der Bundeshauptstadt, sondern relativiert auch so manche vorläufige Fehleinschätzung.

Zum Beispiel am Wohnungsmarkt, der als hoffnungslos gilt, weil Hunderttausende von Wohnungen fehlen, wie es allenthalben heißt. Stimmt das überhaupt? Der neue Zensus hat ergeben, dass Berlin 2022 nur knapp 3,6 Millionen Einwohner hatte und damit 130.000 weniger als angenommen. Das bedeutet weniger rund 450 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich weniger - zum Leidwesen des Stadtkämmerers jedes Jahr.

Bedeutet es auch, dass auf dem Berliner Wohnungsmarkt 130.000 Wohnungen mehr existieren, als angenommen und die Mietervereine lediglich auf hohem Niveau jammern? Bausenator Christian Gäbler (SPD) wird sich das genauer anschauen müssen und neue Argumente für die Bebauung der Landebahnen auf den Tempelhofes Feld zurechtlegen.

Deutschland heizt weiterhin vornehmlich mit Öl und Gas - Wärmepumpen und Pelletöfen die Ausnahme

Doch es geht nicht allein um Berlin. Auch im Hamburg und München werden sich Politiker fragen müssen, ob ihre Annahmen auf validen Grundlagen basieren. Zum Bespiel am Mietmarkt, wofür der Zensus nun sehr detailliert Aufschluss ermöglicht. 23 Millionen Verwalter haben sinnbildlich die Hosen runter gelassen und ihre Zahlen offenbart. Sowohl Baujahr des Gebäudes als auch Wohn­fläche wurden abgefragt. Vor allem Daten zu Net­to­kalt­mieten, Leer­stand und zur Ener­gie­ef­fi­zienz. Letzteres bestätigt den Verdacht, dass Deutschland es mit der Energiewende Sicht sonderlich einstimmt: Erneu­er­bare Ener­gie­ spielt nach Angaben der Sta­tis­tiker zum Heizen von Wohn­ge­bäuden bislang nur eine unter­ge­ord­nete Rolle.

75 Prozent aller Woh­nungen in Deutsch­land wurden 2022 mit Gas (56 Prozent) oder Öl (19 Prozent) beheizt. Der Ukraine-Krieg und Robert Habecks (Grüne) missglückte Heizungs-Initiative werden diesen Befund kaum verändert haben. In Hessen, Rhein­land-Pfalz, Baden-Würt­tem­berg, Bayern und dem Saar­land wird sogar jede vierte Wohnung mit einer Ölhei­zung betrieben, heißt es i Zensus 2022. Im Osten und Norden der Republik ist der berühmte Öltank im Garten schön länger verpönt bzw. nie abgestellt worden.

Dafür glänzen Hamburg mit 35 und Berlin sogar mit 43 Prozent Fern­wärme im Bestand - weit mehr als die sonst 15 Prozent im bundesweiten Vergleich. Selbst im ländlichen Schleswig-Hol­stein und den neuen Bundesländern im Osten liegt der Anteil von Woh­nungen mit Fern­wärme-Anschluss zwi­schen 21 Prozent und 34 Prozent.

Völlig überschätzt scheinen Holzöfen zu sein. Die stehen wohl überwiegend in Försterhäuschen oder alleingelegenen Bauerngehöften herum. Nur vier Prozent der Woh­nungen werden mit Holz bzw. Pellets beheizt. Auch neumodische Anlagen für Solarstrom, Geo­thermie, Umwelt- oder Abluft­Wärme liegen mit drei Prozent in der Gunst weit hinten. Wohlgemerkt, Wärmepumpen werden nicht erst seit dem Gasschock anno 2022 in Deutschland verbaut, der Trend hatte schon 2010 wegen des Klimawandels Fahrt aufgenommen. Jede vierte Wärmepumpe ist nach 2016 verbaut worden - die Umstellung erfordert offenbar Zeit.

