Wirtschaft

Von den Irrungen und Wirrungen der Energiewende

Die deutsche Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen, die teilweise auf die Energiewende zurückzuführen sind. Hohe Stromkosten und Produktionsverlagerungen ins Ausland belasten die Industrie. Die DWN sprechen mit Prof. Dr. Fritz Vahrenholt, promovierter Chemiker, Politiker, Manager und Buchautor, über eine seiner Meinung nach realitätsfremde Energiewende und die Kosten, welche diese für die deutsche Wirtschaft verursacht.
27.07.2024 13:51
Lesezeit: 5 min
Von den Irrungen und Wirrungen der Energiewende
Laut Fritz Vahrenholt sollen erneuerbare Energien zum Energiemix gehören. Jedoch sei es unrealistisch, den Energiebedarf zu 100 Prozent durch Sonne und Wind zu decken. (Foto: iStock.com, Frederick Doerschem)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die deutsche Wirtschaft ist in unruhiges Fahrwasser geraten. Hat die Energiewende dazu beigetragen? Oder kann sie - nach einem schwierigen Start - helfen, Deutschland im Endeffekt umso innovativer und erfolgreicher zu machen?

Fritz Vahrenholt: Die Energiewende hat dazu geführt, dass die Stromerzeugungskosten in Deutschland doppelt so hoch sind wie in Frankreich und dreimal so hoch wie in den USA und China. Das führt zu einer Verschlechterung der Produktionsbedingungen in Deutschland. Die energieintensive Industrie hat bereits einen Rückgang von 25 % zu verzeichnen. Schließung von Produktion und Verlagerung ins Ausland sind an der Tagesordnung. Die Auslandsinvestitionen sind in den letzten drei Jahren auf 100 Milliarden pro Jahr angestiegen, das entspricht 200. 000 Arbeitsplätzen pro Jahr.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie sähe denn Ihr idealer Energiemix für den Standort Deutschland aus?

Fritz Vahrenholt: Erneuerbare Energien gehören natürlich zum Energiemix. Aber doch nicht 100 % durch Sonne und Wind. Das macht kein Land der Welt. Die Volatilität von Solar- und Windstrom erfordert regelbare Kraftwerke. Kernkraftwerke waren sehr schnell regelbar. Die hat man abgestellt. Die ideale Kombination wäre ein Mix aus erneuerbaren Energien, Kernkraftwerken und Gas- und Kohlekraftwerken mit einer CO2-Abscheidung. Das wäre bedeutend günstiger als die Lücken, die Solar und Windkraftwerke erzeugen, durch Batterien oder gar Wasserstoffkraftwerke zu ersetzen. Wir vergessen immer wieder, dass an 120 Tagen in Deutschland keine nennenswerte Windstromproduktion stattfindet und dass die Sonne nachts nicht scheint. Grüner Wasserstoffstrom als Lückenfüller ist viermal so teuer und kostet uns Wohlstand und Arbeitsplätze.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Allerdings will die Politik wegen der CO2- Problematik von fossilen Energieträgern weg. Wie groß ist diese Problematik denn wirklich und wie groß ist der Einfluss von CO2 auf das Klima? Lässt sich das beziffern?

Fritz Vahrenholt: CO2 ist ohne Zweifel ein Treibhausgas, das zu einer Erwärmung beiträgt. Anders als der Weltklimarat, der die Erwärmung der letzten 150 Jahre zu 100 % auf die gestiegenen CO2-Emissionen zurückführt, gehen einige namhafte Wissenschaftler davon aus, dass natürliche Schwankungen einen viel größeren Effekt als Null haben. Die Sonnenscheindauer in den letzten 20 Jahren hat sich um fast 200 Stunden im Jahr erhöht, weil die Wolkendichte zurückgegangen ist. Damit allein kann schon mehr als zwei Drittel der Erwärmung der letzten Jahre erklärt werden. Die Entschwefelung des Schiffsdiesels im Jahre 2023 hat die Konzentration an schwefelhaltigen Staubteilchen massiv reduziert, was wiederum die Wolkenbildung verringert hat. NASA- Forscher erklären dadurch 85 % der außergewöhnlichen Erwärmung der letzten 2 Jahre. Alles auf das CO2 zu schieben, lässt uns Fehler machen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und welchen Beitrag kann konkret Deutschland leisten, den weltweiten CO2- Ausstoß zu verringern?

