Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der es fast schon zum guten Ton gehört, über zu viel Stress zu klagen. Stress gilt in unserer heutigen Gesellschaft als etwas Anerkanntes, weil er mit Ehrgeiz und Leistungswille verbunden wird. Umso schwerer fällt es Arbeitnehmern bei ihrem Arbeitgeber anzusprechen, wenn sich permanent auf der Arbeit langweilen. Und was können Arbeitgeber überhaupt tun, um das Problem zu erkennen und ihre Mitarbeiter zu unterstützen?
Boreout: Unterforderung und Langeweile auf der Arbeit
Der Begriff Boreout setzt sich aus dem englischen Ausdruck „bore“, was „Langweiler“ bedeutet, und „out“, welches übersetzt „außen“ heißt, zusammen. Konkret lässt sich, so die Begründer Rothlin und Werder in ihrem Buch „Die Boreout-Falle“, unter dieser Begrifflichkeit eine Störung verstehen, die durch Langeweile, Unterforderung und Desinteresse gekennzeichnet ist. Kurz gesagt: Boreout ist Burnout durch Unterforderung.
Betroffene Arbeitnehmer fühlen sich während der Arbeit ständig unterfordert und langweilen sich regelmäßig bei ihren Tätigkeiten. Oft haben sie nur wenig zu tun und sind dennoch müde vom Nichtstun, sie spüren Gereiztheit und Frustration. Sie haben das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, eine innere Leere stellt sich ein, schreibt K. Khan in „Der Anschein von Arbeit“. Um vor den Arbeitskollegen und den Führungskräften beschäftigt zu wirken, gibt der Arbeitnehmer, laut Rothlin und Werder, bestimmte Laute von sich, zum Beispiel zielloses Tippen einer E-Mail oder das Ausdrucken von nicht notwendigen Unterlagen. Anfallende Aufgaben werden oft schon in den ersten Arbeitsstunden erledigt, was dem Arbeitgeber aus Scham aber nicht mitgeteilt wird. Den restlichen Arbeitstag über beschäftigen sie sich häufig mit privaten Dingen.
Der Schritt, die Kündigung einzureichen, kommt für viele Betroffene, wie Psychologin Julia Scharnhorst in ihrem Buch „Psychische Belastungen am Arbeitsplatz vermeiden“ schreibt, häufig jedoch nicht infrage. Zu groß ist die Angst, in dem neuen Job nach „Zeiten des Nichtstuns“ nicht zurechtzukommen. Personen, die unter Boreout leiden, sind dabei nicht faul, sondern waren meist sogar ursprünglich motiviert und durften ihre Fähigkeiten nicht unter Beweis stellen.
Wie entsteht Boreout?
Die Ursachen für ein Boreout sind vielfältig. Laut der Diplom-Psychologin Julia Scharnhorst entstehen Langeweile, Unterforderung und Desinteresse am Arbeitsplatz in vielen Fällen durch die falsche Berufswahl. Der Betroffene hat den Beruf beispielsweise nur aufgrund des hohen Gehalts gewählt, kann sich selbst aber nicht mit den von ihm geforderten Tätigkeiten identifizieren.
Des Weiteren kann Boreout auch aufgrund der eigenen Position im Unternehmen entstehen. Dies ist möglich durch Verweigerung einer Aufstiegschance durch den Arbeitgeber. So ist der Arbeitnehmer weiterhin „gefangen“ in den Tätigkeiten, die ihn eigentlich unterfordern und ihm wenig oder sogar gar keinen Spaß machen. Auch interne Umstrukturierungen des Unternehmens können Ursache dafür sein, dass eine einst zeitfüllende Stelle auf einmal in der Praxis überflüssig ist.
Wichtig: Besonders häufig kommt Boreout in Berufen mit viel Büroarbeit und relativ freier Zeiteinteilung vor. Vor allem in einem Einzelbüro bleibt das Nichtstun oft unbemerkt.
Boreout-Symptome: Körperliche und seelische Herausforderung
Die Folgen von Boreout können vielfältig sein. Als eine mögliche Auswirkung lässt sich zunächst einmal eine höhere Krankheitsrate nennen. So begründet auch die Arbeitspsychologin Gabriele Richter im Interview mit dem PERSONALmagazin: „Hohe Fehlzeiten haben ihre Ursache meist in Unter- oder Überforderung der Mitarbeiter.“ Die Krankheitstage sind dabei nicht nur auf die psychische Belastung, sondern auch auf physische Ursachen zurückzuführen. Dazu zählen nach Gabriele Richter beispielsweise Magenprobleme und Verspannungen im Oberkörper, wie in Schultern und Nacken. Auch ist es möglich, dass sich die negative Stimmung des Betroffenen auf andere Mitarbeiter auswirkt.
Trotz aller seelischen und körperlichen Folgen, die durch Langeweile im Job entstehen können, ist das Boreout-Syndrom keine anerkannte psychische Störung oder Krankheit. Aus diesem Grund gibt es auch keine verbindliche Diagnose eines Boreout-Syndroms. Ebenso fehlen wissenschaftliche Studien zur Boreout-Behandlung. Tun lässt sich trotzdem etwas – als Betroffener und als Arbeitgeber!
