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Fachkräfteauswanderung: Wie Bürokratie Selbstständige ins Ausland treibt

Lesezeit: 4 min
17.08.2024 09:26  Aktualisiert: 01.01.2030 12:00
Eine neue Studie zeigt alarmierende Zahlen: 36 Prozent der Soloselbstständigen erwägen die Auswanderung. Offenbar treibt die Bürokratie diese Berufsgruppe ins Ausland. Wie kann man diesem Trend entgegenwirken?
Fachkräfteauswanderung: Wie Bürokratie Selbstständige ins Ausland treibt
Mit leeren Aktenordnern soll ein Zeichen für das Handwerk und die Fachkräfteauswanderung gesetzt werden. (Foto: dpa)

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Das Geschäftsklima für Selbstständige hat sich im Juni 2024 leicht verschlechtert. Der Jimdo-ifo-Geschäftsklimaindex für Selbstständige sank von -11,8 Punkten im Mai auf -14,0 Punkte im Juni. Hauptursache dafür waren die deutlich pessimistischeren Erwartungen. „Der von den Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen erhoffte Aufschwung erlitt im Juni einen Rückschlag“, erklärte Katrin Demmelhuber, Expertin des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München.

Gleichzeitig zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln alarmierende Ergebnisse: 36 Prozent der Soloselbstständigen, also allein arbeitende Selbstständige, denken in Deutschland darüber nach, das Land zu verlassen. 27 Prozent von ihnen beabsichtigen, ihre Selbstständigkeit aufzugeben. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist der Studie zufolge die hohe bürokratische Belastung.

Die Studie des IW basierend auf einer Umfrage unter 6.300 Selbstständigen und Freiberuflern verdeutlicht, dass viele Soloselbstständige mit den derzeitigen Bedingungen in Deutschland unzufrieden sind. Besonders betroffen sind hochqualifizierte IT-Spezialisten, die zunehmend über Abwanderung nachdenken. Diese Fachkräfte sind für die Digitalisierung und Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft von großer Bedeutung. Der Verlust solcher Experten würde nicht nur die betroffenen Branchen schwächen, sondern könnte auch negative Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft haben.

Bürokratische Hürden

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist das Statusfeststellungsverfahren. Dieses Verfahren überprüft, ob eine Person scheinselbstständig ist. Solche Verfahren verursachen erhebliche Rechtsunsicherheit und bürokratischen Aufwand. „Die enorme Bürokratiebelastung und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit stellen für viele Selbstständige eine erhebliche Hürde dar, ihre Tätigkeit in Deutschland fortzusetzen“, warnte IW-Direktor Michael Hüther.

Laut der Studie müssen fast 60 Prozent der Selbstständigen, die ein Statusfeststellungsverfahren durchlaufen haben, deutlich mehr Aufwand betreiben, um neue Arbeitsaufträge zu erhalten; etwa ein Drittel verliert sie sogar. Diese Rechtsunsicherheit führt nicht nur zu einem Verlust an Aufträgen, sondern auch zu erheblichem Zeit- und Kostenaufwand, da Selbstständige gezwungen sind, umfangreiche Dokumentationen und Nachweise zu erbringen, um ihren Status zu verteidigen. „35 Prozent überlegen, ins Ausland zu ziehen, während 27 Prozent eine Beendigung ihrer Selbstständigkeit erwägen“, so die Studie.

Konkrete Schwierigkeiten für Soloselbstständige

Die komplexen und umfangreichen bürokratischen Strukturen in Deutschland sind bekannt. Sie zeichnen sich durch zahlreiche gesetzliche Vorschriften und administrative Anforderungen aus. Bürokratie betrifft somit alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens, insbesondere auch die Selbstständigkeit: Soloselbstständige in Deutschland sehen sich mit einer Vielzahl konkreter bürokratischer Probleme konfrontiert.

Beispielsweise erfordert die Komplexität der Steuergesetze oft die Inanspruchnahme professioneller Steuerberater. Dies verursacht zusätzliche Kosten. Auch der hohe Zeitaufwand für bürokratische Aufgaben, der laut einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus dem Jahr 2021 etwa 20 Prozent der Arbeitszeit ausmacht, verringert die Zeit, die für die eigentliche Geschäftstätigkeit zur Verfügung steht. Zudem belasten die hohen Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung viele Soloselbstständige finanziell stark, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2020 zeigt. Der erhebliche Verwaltungsaufwand durch zahlreiche Vorschriften und Dokumentationspflichten stellt eine weitere Belastung dar, die durch eine Untersuchung des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB) aus dem Jahr 2020 bestätigt wird.