Blick ins Portemonnaie: Die Nettokaltmiete liegt im Lande bei durchschnittlich 7,28 Euro

Und was zahlen die Deutschen nun an Miete im Schnitt? Unter normalen Umständen nicht mehr als 7,28 Euro Net­to­kalt­miete pro Qua­drat­meter. Woh­nungen in Sachsen-Anhalt waren mit 5,38 Euro pro Qua­drat­meter am güns­tigsten. Wenn man auf die Bun­des­länder schaut, war die Net­to­kalt­miete in Hamburg mit 9,16 Euro pro Qua­drat­meter am höchsten, gefolgt von Mieten in Bayern mit 8,74 Euro, Hessen (8,21 Euro) und Baden-Würt­tem­berg (8,13 Euro).

Unter den Städten war München mit 12,89 Euro kalt die teu­erste Stadt, nach Frank­furt am Main mit 10,58 Euro, Stutt­gart mit 10,39 Euro und Hei­del­berg mit 10,02 Euro.

Bemerkenswert: Berlin liegt mit durch­schnitt­lich 7,67 Euro eher im Mit­tel­feld. Der Bausenator sollte dort nicht alles glauben, was ihm als Grundlagen auf den Tisch gelegt wird. Mietforderungen an einem überhitzten Markt müssen anders eingeordnet werden als die der Bedarf bei der Berechnung von Neubauten. In Potsdam übrigens, wo Bundesbauministerin Klara Geywiitz von der SPD beheimatet ist, sieht es auch längst nicht so dramatisch aus, wie überall befürchtet. Dort wurde im Zensus ein Mit­tel­wert von 7,85 Euro ermit­telt. Die Gro­ß­stadt mit den güns­tigsten Mieten ist Chem­nitz, wo Mieter am Stichtag (15. Mai 2022) lediglich 5,26 Euro pro Qua­drat­meter bezahlt haben.

Vor allem kommt es wohl darauf an, in was für Gebäuden die Menschen wohnen. Dass Altbauten in Berlin am Prenzlauer Berg und in Hamburg-Eppendorf (Baujahr vor 1919 liegen hier bei 11,05 Euro den Qua­drat­meter) hip sind, ist ja bekannt. Wie lausig sich Altbauten aus den 70er-Jahren im Westen Deutschlands und 80er-Platten im Osten vermieten lassen, hat man lediglich ahnen können. In Berlin kostet der Quadratmeter in der Platte m Schnitt nur 6,42 Euro pro Qua­drat­meter - das sollten Mietinteressenten (wie Eigentümer) im Hinterkopf haben. In Ge­bäuden, die seit 2016 errichtet wurden, werden derweil 12,64 Euro fällig.

Es wird gebaut, aber vor allem ist der Leerstand erheblich

Auch beim Bau zeichnet sich ein differenziertes Bild ab: Anno 2022 lag die Zahl bei insgesamt 43,1 Millionen Wohnungen in effektiv 20 Millionen Gebäuden. Im Vergleich zum Zensus anno 2011 bedeutet dies ein Plus von 2,5 Mil­lionen. Als durchschnittliche Wohnfläche konnten die Statistiker jetzt eine Größe von 94 Quadratmetern ermitteln - also drei Quadratmeter mehr als zuvor. Am stärksten stiegen die Wohn­ungsgrößen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thü­ringen. In Berlin und Hamburg erhöhte sich die Woh­nungs­größe am wenigsten - wer nicht muss, zieht dort nicht aus oder um, wenn es irgend möglich ist.

Und auch der Leerstand ist nicht ohne, worauf die DWN bereits in der Vergangenheit mehrfach in Berichten vom Immobilienmarkt berichtet haben. Mehr als 1,9 Mil­lionen Woh­nungen stehen weiterhin leer. Daran hat sich wohl auch kaum etwas verändert, weil diese Wohnungen sich zumeist am falschen Ort befinden und schon jahrelang brach liegen. Umbaumaßnahmen indessen fanden 2022 in 460.700 Wohnungen statt, was also nur zu einem vorübergehenden Leerstand am Wohnungsmarkt geführt hat.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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