Checkliste: Boreout-Warnsignale
Bevor Arbeitnehmer oder Arbeitgeber das Problem angehen können, sollte der Zustand des Betroffenen eingeordnet werden. Ist es nur Frühjahrsmüdigkeit, liegt es an der Sommerhitze oder steckt vielleicht doch ein ernsthaftes Problem dahinter?
Wie bereits geschrieben, gibt es keine echte Boreout-Diagnose. Dennoch lassen sich Indizien sammeln, wodurch ein Boreout-Risiko sich relativ zuverlässig einschätzen lässt. Beantworten Sie als Arbeitnehmer die überwiegende Zahl der folgenden Fragen mit „Ja“, ist unter Umständen eine berufliche Veränderung ratsam:
- Fühlen Sie sich bei Ihrer Arbeit unterfordert oder gelangweilt?
- Haben Sie wenig Interesse an Ihren Aufgaben?
- Vermissen Sie Wert und Sinn Ihrer Arbeit?
- Erledigen Sie im Büro oft Privates?
- Fühlen Sie sich eher unglücklich in Ihrem Job?
- Spielen Sie Ihren Kollegen häufig vor, dass in Arbeit ertrinken?
- Sind Sie nach Feierabend oft erschöpft, obwohl Sie wenig zu tun hatten?
- Könnten Sie schneller arbeiten, wenn Sie es wollten?
- Haben Sie den Wunsch, Ihren Job zu wechseln?
Boreout: Was tun? Mögliche Auswege
Wie bereits geschildert, bleibt Boreout durch die angewandten Strategien häufig lange Zeit verborgen. Selbst wenn sich Arbeitnehmer ihre Problematik eingestehen, fällt ein Gespräch mit dem Arbeitgeber doch schwer. Daher sollten Personalverantwortliche, Führungskräfte und Arbeitgeber geschult und sensibilisiert werden, damit sie eventuelle Warnsignale erkennen können. Diese können sich beim Arbeitnehmer durch auffallend häufige private Tätigkeiten, viele Krankheitstage und erhöhte Reizbarkeit äußern.
Zeigen sich diese Anzeichen, empfiehlt sich ein Gespräch mit dem Betroffenen. Hier sollten zunächst die Ursachen für das Boreout analysiert werden. Liegt die Langeweile im Job in einer Zusammenführung zweier Abteilungen begründet? Eventuell sind dann noch weitere Mitarbeiter betroffen. Passen Jobanforderungen und die Qualifikationen des Betroffenen einfach nicht zusammen? Oder sind die Aufgaben zu eintönig und standardisiert? Die Gründe für das Boreout gilt es zu identifizieren und zu bearbeiten.
Dem Mitarbeiter kann zum Beispiel ein höherer Verantwortungsbereich zugeteilt werden, indem das Tätigkeitsfeld erweitert wird. Ist das in der Stelle nicht umsetzbar, könnte über einen Stellenwechsel innerhalb des Unternehmens nachgedacht werden. Wenn nicht schon geschehen, sollten flexible Arbeitszeiten eingeführt werden. Mitarbeiter können so selbstverantwortlich arbeiten und müssen nicht „die Zeit absitzen“, bis der Arbeitstag vorüber ist. Wichtig ist es, den Arbeitnehmer „mitzunehmen“, dem Betroffenen also durchgängig mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen und die Anliegen ernst zu nehmen. Fühlt sich ein Mitarbeiter schon bei seinen Aufgaben „aufs Abstellgleis gestellt“ und hat den Eindruck, auch im Mitarbeitergespräch so behandelt zu werden, kann das Risiko einer Kündigung deutlich steigen.
Bei fehlenden Qualifikationen seitens des Arbeitgebers oder Personalverantwortlichen können auch externe professionelle (!) Coaches hinzugezogen werden. Diese können, zusammen mit dem betroffenen Mitarbeiter, die Ursachen für das Gelangweiltsein am Arbeitsplatz identifizieren und Lösungsstrategien erarbeiten. Mit Blick auf die Personalabteilung ist es laut Diplom-Psychologin Scharnhorst als Personalverantwortlicher ratsam, die eigene Personalplanung zu prüfen und zu überdenken. So ist es möglich, dass innerhalb eines Teams sowohl überforderte als auch unterforderte Menschen arbeiten. In solchen Fällen sollte die Arbeitsbelastung gleichmäßig auf die Mitarbeiter des Teams verteilt werden. Gegebenenfalls müssen die Anforderungen an Bewerber für eine Stelle angepasst werden, wenn die Vorgänger Anzeichen für Boreout zeigten.
Es sollte außerdem geprüft werden, ob ein neuer Bewerber nicht nur fachlich, sondern auch persönlich zu einer Stelle passt. Zusätzlich sollte analysiert werden, ob die Stelle überhaupt noch notwendig ist oder ob die Tätigkeiten in einem deutlich geringeren Stundenumfang erfüllt werden können. Damit lassen sich auch unnötige Kosten einsparen.