Fritz Vahrenholt: Seit 2013 hat Deutschland seine Emissionen um 27,7 % reduziert (von 815 Millionen Tonnen CO2 auf 589 Millionen Tonnen CO2). China hat in der gleichen Zeit seine Emissionen von 10444 Millionen Tonnen auf 12 603 Millionen um 21 % erhöht. Seit Beginn der Ampel-Regierung ist die CO2-Verminderung in Deutschland geprägt durch einen Rückgang der energieintensiven Industrieproduktion. Die Regierung sollte wissen, dass die Verlagerung der Güterproduktion aus Deutschland nach China dazu führt, dass sich die mit der Produktion verbundenen CO2- Emissionen verdreifachen werden.

Nun wird bei einem Vergleich Chinas mit Deutschland immer darauf hingewiesen, dass doch China eine viel höhere Bevölkerungszahl hat. Doch teilt man die Emissionen durch die Bevölkerungszahl (83 Millionen in Deutschland bzw. 1425 Millionen in China), so kommt man zu einer pro Kopf-Emission in Deutschland von 7,1 t/ Kopf und in China von 8,9 t/ Kopf. Von den durchschnittlichen Emissionen der Weltbevölkerung von 5 t CO2/ Kopf ist Deutschland nicht mehr weit entfernt. Das Ziel der Nullemission wird in diesem Kontext immer fragwürdiger.
Der gerade erschienene Bericht des Energy Institutes (s.18) liefert darüber hinaus eine neue, wichtige Zahl für die politische Debatte: Deutschland hat 2023 nur noch einen Anteil von 1,5 % an der CO2-Emission der Welt. China hat einen Anteil von 31 %.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihrem Buch „Die große Energiekrise“ möchten Sie auch „den Krieg gegen die Kohle beenden“. Was meinen Sie damit?

Fritz Vahrenholt: Der Kohleverbrauch stieg in 2023 auf einen neuen Rekord (plus 1,6 %). 81,5 % der Weltprimärenergieversorgung stammt aus Kohle, Öl und Gas. Aber nur 2,7 % stammt von Wind und Solar, den Technologien, auf die Deutschland allein setzt.
Zwar sind die Zubauten an Solarflächen und Windkraftwerken auf Rekordkurs, aber der wachsende Energiehunger ist größer. Der Zuwachs an Kohle, Öl und Gas ist immer noch größer als der Zubau an Solaranlagen und Windkraftanlagen.

Wenn das so ist, so müsste Deutschland zeigen, wie man Kohlekraftwerke CO2-neutral gestalten kann. Diese Technologie ist in Deutschland entwickelt worden. Sie heißt CCS –„carbon capture and sequestration“. Man scheidet das CO2 aus dem Abgas ab und verpresst es in tiefe Schichten unter dem Meeresgrund, wo sich das CO2 in wenigen Jahre zu Dolomit verfestigt. Diese Technologie war aber bis vor kurzem hierzulande verboten. Jetzt wird sie erlaubt für Zementwerke und Raffinerien. Warum nicht auch für Braunkohlekraftwerke? Dann könnten wir von China, Indien, Indonesien und anderen Ländern verlangen, nur noch CO2-freie Kohlekraftwerk-Technologie anzuwenden. Das wäre dann tatsächlich eine Vorreiterrolle mit globalen Auswirkungen!

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihrem idealen Energiemix, den Sie vorhin erwähnten, findet sich auch die Atomkraft. Wie ist es denn bestellt um die Sicherheit der Reaktoren und die Endlagerung der Brennstäbe?

