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Die fünf größten Mythen über das Arbeitsrecht – ein Anwalt klärt auf

Mythen im Arbeitsrecht aufgedeckt! In diesem Artikel räumen wir mit den häufigsten Missverständnissen auf - von Abfindungen über Urlaubsansprüche bis zu Kündigungsfristen. Hier gibt's Expertenrat von Rechtsanwalt Jens Usebach!
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22.09.2024 11:00
Aktualisiert: 16.09.2030 11:05
Lesezeit: 4 min
Die fünf größten Mythen über das Arbeitsrecht – ein Anwalt klärt auf
Mythos oder Fakt? Alles über Abfindungen, Kündigungsfristen und Urlaubsansprüche. (Foto: istockphoto/AndreyPopov)

Arbeitsrecht ist ein komplexes Feld, das zahlreiche Missverständnisse und Mythen birgt. Ob es um Abfindungen, Kündigungsfristen oder Urlaubsansprüche geht – immer wieder kursieren falsche Annahmen und unzureichendes Wissen darüber, wie Arbeitsverhältnisse tatsächlich geregelt sind. Hier räumen wir mit den gängigsten Irrtümern auf und bieten präzise Informationen, um endlich Klarheit für die häufigsten Fragestellungen zu schaffen. Rechtsanwalt Jens Usebach, Fachanwalt für Arbeitsrecht, teilt seine Expertise und erläutert die Fakten hinter den Mythen.

Mythos: Immer Abfindungsanspruch bei Aufhebungsvertrag oder Kündigung

Fakt: Laut Jens Usebach, Fachanwalt für Arbeitsrecht, ist „eine Abfindung nur bei einer betriebsbedingten Kündigung gesetzlich vorgesehen“. In Fällen, in denen eine Kündigung aus verhaltensbedingten oder personenbedingten Gründen erfolgt, besteht keine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung.

Zusätzlich ist zu beachten, dass das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nur für Unternehmen gilt, die mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigen. In kleineren Betrieben, wo dieses Gesetz nicht anwendbar ist, gibt es ebenfalls keine gesetzliche Verpflichtung zur Abfindungszahlung, selbst bei betriebsbedingten Kündigungen. Der Anspruch auf eine Abfindung ergibt sich daher nur in bestimmten Kontexten und nicht automatisch bei jeder Kündigung oder Aufhebung des Arbeitsverhältnisses.

Mythos: Bei einer Freistellung verfällt der Resturlaub automatisch

Fakt: Gemäß § 7 Abs. 4 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) hat ein Arbeitnehmer bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs, wenn er diesen aus betrieblichen Gründen nicht mehr nehmen kann.

Arbeitgeber können den Arbeitnehmer unter Anrechnung von Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüchen freistellen, doch viele übersehen dies, weist Usebach hin.

Wenn der Arbeitnehmer freigestellt wird, muss der Arbeitgeber die verbleibenden Urlaubswochen auszahlen, falls der Mitarbeiter aufgrund der Freistellung den Urlaub nicht mehr nehmen kann. Diese Auszahlung erfolgt als Urlaubsabgeltung.

Es ist daher wichtig, dass der Arbeitgeber sicherstellt, dass der Mitarbeiter seinen vollen Urlaubsanspruch erhält, auch wenn das Arbeitsverhältnis vor dem vollständigen Abbau des Urlaubs endet. Andernfalls drohen rechtliche Konsequenzen, da die Zahlung der Urlaubsabgeltung gesetzlich vorgeschrieben ist.

Mythos: Wenn ein Arbeitnehmer aus eigenem Antrieb kündigt, gelten immer die gesetzlichen Kündigungsfristen

Fakt: Wenn ein Arbeitnehmer aus eigener Initiative kündigt, gelten grundsätzlich die gesetzlichen Kündigungsfristen, es sei denn, der Arbeitsvertrag sieht längere Fristen vor. Die gesetzlichen Kündigungsfristen richten sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und sind in § 622 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) festgelegt. Daher ist es nicht korrekt zu denken, dass für einen Arbeitnehmer, der selbst kündigt, immer nur die gesetzlichen Fristen gelten.

Für Arbeitnehmer beträgt die gesetzliche Kündigungsfrist in der Regel vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Dies gilt, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate und weniger als zwei Jahre besteht. Bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zwei Jahren verlängert sich die Frist schrittweise auf bis zu sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

Wenn im Arbeitsvertrag längere Kündigungsfristen vereinbart sind, sind diese für beide Seiten verbindlich. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer die im Vertrag festgelegte Frist einhalten.

Die Kündigung muss schriftlich erfolgen und dem Arbeitgeber rechtzeitig zugehen. Das bedeutet, der Arbeitnehmer muss die Kündigung so einreichen, dass die gesetzliche oder vertragliche Frist eingehalten wird. Entscheidend ist nicht das Versanddatum, sondern das Datum, an dem die Kündigung dem Arbeitgeber zugeht. Es ist ratsam, die Kündigung per Einschreiben zu versenden, um einen Nachweis über den Zugang zu haben. Alternativ kann die Kündigung persönlich übergeben werden, wobei der Arbeitnehmer eine Quittung über den Erhalt der Kündigung vom Arbeitgeber verlangen sollte.

Es ist wichtig, die konkreten Kündigungsfristen im Gesetz, im Arbeitsvertrag oder im Tarifvertrag zu überprüfen, da sie je nach Arbeitsverhältnis variieren können. Im Zweifelsfall ist es ratsam, frühzeitig juristischen Rat einzuholen.