Junge IT-Spezialisten besonders betroffen

Besonders junge und gut ausgebildete IT-Freelancer, also selbstständige IT-Dienstleister, sind von dieser Problematik betroffen. Ihre Fähigkeiten sind auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt, dennoch ziehen viele von ihnen in Erwägung, Deutschland zu verlassen. Diese jungen Fachkräfte sind oft flexibler und mobiler, was es ihnen erleichtert, ins Ausland zu ziehen. „Hohe Anteile der Befragten berichten über drastische Folgen: 35 Prozent überlegen, ins Ausland zu ziehen, während 27 Prozent eine Beendigung ihrer Selbstständigkeit erwägen“, stellt die Studie fest.

Darüber hinaus gibt die Studie Aufschluss darüber, dass diese Gruppe besonders hohe Einkommen und gute finanzielle Reserven hat, was ihnen den Schritt ins Ausland erleichtert. Der Verlust dieser jungen, dynamischen Selbstständigen würde eine bedeutende Lücke in der IT-Branche hinterlassen und könnte die digitale Transformation in Deutschland erheblich verlangsamen.

Notwendige Maßnahmen gegen Fachkräfteauswanderung

Um dieser negativen Entwicklung entgegenzuwirken, ist ein Abbau bürokratischer Hürden notwendig. „Bürokratie müsse dringend abgebaut werden, um die Attraktivität Deutschlands als Standort für hoch qualifizierte Fachkräfte zu erhalten und die Selbstständigkeit zu fördern“, betont Hüther.

Einige vorgeschlagene Maßnahmen umfassen die Vereinfachung des Statusfeststellungsverfahrens, die Reduzierung unnötiger bürokratischer Anforderungen und die Schaffung klarer und verständlicher Regelungen, die es Selbstständigen ermöglichen, ihre Tätigkeit ohne Angst vor rechtlichen Konsequenzen auszuüben. Zudem wird empfohlen, gezielte Unterstützungsprogramme für Selbstständige einzuführen, um deren wirtschaftliche Sicherheit zu erhöhen und Anreize für die Fortführung ihrer Tätigkeiten in Deutschland zu schaffen.

Unterstützung für Soloselbstständige

Die IW-Studie verdeutlicht, dass die Bürokratie in Deutschland eine erhebliche Belastung für Soloselbstständige darstellt. Insbesondere die IT-Branche ist gefährdet, wertvolle Fachkräfte zu verlieren, was die Innovationsfähigkeit des Landes beeinträchtigen könnte. Es ist dringend erforderlich, bürokratische Hürden abzubauen, um die Selbstständigkeit und somit die wirtschaftliche Vielfalt und Innovationskraft in Deutschland zu stärken.

Für Soloselbstständige in Deutschland sind mehrere Behörden zuständig. Das Statistische Bundesamt (Destatis) übernimmt die statistischen Erhebungen und veröffentlicht Berichte über die Anzahl und Struktur der Soloselbstständigen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ist für wirtschaftspolitische Fragen und die Entwicklung von Förderprogrammen verantwortlich, die diese unterstützen können. Zudem spielt die Bundesagentur für Arbeit (BA) eine wichtige Rolle, indem sie arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Unterstützungsangebote für Soloselbstständige bereitstellt. Diese Behörden arbeiten zusammen, um die Rahmenbedingungen für Soloselbstständige zu verbessern und ihre wirtschaftliche Lage zu stärken.

Altersverteilung von Soloselbstständigen

Im Jahr 2023 waren gut vier Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Soloselbstständige, was etwa 1,7 Millionen Personen entspricht. Die Soloselbstständigkeit ist bundesweit relativ gleichmäßig verteilt, mit einem besonders hohen Anteil in Berlin, wo 9,1 Prozent der Erwerbstätigen soloselbstständig sind. In allen Bundesländern ist die Soloselbstständigkeit unter Männern stärker verbreitet als unter Frauen.

Die Altersverteilung zeigt, dass der Anteil der Soloselbstständigen mit dem steigenden Alter wird größer. Im Jahr 2022 waren 1,1 Prozent der 15- bis 24-Jährigen soloselbstständig. Der Anteil bei den 55- bis 64-Jährigen betrug 5,7 Prozent. Dieser Trend zeigt, dass Soloselbstständigkeit besonders auch in späteren Phasen des Erwerbslebens verbreitet ist.

 

Zum Autor:

Farhad Salmanian arbeitet bei den DWN als Online-Redakteur. Er widmet sich den Ressorts Politik und Wirtschaft Deutschlands sowie der EU. Er war bereits unter anderem für die Sender BBC und Radio Free Europe tätig und bringt mehrsprachige Rundfunkexpertise sowie vertiefte Kenntnisse in Analyse, Medienbeobachtung und Recherche mit.


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