Fritz Vahrenholt: Es ist doch ein politischer Treppenwitz, dass wir das sicherste Kernkraftwerk der Welt, das Kernkraftwerk Isar, stilllegen und nun Kernenergie-Strom aus Frankreich und Tschechien - übrigens teurer - importieren. Holland, Belgien aber auch die USA verlängern die Laufzeit der Kernkraftwerke und wir stellen ab.

Die Zukunft liegt allerdings in der 4. Generation von Kernkraftwerken, die auch naturgesetzlich niemals durchbrennen können und deren Brennstoff aus dem Abfall der abgebrannten Brennelemente gewonnen werden kann. Das löst nicht nur das Endlagerproblem, sondern aber auch das Problem der begrenzten Verfügbarkeit von Uran. Die ganze Welt forscht daran – nur Deutschland nicht, das auch aus der Kerntechnikforschung ausgestiegen ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Allerdings scheint der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossene Sache zu sein. Zeichnen sich denn für die Zukunft neue Technologien ab, die uns aus der Energiemisere befreien könnten? Und was ist mit Wasserstoff? Das Wort ist doch in aller Munde.

Fritz Vahrenholt: Wasserstoff ist kein primärer Energieträger. Er muss durch andere Energien erzeugt werden. Man kann Wasserstoff einsetzen zur Erzeugung synthetischer, CO2-freier Kraftstoffe, aber als Speichertechnologie für grünen Strom ist er denkbar ungeeignet, weil zu teuer. Man verliert eben auf der Strecke „Solarkraftwerke- Wasserstoffelektrolyse – Wiederverbrennung des Wasserstoff zu Strom“ drei Viertel der Energie, also ist der Wasserstoff dann viermal so teuer.

Ich halte viel von Kernkraftwerken der 4. Generation, CCS- Technologie bei fossilen Kraftwerken und der Entwicklung von Fusionskraftwerken, also der Erzeugung von Strom durch den Energieerzeugungsprozess in der Sonne. Natürlich gehören auch dezentrale erneuerbare Energien in den Mix.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Dann gehen wir ja, so scheint es, mit unserer Energiepolitik unruhigen Zeiten entgegen. Ist nur unser Wohlstand in Gefahr? Oder droht in der Folge auch unsere freiheitliche Demokratie Schaden zu nehmen?

Fritz Vahrenholt: Der Wohlstand ist nicht nur bedroht, sondern die Wohlstandseinbußen erleben wir gerade. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bevölkerung zunehmend spürt, dass wir uns auf einen gefährlichen Pfad begeben haben, in dem wir glaubten, mit einem Alleingang und mit untauglichen Mitteln das „Klima“ zu retten. Es wird daher zu einer politischen Kurskorrektur kommen. Es ist doch ermutigend, dass mittlerweile die übergroße Mehrheit die Stilllegung der Kernkraftwerke ablehnt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was also schlagen Sie vor?

Fritz Vahrenholt: Wir müssen gegen den realitätsfremden Weg der Energieversorgung aufstehen, die Bürger aufklären und für Mehrheiten im Bundestag sorgen, die die missratene Energiewende durch eine zukunftsfähige Energiepolitik ersetzen und eine neue Grundlage für Wohlstand in Deutschland schaffen. Nicht durch Verbote wie Verbrenner-Verbot, Heizungsverbot oder Kraftwerksausstieg, sondern durch Innovation, Ingenieurskunst und die Triebkräfte der Marktwirtschaft.

Info zur Person:

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt, 1949 in Gelsenkirchen geboren, ist promovierter Chemiker, Politiker, Manager, Wissenschaftler und Buchautor. Von 1991 bis 1997 war er Umweltsenator in Hamburg. Anschließend ging er als Vorstand für Erneuerbare Energien zur Deutschen Shell AG. 2001 wurde er Vorstandsvorsitzender des Windenergie-Anlagenbauer REpower Systems. Danach leitete Vahrenholt die neu gegründete Konzerngesellschaft für Erneuerbare Energien der RWE AG, die Innogy GmbH bis 2012. 1999 wurde er zum Honorarprofessor im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg ernannt. Er ist des Weiteren Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften Acatech.

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