Mythos: Der Arbeitgeber muss drei Abmahnungen aussprechen, bevor er eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen kann

Fakt: Ob ein Arbeitgeber mindestens drei Abmahnungen aussprechen muss, bevor er einem Arbeitnehmer verhaltensbedingt kündigen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören das Verhalten des Arbeitnehmers, die Schwere des Fehlverhaltens, die Dauer der Beschäftigung, die Größe des Unternehmens sowie individuelle Vereinbarungen im Arbeitsvertrag.

In Deutschland gilt grundsätzlich, dass eine Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss. Das bedeutet, das Fehlverhalten des Arbeitnehmers muss so schwerwiegend sein, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht weiter fortsetzen kann. Hierbei spielt auch eine Rolle, ob der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung zu vertreten hat oder nicht

Es gibt Situationen, in denen eine verhaltensbedingte Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt ist. Dies ist zum Beispiel der Fall bei schwerwiegenden Verstößen wie Diebstahl, Arbeitsverweigerung oder Beleidigungen.

„In solchen Fällen ist es nicht erforderlich, eine Abmahnung auszusprechen, da das Fehlverhalten des Arbeitnehmers so gravierend ist, dass eine Abmahnung keine Besserung bringen würde“, so Usebach.

Andererseits gibt es auch Fälle, in denen mehrere Abmahnungen erforderlich sind, bevor eine Kündigung ausgesprochen werden darf. Hierbei kann es um leichtere Verstöße gegen den Arbeitsvertrag gehen. Wenn das Fehlverhalten nach einer oder mehreren Abmahnungen fortgesetzt wird, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein.

Es kommt also darauf an, wie schwerwiegend das Fehlverhalten ist und wie lange der Arbeitnehmer bereits im Unternehmen beschäftigt ist.

„Bei langjährigen Mitarbeitern oder in kleinen Betrieben wird oft mehr Geduld aufgebracht, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. In großen Unternehmen oder bei kurzfristigen Beschäftigungen kann eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein“, sagt der Rechtsanwalt.

Der Arbeitgeber sollte eine verhaltensbedingte Kündigung sorgfältig vorbereiten und umfassend dokumentieren. Es ist wichtig, das Fehlverhalten des Arbeitnehmers präzise zu protokollieren und gegebenenfalls Beweise zu sammeln. Zudem ist es ratsam, den Arbeitnehmer vor der Kündigung anzuhören, um mögliche Missverständnisse auszuräumen.

Zusammengefasst: Ein Arbeitgeber ist nicht zwingend verpflichtet, drei Abmahnungen auszusprechen, bevor er eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen kann. Entscheidend ist der Einzelfall und die Schwere des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers. Eine Abmahnung hat in der Regel den Zweck, den Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hinzuweisen und ihm die Möglichkeit zur Verbesserung zu geben. Bei erneutem oder besonders schwerwiegendem Fehlverhalten kann eine Kündigung auch ohne mehrfache Abmahnungen gerechtfertigt sein.

Mythos: Der Arbeitgeber muss immer ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ausstellen

Fakt: Gemäß § 109 Abs. 1 S. 1 und 2 der Gewerbeordnung (GewO) hat jeder Arbeitnehmer bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses das Recht auf ein einfaches Arbeitszeugnis. Dies gilt unabhängig davon, wie lange der Arbeitnehmer beschäftigt war oder warum das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Das einfache Arbeitszeugnis enthält die grundlegenden Daten zur Beschäftigung und dient als Nachweis für die geleistete Arbeit. Es ist somit ein wesentlicher Bestandteil der Abschlussdokumentation eines Arbeitsverhältnisses.

Im Unterschied dazu ist das qualifizierte Arbeitszeugnis nicht automatisch erforderlich. Nach § 109 Abs. 1 S. 3 GewO muss der Arbeitgeber nur dann ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ausstellen, wenn der Arbeitnehmer ausdrücklich danach verlangt. Das qualifizierte Arbeitszeugnis enthält zusätzlich eine Bewertung der Leistung und des Verhaltens des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss also aktiv um ein solches Zeugnis bitten, um es zu erhalten.

Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ist besonders wichtig, weil es dem Arbeitnehmer eine detaillierte Beurteilung seiner Fähigkeiten und seines Verhaltens bietet. Diese Bewertung kann ihm bei der Suche nach einem neuen Job helfen und ihm wertvolle Hinweise zur eigenen Weiterentwicklung geben.

Für den Arbeitgeber bietet ein qualifiziertes Arbeitszeugnis den Vorteil, dass er seine Einschätzung der Arbeitsleistung des Mitarbeiters dokumentieren kann. Dies kann hilfreich sein, um im Falle von Streitigkeiten oder rechtlichen Auseinandersetzungen Klarheit zu schaffen.

Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis muss den Prinzipien der Zeugnisklarheit und Zeugniswahrheit entsprechen. Das bedeutet, die Beurteilungen müssen objektiv, wahrheitsgemäß und wohlwollend formuliert werden. Fehlerhafte oder ungerechtfertigte Bewertungen können sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer nachteilige Folgen haben, warnt Usebach.

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Iana Roth

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Iana Roth ist Redakteurin bei den DWN und schreibt über Steuern, Recht und HR-Themen. Zuvor war sie als Personalsachbearbeiterin tätig. Davor arbeitete sie mehrere Jahre als Autorin für einen russischen Verlag, der Fachliteratur vor allem für Buchhalter und Juristen produziert.

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